Therapieziel Wohlbefinden: Praxistipps aus der Positiven Psychologie

Die Positive Psychologie ist die Wissenschaft des gelingenden Lebens. Sie beschäftigt sich damit, was Menschen glücklich macht, ihr Leben erfüllt und sie an Schwierigkeiten wachsen lässt. Inzwischen haben sich viele Methoden entwickelt, die sich in die klassischen Therapieansätze integrieren lassen. Allen Ansätzen ist eines gemeinsam: Die Förderung des Wohlbefindens als eigenständiges Therapieziel. Die integrative Wohlbefindenstherapie fasst die Stärken der unterschiedlichen Konzepte zusammen und stellt die Ressourcen- und Wachstumsorientierung in den Vordergrund. Die zahlreichen Interventionen für den Praxisalltag setzen insbesondere am positiven Erleben und an einer positiven Einstellung (zu sich und anderen) an und fördern Wachstumsprozesse angesichts von Krisen.

In diesem Beitrag werden die Bausteine der Wohlbefindenstherapie skizziert und anhand einer Übung beispielhaft erläutert, wie zentrale Themen aus der Positiven Psychologie ineinanderfließen und so die Psychotherapie bereichern können. 

Bausteine der Wohlbefindenstherapie

Positive Diagnostik

In Ergänzung zur klassischen Diagnostik, die zu Beginn einer jeden Psychotherapie steht, gibt es zusätzlich die Möglichkeit bereits in der Eingangsphase einige positive Aspekte abzufragen. Hierbei bietet es sich an die verschiedenen Facetten des Wohlbefindens zu erheben, um herauszufinden, wo das größte »Glückspotenzial« liegt. Zudem bietet eine Identifikation der individuellen Charakterstärken eine gute Grundlage für persönliches Wachstum. Auf Basis der positiven Diagnostik kann die Therapieplanung unter Berücksichtigung des Wohlbefindens erfolgen. Die Erarbeitung und Visualisierung einer positiven Zukunftsvision rundet die Eingangsphase ab.

Wohlbefinden fördern

Das Wohlbefinden besteht aus zwei Komponenten. Auf der einen Seite steht das »Wohlfühlglück«, auf der anderen das »Werteglück«. Das Wohlfühlglück ist das subjektive Wohlbefinden und beinhaltet die Lebenszufriedenheit sowie das Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen. Diese hedonistische Komponente ist während einer psychischen Erkrankung oft reduziert und sollte in der Therapie explizit berücksichtigt werden. Hierfür kann analysiert werden, was vor der Störung zum Wohlbefinden beigetragen hat, was das Wohlbefinden nun unterbricht (z.B. dysfunktionale Gedanken oder Verhaltensweisen) und was sich die Person für eine glückliche Zukunft wünschen würde. Die klassischen Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie, wie der positive Aktivitätenaufbau oder das Training emotionaler oder sozialer Kompetenzen, können dabei zum Zuge kommen.

Das Werteglück beinhaltet die drei psychischen Grundbedürfnisse und ihre Korrelate, also

  • positive Beziehungen zu sich und anderen,
  • Selbstbestimmung und Sinnerleben sowie
  • Kompetenz und persönliches Wachstum.

Ziel der Wohlbefindenstherapie ist es, in Ergänzung zur Reduktion psychischen Leidens, diese beiden Aspekte des Wohlbefindens separat zu stärken, um die Lebensqualität unserer Klient:innen zu erhöhen und einer (erneuten) Erkrankung vorzubeugen. Für jeden der beschriebenen Wohlbefindensaspekte gibt es Interventionen, die zu einer messbar höheren Zufriedenheit führen und störungsübergreifend – auch bei »therapieresistenten« Personen – zu einer signifikanten Symptomreduktion und damit mehr Lebensqualität führen. 

Die Lebensbaum-Übung

Ich möchte an dieser Stelle eine Übung zur Förderung des Werteglücks vorstellen, die die verschiedenen positiven Aspekte einer Person anhand einer Metapher miteinander verbindet: Der Lebensbaum stellt symbolhaft einen Menschen dar, der alles zur Verfügung hat, um wachsen zu können, sich zu entwickeln und Früchte (also Erfolge) zu erschaffen. Die Übung kann als Grundlage zur Auseinandersetzung und Erarbeitung der individuellen Ressourcen, Werte, Stärken, Ziele und Erfolge genutzt werden oder aber auch im Anschluss als eine bildhafte Zusammenfassung dienen.

In den folgenden Punkten wird beschrieben, wie Sie den Lebensbaum Ihrer Klient:innen sukzessive entwickeln können. Probieren Sie es aus!

  1. Nährboden: Die Erde am Fuße des Baumes symbolisiert die Ressourcen, die unseren Klient:innen zur Verfügung stehen, also z.B. soziale Unterstützung (z.B. durch Freunde, Familie, Kollegen), positive Umstände im Außen (z.B. genügend Zeit und Raum oder Gegenstände, die bei der Zielerreichung unterstützen) sowie Skills und Strategien für eine erfolgreiche Stressbewältigung. Für einen guten Nährstoffgehalt sind die Wirksamkeit, Vielfalt und Nachhaltigkeit der Ressourcen entscheidend. Fragen Sie Ihre Klient:innen: »Was hilft Ihnen?«
  2. Wurzeln: Ein stabiler Baum ist gut verwurzelt, um auch einen Sturm gut überstehen zu können. Die Wurzeln entsprechen den Werten, die unserem Leben Sinn geben. Setzen Sie sich gemeinsam mit der Frage auseinander, was Ihren Klient:innen wichtig ist.
  3. Baumstamm: Werden die Werte gelebt und damit im Verhalten sichtbar, so werden die individuellen Charakterstärken (wie z.B. Mut, Offenheit, Hilfsbereitschaft) erlebbar. Diese können mit Fragen erfasst werden, wie: »Was zeichnet Sie aus? Welche Aktivitäten begeistern Sie, worauf sind Sie stolz und worauf freuen Sie sich besonders?«
  4. Äste: Die Äste und ihre Verzweigungen stehen für konkrete Ziele in verschiedenen Lebensbereichen. Lassen Sie Ihre Klient:innen ihre Hoffnungen, Träume und Wünsche auf die Äste schreiben. Zentral für die persönliche Entwicklung ist die Frage: »Wo möchten Sie hin?«
  5. Früchte: Manche reifen noch, andere können schon geerntet werden. Eine Benennung und Würdigung der bereits erzielten Erfolge, stärkt das Selbstbewusstsein und fördert die Änderungsmotivation: Welche persönlichen Erfolge haben Sie bereits erzielt und wie ist Ihnen das gelungen?

 

Praxistipp: Für Menschen, die gerade alles andere als glücklich sind, die mit Ängsten, Traurigkeit oder einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen haben, kann die Übung zunächst eine Herausforderung sein. Und gerade hierin liegt das »Glückspotenzial« der Intervention. Es geht darum sich bewusst zu machen, was bereits da ist, auch wenn es im Leben gerade alles andere als gut läuft. Hierbei geht es um das Training der Resilienz, also der inneren Widerstandskraft. Wenn den Klient:innen ihre Ressourcen, Werte und Stärken bewusst(er) sind, können sie ganz anders darauf zu greifen und sie zielgerichtet nutzen. Studien zeigen außerdem, dass Zuversicht stark mit dem Wohlbefinden zusammenhängt. Insofern ist es äußerst empfehlenswert möglichst früh in der Therapie konkrete, realistische und positive Annäherungsziele zu formulieren und diese fortlaufend zu evaluieren. Dies fördert die Autonomie der Klient:innen und die intrinsische (Änderungs-)Motivation.

Meine Empfehlung

Die Wohlbefindenstherapie fördert das positive Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Die Interventionen zeichnen sich durch ihre Alltagstauglichkeit aus. Sie sind wissenschaftlich fundiert, klar strukturiert, vielseitig anwendbar, modifizierbar und sie machen Freude! Damit erhöhen sich Motivation auf Seite der Klient:innen und Therapeut:innen und das gemeinsame Arbeiten geht leichter von der Hand. Die Methoden lassen sich in verschiedene Therapieschulen und in den unterschiedlichsten Kontexten integrieren und stellen eine wertvolle Bereicherung des therapeutischen Arbeitens da. Probieren Sie es aus und gehen Sie auf die Suche, wo das größte »Glückspotenzial« Ihrer Klient:innen liegt!

 

Autorin

Hausler_Foto

 Dr. Melanie Hausler ist Psychologische Psychotherapeutin, Klinische Psychologin, Gesundheits-, Arbeits- und Organisationspsychologin und Trainerin für Positive Psychologie. Sie ist als Psychologin und Coach in freier Praxis tätig, hält Vorträge und Workshops und betreibt einen Blog rund um das Thema Positive Psychologie. Zudem ist sie Geschäftsführerin des Zentrums für Integrative Positive Psychologie ZIPP und verbindet dort die Vorteile der Positiven Psychologie mit den Stärken anderer Disziplinen.

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