Sprechen Sie über Sex? Die 5 wichtigsten psycho­thera­peutischen Inter­ventionen bei Sexuellen Funktions­störungen

Keine Lust auf Sex, nicht zum Orgasmus kommen, keine Erektion bekommen oder unangenehme Empfindungen beim Geschlechtsverkehr: Viele Patient:innen in der Psychotherapie erleben Schwierigkeiten mit der sexuellen Funktion.  Wenn sexuelle Schwierigkeiten hartnäckig sind und über einen längeren Zeitraum bestehen, kann das sehr belastend sein – für das eigene Sexualleben und in vielen Fällen auch für die Partnerschaft und das allgemeine Wohlbefinden.

Psychotherapie kann helfen, dass betroffene Personen lernen, ihre negativen Gedanken und Gefühle zu verändern, Sex nicht länger aus dem Weg gehen und Möglichkeiten finden, ihre Sexualität selbstbestimmt und befriedigend zu leben. Gezielte sexualtherapeutische Übungen – allein oder gemeinsam mit einem/einer Partner:in – helfen, Lust und Erregung (wieder) zu entdecken.

Die fünf wichtigsten Übungen für die Praxis

Aus unserer Praxiserfahrung haben sich die folgenden fünf Übungen in der Psychotherapie der Sexuellen Funktionsstörungen  besonders bewährt. 

1. Selbstexploration

Das Kennenlernen des Körpers sowie das Spüren eigener sexueller Empfindungen ist eine wichtige Vo- raussetzung für eine befriedigende Sexualität. Sich mit den eigenen sexuellen Reaktionen zu beschäftigen und den Körper (neu) zu entdecken, sind wichtige Schritte zur Überwindung Sexueller Funktionsstörungen.

Für die psychotherapeutische Praxis bieten sich hier Übungen zur Selbstexploration an. Diese reichen von Informationen zum anatomischen Aufbau der Genitalien und Betrachtung des Intimbereichs (z.B. mit einem Spiegel) bis hin zur gezielten Wahrnehmung erotischer Empfindungen und dem Experimentieren mit Lust und Erregung. Patient:innen werden in den stufenweise aufgebauten Selbstexplorationsübungen angeleitet, sich verschiedenen Bereichen ihres Körpers zuzuwenden. Das Wahrnehmen von auftretenden Gedanken und Gefühlen ist dabei ein wichtiger Bestandteil, der in der weiteren Arbeit für bspw. kognitive Interventionen genutzt werden. 

2. Selbstbeobachtung mit dem Kreislaufmodell

Mangelnde Lust und Erregung ist ein besonders häufiges sexuelles Problem. In vielen Filmen und Serien sind wir dagegen häufig mit dem Gegenteil konfrontiert: Personen sind scheinbar immer mühelos aus dem Nichts heraus sexuell erregt, verspüren Lust und kommen bereits nach kürzester Zeit zum Orgasmus. Patient:innen, die wegen sexueller Probleme in die Praxis kommen, haben oftmals genau dieser Bilder und Vorstellungen im Kopf und empfinden ihre eigene Sexualität als mangelhaft und unnormal.

Ein wichtiger Schritt an dieser Stelle ist die Psychoedukation. Hier ist das »Kreislaufmodell der sexuellen Reaktion« ein idealer Therapiebaustein. Es ermöglicht, sexuelle Probleme besser zu verstehen und konkrete Ansatzpunkte für die Arbeit hin zu größerer sexueller Zufriedenheit zu finden. In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass es völlig normal ist, wenn sich sexuelles Verlangen erst im Verlauf einer sexuellen Situation entwickelt und nicht bereits im Vorfeld vorhanden ist – nach dem Motto: »Der Appetit kommt beim Essen.« Wichtig ist hier auch eine für die Person stimulierende Umgebung (manche wünschen sich Ruhe, andere lieben den Nervenkitzel) und die richtige Stimulation.

Das Modell berücksichtigt zudem, dass man aus unterschiedlichen Gründen Sex haben kann (z.B. um Stress abzubauen oder um Nähe herzustellen).  Dadurch ist die Anwendung des Modells v.a. bei Personen, die unter verringertem sexuellen Verlangen oder Erregungs- bzw. Orgasmusstörungen leiden, empfehlenswert. Patient:innen wird damit geholfen, die eigenen sexuellen Reaktionen besser zu verstehen und Ansatzpunkte zur Veränderung zu identifizieren.  

3. Sensualitätsübungen

Bei den Sensualitätsübungen handelt es sich um Streichelübungen, die bei Paaren mit Sexuellen Funk- tionsstörungen oder anderen sexuellen Problemlagen angewendet werden können. Ziel der Übungen ist es, sich körperlich (wieder) anzunähern und ohne Leistungsdruck Streicheleinheiten auszutauschen. Deshalb ist während und nach den Sensualitätsübungen Geschlechtsverkehr tabu, um zu ermöglichen, dass sich beide Partner:innen auf die Übung einlassen können.

Bei allen Übungen nehmen beide Partner:innen abwechselnd die aktiv streichelnde und die Streicheleinheiten empfangende Rolle ein. Zunächst werden die Genitalien bei den Streichelübungen ausgespart, später mit in die Streicheleinheiten einbezogen, ohne dabei gezielt Erregung hervorzurufen. Tritt sexuelle Erregung auf, wird diese wahrgenommen und das Streicheln wird auf andere, weniger erogene Körperbereiche verlagert. In der letzten Übungsstufe kann das Paar dann auch mit Erregung experimentieren, wobei jedoch ein Orgasmus nicht Ziel der Übung ist.

4. Analyse und Veränderung einer sexuellen Situation

Negative Gedanken und Interpretationen bezogen auf die eigene Sexualität und sexuelle Schwierigkeiten zu identifizieren, ist ein zentraler Therapieschwerpunkt bei Sexuellen Funktionsstörungen. Hierbei geht es darum, Denkverzerrungen und Grübelschleifen auszumachen. Typische Denkfallen sind Muss-Sätze (z.B. »Sex muss man doch genießen«) oder Katastrophisieren (z.B. »Meine fehlende Lust ist einfach schrecklich«).

Ähnlich zu klassischen kognitiven Techniken können hier mithilfe eines Gedankenprotokolls automatische negative Gedanken und damit verbundene Denkfallen anhand einer konkreten sexuellen Situation identifiziert und gezielt bearbeitet sowie verändert werden. An dieser Stelle ist es hilfreich, negative sexualitätsbezogene Schemata auszumachen (z.B. »Ich bin ein:e Versager:in im Bett«), zu hinterfragen und zu verändern. Einhergehend sollen außerdem konkrete Ansatzpunkte für Verhaltensänderungen während sexueller Situationen identifiziert werden.

5. Vaginaltraining

Wenn Frauen unter Ängsten, Schmerzen und Schwierigkeiten beim vaginalen Einführen leiden, sei es bei der Nutzung von Tampons, beim Einführen eines Fingers oder beim Geschlechtsverkehr, dann bietet sich das Vaginaltraining als therapeutische Übungssequenz an. Das vaginale Einführen wird hierbei mit Vaginaltrainern (Dilatoren, Hegarstiften) in ansteigender Größe unter Anwendung von Entspannungsübungen durchgeführt. Durch das Vaginaltraining werden Ängste und Schmerzen reduziert und korrigierende Erfahrungen mit vaginalem Einführen erlebbar gemacht. Patientinnen werden Erfolgserlebnisse, Selbstwirksamkeit und ein Kontrollgefühl beim vaginalen Einführen ermöglicht.

Das Ansprechen sexueller Probleme kann ein echter Türöffner in der Therapie sein

Für die Praxis empfehlen wir standardmäßig eine sexuelle Anamnese durchzuführen und ein Screening auf mögliche sexuelle Störungen einzusetzen. Das offene, vorurteilsfreie Ansprechen sexueller Probleme kann ein echter Türöffner in der Therapie sein und den Patient:innen signalisieren, dass man mit Ihnen als Therapeut:in über alles, auch vermeintliche Tabuthemen, offen sprechen kann. Wenn Sie selbst bei sich Hemmungen merken, sexuelle Themen anzusprechen, empfehlen wir vorab kleine Übungen zur Selbsterfahrung, sei es ein Gespräch mit einer vertrauten Person oder im Rahmen einer Supervision.

Die Autorinnen

Portrait Anna-Carlotta Zarski

Dr. Anna-Carlotta Zarski, Dipl.-Psych., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sexuelle Funktionsstörungen und E-Mental-Health.

Portrait Julia Velte

PD Dr. Julia Velten, Dipl.-Psych., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit, Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Sexuelle Funktionsstörungen.

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