Metakognitives Training bei Depression: Experteninterview mit Dr. Franziska Miegel

Depressive Symptome werden maßgeblich durch dysfunktionale Denkstile und Denkverzerrungen aufrechterhalten. Dazu zählen beispielsweise das Alles-oder-nichts-Denken (»Ich bin ein Versager, weil ich Fehler gemacht habe«) oder übertriebene Verallgemeinerungen (»Wenn ich einmal versage, werde ich immer versagen«). Moderne Therapieansätze wie das Metakognitive Training bei Depression (D-MKT) konzentrieren sich deshalb auf die sogenannten Metakognitionen, also die Gedanken über das eigene Denken. Wie sich das D-MKT von klassischen Therapieansätzen unterscheidet, welche Denkverzerrungen es besonders thematisiert und welche Rolle Gruppenprozesse sowie digitale Hilfsmittel dabei spielen, erklärt uns die Psychologin und D-MKT-Expertin Franziska Miegel im Interview.

Sehr geehrte Frau Miegel, welche Rolle spielt nach dem aktuellen Stand der Forschung die Metakognition bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen?

Franziska Miegel: »Metakognitionen – also Gedanken über das eigene Denken – und auch kognitive Verzerrungen (z.B. der mentale Filter) sind bei Depression ein ganz zentraler Faktor. Menschen mit Depression neigen zum Beispiel häufig dazu, sich fast ausschließlich auf negative Aspekte einer Situation zu fokussieren – etwa wenn nach einem sozialen Kontakt nur die kritischen oder vermeintlich peinlichen Momente erinnert werden, während neutrale oder positive Anteile ausgeblendet bleiben. Die Forschung zeigt, dass gerade solche kognitiven Verzerrungen und auch Metakognitionen maßgeblich zur Aufrechterhaltung depressiver Symptome beitragen können. Genau hier setzt das Metakognitive Training bei Depressionen (D-MKT) an: Es unterstützt die Teilnehmenden dabei, solche automatisierten Denkstile zu erkennen, einzuordnen und neue Perspektiven zu entwickeln.«

Wie unterscheidet sich das Metakognitive Training bei Depressionen (D-MKT) von der klassischen Kognitiven Verhaltenstherapie?

Franziska Miegel: »Inhaltlich gibt es durchaus viele Gemeinsamkeiten mit der Kognitiven Verhaltenstherapie – etwa in der Auseinandersetzung mit kognitiven Verzerrungen, negativen automatischen Gedanken oder Selbstwertproblemen. Was das D-MKT aber deutlich unterscheidet, ist die Vermittlungsart. Wir arbeiten im D-MKT nicht mit konfrontativer Disputation, sondern versuchen, auf spielerische, humorvolle und entlastende Weise zum Nachdenken über eigene Denkmuster anzuregen. Statt pathologisierender Beispiele nutzen wir bewusst alltagsnahe, unbedrohliche Szenarien, die Patient:innen helfen, sich mit den Inhalten zu identifizieren, ohne sich entblößt oder bewertet zu fühlen.

Ein weiterer zentraler Unterschied liegt in der Standardisierung: Das D-MKT basiert auf einem foliengestützten Manual, ähnlich wie bei den anderen Metakognitiven Trainings, etwa dem für Psychosen. Es ist so aufgebaut, dass es sehr strukturiert, zeitökonomisch und auch von weniger erfahrenen Therapeut:innen durchführbar ist. Das macht es besonders geeignet für die Versorgung in Gruppen oder in Kliniken, wo Zeit- und Personalressourcen oft knapp sind.«

Welche dysfunktionalen Denkmuster werden im D-MKT konkret thematisiert und gibt es Ihrer Erfahrung nach bestimmte Module, von denen Patient:innen besonders profitieren?

Franziska Miegel: »Es gibt insgesamt acht Module, die typische kognitive Verzerrungen und metakognitive Überzeugungen thematisieren, darunter etwa das mentale Filtern, Perfektionismus, ›Sollte‹-Aussagen, Grübeln und negative Attributionsstile. Von welchem Modul Patient:innen besonders profitieren ist schwer zu sagen, weil das natürlich ganz individuell auf die Symptomatik der Patient:innen ankommt.«
Welche motivationalen und interaktiven Elemente kommen im Training zum Einsatz?
Franziska Miegel: »Das Training ist sehr lebendig gestaltet. Es enthält viele bildhafte Darstellungen, z. B. Cartoons, die Denkverzerrungen humorvoll aufgreifen. Es gibt kleine Gruppenexperimente und Reflexionsfragen. Das Ziel ist: nicht belehren, sondern anregen – zum Schmunzeln, zum Nachdenken, zum Erkennen. Viele Teilnehmer:innen erleben dadurch echte Aha-Momente. Und die Übungen sind alltagsnah. Patient:innen erkennen sich selbst in den Beispielen wieder, was sie sehr motiviert.«

Welche Erkenntnisse aus dem Training sind für die Patient:innen oft besonders hilfreich?

Franziska Miegel: »Ganz viele berichten: ›Ich dachte immer, nur ich denke so‹ oder ›Ich wusste gar nicht, dass Grübeln das Ganze schlimmer macht‹. Besonders entlastend ist oft die Einsicht, dass Gedanken keine Tatsachen sind, und dass man lernen kann, sich innerlich von ihnen zu distanzieren, statt sie automatisch für wahr zu halten. Auch die Erkenntnis, dass man nicht ständig hart mit sich selbst ins Gericht gehen muss, ist für viele sehr berührend. Sie erleben dadurch oft zum ersten Mal einen Zugang zu selbstfürsorglichen Perspektiven.
Was konstant auffällt, ist die positive Gruppenerfahrung. Die Atmosphäre ist häufig von Akzeptanz, Offenheit und Humor geprägt, was das Lernen erleichtert und Hemmschwellen abbaut. Viele Teilnehmende fühlen sich durch den Austausch entlastet, allein schon durch die Erkenntnis: ›Ich bin nicht allein mit diesen Gedanken‹.
Aus unseren begleitenden Evaluationen wissen wir, dass das Training nicht nur wirkt, sondern auch sehr gut angenommen wird. Die Zufriedenheit mit der Intervention ist hoch und viele geben an, dass ihnen das D-MKT tatsächlich Spaß gemacht hat, was bei einem Thema wie Depression nicht selbstverständlich ist. Gerade der Gruppencharakter in Kombination mit einer leicht zugänglichen, humorvollen Vermittlungsweise wird als stärkend und verbindend erlebt.«

Wie kann man die Patient:innen dabei unterstützen, das Gelernte aus den Sitzungen in den Alltag zu integrieren?

Franziska Miegel: »Der Alltagstransfer ist ein zentrales Ziel des Trainings. Wir arbeiten mit Handouts, kleinen Hausaufgabenimpulsen und Reflexionsfragen für zu Hause. Am Ende jeder Sitzung motivieren wir die Teilnehmer:innen ganz gezielt, konkrete Übertragungsmöglichkeiten in ihren Alltag zu überlegen. Dabei bitten wir sie schon während der Sitzung, eigene Beispiele einzubringen. Das erhöht die persönliche Relevanz und fördert die Anwendung außerhalb des therapeutischen Rahmens.
Zu Beginn jeder neuen Sitzung greifen wir die Inhalte der Vorwoche wieder auf, indem wir gezielt nach den Nachbereitungsaufgaben fragen: Was wurde ausprobiert? Was hat funktioniert? Gab es Schwierigkeiten oder kleine Erfolge? Diese Rückblicke sind nicht nur hilfreich, um das Gelernte zu festigen, sondern sie stärken auch die Motivation. Denn die Teilnehmenden erleben, dass sie selbst Einfluss nehmen und Veränderungen anstoßen können.
Zusätzlich empfehlen wir begleitend die Nutzung der Selbsthilfe-App COGITO, die speziell Themen der Depression aufgreift. Sie bietet tägliche kleine Übungen, Psychoedukation zu Themen wie Denkverzerrungen, Grübeln und Selbstwert sowie Erinnerungsfunktionen, um die Anwendung im Alltag zu erleichtern. Viele Patient:innen empfinden COGITO als hilfreiche Ergänzung, um die Inhalte des Trainings über die Sitzungen hinaus präsent zu halten und neue Denk- und Verhaltensmuster im Alltag zu verankern.«

Vielen Dank, Frau Dr. Miegel, für diese spannenden Einblicke in das Trainingsprogramm!

Exklusiver Workshop

Erleben Sie Dr. Susanne Miegel am Freitag, den 11. Juli 2025, in einem exklusiven Live-Workshop zum Thema »Metakognitives Training bei Depressionen (D-MKT)« im Rahmen unserer akkreditierten Webinar-Reihe.

Die Expertin

Dr. Franziska Miegel ist psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt auf der Behandlung von Zwangsstörungen und Depressionen. Seit 2017 ist sie im Forschungsbereich Neuropsychologie und Psychotherapie tätig. Dr. Miegel hat das D-MKT sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting durchgeführt und eigene Studien zu den einzelnen Wirkelementen des D-MKT veröffentlicht. Seit 2019 leitet sie Workshops zum D-MKT. Zudem ist sie als Post-Doc im Forschungsbereich tätig und hat ihre Habilitation zum Thema »Sitzungsspezifische Effekte bei verschiedenen Metakognitiven Trainings« verfasst und eingereicht.
Tags: Affektive Störungen