Weihnachtsstress adé: Therapeutische Ansätze, um Mental Load zu reduzieren

Mental Load ist sicherlich einer dieser Begriffe, der in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt hat. Alle sprechen davon und viele erkennen sich darin wieder. Aber was genau ist eigentlich Mental Load? Als Mental Load bezeichnen wir die unsichtbare, oft ungleich verteilte Verantwortung für die Organisation und Planung von Aufgaben im Alltag, besonders im familiären oder häuslichen Kontext. Es umfasst die ständige mentale Arbeit, an Aufgaben zu denken und sie zu priorisieren, ohne sie physisch auszuführen. Dies kann für die Betroffenen sehr belastend sein.

Warum Mental Load während der Weihnachtszeit besonders hoch ist

In der Weihnachtszeit erleben viele Menschen eine besondere Form von Mental Load, da die beruflichen und privaten Verpflichtungen in dieser ohnehin schon dichten Phase des Jahres noch einmal zunehmen. Klient:innen nehmen dabei oft eine Diskrepanz zwischen ihrer idealisierten Vorstellung einer »magischen« Adventszeit und der tatsächlichen, oft überaus stressigen Realität wahr. Diese Kluft kann zusätzlichen Druck erzeugen und die Belastung verstärken. Als Therapeut:in können Sie Klient:innen unterstützen, diese Erwartungen bewusst zu hinterfragen und ihre eigenen Vorstellungen der Adventszeit zu reflektieren. Gemeinsam können Sie herausarbeiten, was für die Klient:innen heute wirklich wichtig ist. Wenn Besinnlichkeit ein Ziel ist, kann es hilfreich sein, diese konkret zu definieren. Ist es der gemütliche Besuch eines Weihnachtsmarkts, ein Nachmittag mit heißer Schokolade und einem Buch, oder ein Spaziergang im Wald? Indem Sie Ihre Klient:innen dazu anregen, ihre Vorstellungen bewusst zu formulieren, helfen Sie ihnen, die Adventszeit als bereichernd zu erleben – frei von überhöhten Erwartungen.

Mit mehr Leichtigkeit durch die Adventszeit: Therapeutische Strategien zur Entlastung des Mental Loads

Ein wichtiger Ansatz, um den Mental Load in der Adventszeit zu verringern, ist die Akzeptanz der zahlreichen Aufgaben, die diese Zeit unweigerlich mit sich bringt. Das bewusste Annehmen dieser To-dos und Verpflichtungen kann helfen, den inneren Widerstand aufzugeben. Wer nicht ständig gegen die Fülle an Aufgaben ankämpft, sondern sie als gegeben akzeptiert, spürt oft schon eine gewisse Entlastung. Wie aber können unsere Klient:innen dann mit der anstehenden Menge an Aufgaben umgehen?

Hier kann es hilfreich sein, die Situation auf zwei Ebenen parallel zu betrachten:

  1. Die praktische Ebene: Gemeinsam können Sie mit Ihren Klient:innen die anstehenden Aufgaben und Termine strukturieren. Welche To-dos sind wirklich wichtig, welche können vielleicht delegiert oder weggelassen werden? Um ihnen erst einmal etwas Handlungsspielraum zu schaffen, ist es sinnvoll, Klient:innen in der Fähigkeit zu bestärken, » Nein« zu sagen und so Freiräume zu erhalten, wenn es zu viel wird. Dabei kann es um das Verschieben oder Absagen von Einladungen gehen oder um das Verhandeln eines Abgabetermins, um den zeitlichen Druck zu entschärfen. Indem Klient:innen ihre Prioritäten reflektieren und gegebenenfalls reduzieren, lässt sich die Belastung häufig schon spürbar senken.
  2. Die psychologische Ebene: Genauso wichtig ist es, die eigenen Wertvorstellungen und Ansprüche zu reflektieren. Bei vielen Klient:innen spielt die Erwartungshaltung an sich selbst eine zentrale Rolle im weihnachtlichen Mental Load. Die Vorstellung, alles perfekt und harmonisch zu gestalten, erzeugt oft zusätzlichen Druck. Hier ist es hilfreich, Klient:innen zu ermutigen, ihre Erwartungen zu relativieren und eine pragmatischere Haltung einzunehmen. Müssen sie das Brot wirklich selbst backen, oder reicht es, ein leckeres Brot in der Bäckerei zu kaufen? Es geht darum, Klient:innen zu zeigen, dass Perfektion oft nicht nötig ist und kleine Abstriche den Stress erheblich verringern können. Auch ein vorzeitiges Verlassen von Verpflichtungen, wie z.B. dem Apéro oder der Weihnachtsfeier, kann eine wertvolle Entlastung darstellen.

Schlussendlich kann ein weiterer Ansatz zur Bewältigung des weihnachtlichen Mental Loads auch darin bestehen, Unterstützung zu mobilisieren. Sie können Klient:innen dazu anregen, Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen – zum Beispiel, indem sie die Familie in die Planung der Geschenke oder Partner:innen in Aufgaben wie den Kauf des Weihnachtsbaums einbeziehen. Im beruflichen Umfeld könnte ein Teammitglied dabei helfen, Berichte zu schreiben oder vorübergehend Projekte  übernehmen. Diese Art der Entlastung kann den inneren Druck reduzieren und verhindert das Gefühl, für alles allein verantwortlich zu sein. In der Therapie oder Beratung braucht es hier keine konkreten Ideen – die bringen die Klient:innen selbst schon mit –, sondern die Arbeit an den inneren Überzeugungen, dass man alles alleine schaffen muss und dass es ein Zeichen von Schwäche ist, Hilfe anzunehmen.

Selbstfürsorge zum Jahresende

Besonders wirkungsvoll ist die Einführung von Ritualen, um den Mental Load zu reduzieren. Rituale erfordern keine großartige Planung und keinen inneren Entscheidungen (»Soll ich das jetzt wirklich machen?«). Sie helfen Klient:innen, ihre Adventszeit zu strukturieren, überflüssige Entscheidungen zu minimieren und auch im Trubel der Vorweihnachtszeit einen klaren Kopf zu bewahren. Wenn zum Beispiel das Weihnachtsessen jedes Jahr dasselbe Menü umfasst, entfällt die Überlegung, stets etwas Neues zu planen und spart Zeit, Energie und Nerven, wenn nicht stundenlang über neue Rezepte gegrübelt werden muss. Das bewährte Menü gibt Sicherheit und lässt Raum für andere Dinge, die wirklich wichtig sind.

Auch wiederkehrende Rituale in der Selbstfürsorge, wie ein regelmäßiger Spaziergang oder eine feste »Pause« inmitten des Tages, können eine wertvolle Entlastung sein und helfen, den Stresspegel niedrig zu halten. Vor allem dann, wenn man das Gefühl hat, dass man sich gerade keine Pause gönnen kann, denn am Ende sind wir dank dieser Pausen meist produktiver. Gerade in der Adventszeit wird Selbstfürsorge zu einem wichtigen Gegengewicht von zunehmendem Mental Load. Klient:innen können angeregt werden, sich selbst in den Fokus zu stellen und kleine »Inseln« der Ruhe und Erholung zu schaffen. Schon kleine Auszeiten – wie eine heiße Schokolade oder ein Moment der Stille – wirken sich positiv aus und geben das Gefühl, dass sie trotz aller Verpflichtungen ihre eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen. Solche Momente helfen, im Strudel der Termine nicht das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu verlieren.

Zum Jahresende haben viele Klient:innen das Bedürfnis, möglichst alle offenen Aufgaben zu erledigen, um »sauber« ins neue Jahr zu starten. Ein solches Bedürfnis nach Abschluss erzeugt oft den Druck, bis zum Jahresende alles geschafft zu haben. Therapeutisch könnte hier unterstützt werden, diese Erwartungshaltung zu hinterfragen und die Notwendigkeit des vollständigen Abschlusses zu reflektieren. Oft genügt es, sich selbst die Erlaubnis zu geben, dass größere Projekte oder lästige Pendenzen auf den Jahresanfang verschoben werden dürfen. Ein realistischer Blick darauf, was unbedingt noch im alten Jahr abgeschlossen werden muss und was ins nächste Jahr verlegt werden kann, kann die innere Anspannung reduzieren.

Durch diese zahlreichen Impulse können Sie ihre Klient:innen dabei unterstützen, den Mental Load in der Weihnachtszeit zu reduzieren, realistische Erwartungen zu formulieren und eine persönliche Balance zwischen Verpflichtungen und Selbstfürsorge zu finden. So kann die Adventszeit als ein weniger belastender, sondern als persönlicher und gelassener Abschnitt des Jahres erlebt werden.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Klient:innen eine entspannte und erfüllte Adventszeit, in der neben den Verpflichtungen auch Zeit für persönliche Ruhe und Besinnlichkeit bleibt.

Die Autorinnen

Dr. Filomena Sabatella, Psychotherapeutin und Klinische Psychologin, arbeitet therapeutisch mit Kindern und Jugendlichen. Sie forscht zu Mental Load und bietet dazu Weiterbildungen und Workshops für Eltern und interessierte Unternehmen an.

Isabel Willemse, eidg. anerkannte Psychotherapeutin und Medienpsychologin, arbeitet mit Jugendlichen und Erwachsenen und als Supervisorin sowohl systemisch als auch kognitiv-verhaltenstherapeutisch. Sie ist an Forschungsprojekten beteiligt und unterrichtet Psychologiestudierende.

Beide haben zusammen das Kartenset »Der ständige Stress im Kopf. Mental Load erkennen und reduzieren. 77 Impulskarten für Psychotherapie und Beratung« (2024) bei Beltz veröffentlicht.

Passende Artikel
Materialien dieses Titels
Materialien dieses Titels

Therapie-Tools Selbstfürsorge

Die hier zur Verfügung stehenden Übungen bieten für Psychotherapeut:innen, die Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl...
Materialien dieses Titels
Materialien dieses Titels

Therapie-Tools Positive Psychologie

Alle Arbeitsmaterialen des »Therapie-Tools Positive Psychologie« von Engelmann (2024) sind hier zusammengestellt....
Materialien dieses Titels
Materialien dieses Titels

Therapie-Tools Selbstmitgefühl

Alle Materialien des Therapie-Tools Selbstmitgefühl sind hier zusammengestellt. »Sich selbst wie einem guten Freund...