Mit Küchenrolle und Dominosteinen: Impact-Techniken zum Umgang mit kognitiven Prozessen

Die Umstrukturierung kognitiver Inhalte und Prozesse – ein zentrales Element in der Psychotherapie. Gedanken beeinflussen maßgeblich unsere Emotionen und Verhaltensweisen, weshalb ein achtsamer und gezielter Umgang mit ihnen entscheidend für den therapeutischen Erfolg ist. Die Umstrukturierung kognitiver Prozesse ist jedoch häufig eher »trocken«, was dazu führen kann, dass emotionale und körperliche Aspekte vernachlässigt werden und Effekte sich erst langsam oder wenig nachhaltig einstellen.

Die Übungen, [die sich in diesem Blogbeitrag finden lassen, sowie viele weitere im passenden Kapitel des Therapie-Tools-Bandes »Impact-Techniken in der Einzeltherapie«], zielen darauf ab, festgefahrene Denkmuster unter Einbezug körperlicher und emotionaler Kanäle zu erkennen und so langfristig und effektiv zu verändern. Klientinnen werden dabei unterstützt, ihre kognitiven Prozesse bewusst wahrzunehmen, deren Effekte zu spüren, sie zu hinterfragen und neu zu gestalten, um neue Perspektiven und Verhaltensmöglichkeiten zu eröffnen. Dabei können die vorgestellten Techniken in verschiedenen Phasen des therapeutischen Prozesses flexibel eingesetzt werden.

Der Tunnelblick

Thema: gedankliche Einengung, depressiver Fokus

Material:  eine leere Küchen- oder Geschenkpapierrolle, Stift und Whiteboard

Therapiekontext:

  • depressiver »Tunnelblick«, eingeengte Gedanken, starre Grundannahmen
  • Viele Menschen mit depressivem Erleben fokussieren sich auf dysfunktionale Gedanken und verlieren den Blick auf neutrale oder positive Situationen, Erlebnisse und Interaktionen. Darüber hinaus interpretieren Menschen ihre Umwelt entsprechend ihrer Grundannahmen, was bei starren und negativen Grundannahmen zu einer dysfunktionalen Sicht auf die Welt führen kann. Gleichzeitig werden die Annahmen und dysfunktionalen Gedankengänge mit entsprechendem Empfinden aufrechterhalten.


Intendierter Impact:
Die Klientin erlebt die gedankliche Einengung und die entsprechenden Konsequenzen. Sie wird zu einer diverseren Sichtweise und einem Verlassen des depressiven Fokus motiviert, um auf Dauer auch wieder neutrale und positive Erlebnisse und Gedanken wahrnehmen zu können. Küchenrolle, Geschenkpapierrollen und ggf. sogar Toilettenpapierrollen erinnern im Alltag an die Übung und somit auch an den Impuls, die Gedankeneinengung zu verlassen und den Fokus auf etwas Hilfreiches zu richten.

Beschreibung der Übung: Ein persistierender, negativer Gedanke wird auf dem Whiteboard als Satz notiert. Der Klientin wird die Küchenrolle überreicht und sie wird gebeten, durch die Rolle (wie durch ein Fernglas) auf den Satz zu schauen. Dabei ist auf den Abstand von Betrachtungspunkt und Whiteboard zu achten. Dies wird am besten im Vorhinein vom Therapeuten getestet. Es muss eine Rolle ausgewählt werden, durch die der Satz gut erkennbar, das Umfeld aber größtenteils nicht mehr zu sehen ist.

Die Klientin wird gefragt, was zu sehen ist und ob sie das Umfeld noch wahrnehmen kann. Nachdem die Klientin Ihre Wahrnehmung geschildert habt, beschreibt der Therapeut, was er sehen kann, weil er nicht durch die Rolle schaut.

T: Wie ist das für Sie, wie fühlt sich das für Sie an, wenn Sie das alles nicht sehen können?
Er wartet die Reaktion der Klientin ab, während er sie weiter »im Tunnelblick« lässt.
T: Zwar können Sie um sich herum gerade nichts sehen, aber wir wissen ja, dass es nicht nur den
Satz auf dem Whiteboard gibt. Was würden Sie jetzt gerne tun?
K: … die Küchenrolle wegnehmen. Es wird unangenehm und auch anstrengend.

Der Therapeut fragt noch einmal, was die Klientin sehen kann und wie sie sich jetzt fühlt, wenn sie die Küchenrolle nicht mehr vor das Auge hält, keinen Tunnelblick mehr hat. Die Klientin erlebt die gedankliche Einengung und kann erkennen, dass dann alles andere – auch Hilfreiches, Positives, Bezugspersonen – ausgeblendet und nicht mehr sichtbar ist. Die Übung soll so einen Perspektivwechsel einleiten und eine Veränderung des Denkens initiieren. Die Küchenrolle kann mit nach Hause gegeben werden.

Variation: Die Übung kann nicht nur für Gedanken oder Grundannahmen verwendet werden, sondern auch für belastende Ereignisse oder Erinnerungen, die ggf. schon bearbeitet wurden, von denen es der Klientin aber schwerfällt, Abstand zu nehmen.

Der Domino-Effekt

Thema: Grübel- und Sorgenketten durchbrechen

Material: Dominosteine

Therapiekontext:

  • Gedankenkreisen, Grübel- oder Sorgenspiralen
  • geringe und fehlende Achtsamkeit bzw. Beobachterperspektive
  • Metakognitive Therapie


Intendierter Impact:
Achtsamkeit für Gedanken und deren Verlauf werden zugänglich gemacht. Die Erfahrung, dass Gedanken einander nicht unbedingt beeinflussen müssen, wird spürbar gemacht: Wenn ein Gedanke wegfällt, kann die ganze Gedankenkette unterbrochen werden.

Beschreibung der Übung: Die Klientin benennt die ablaufende Gedankenspirale, die als belastet erlebt wird. Für jeden Gedanken wird ein Dominostein aufgestellt. Stehen alle Steine, werden die einzelnen Gedanken erneut nachvollzogen sowie das Gefühl exploriert. Der erste Stein wird umgestoßen, der Domino-Effekt wird beobachtet und mit der Gedankenspirale und den damit verbundenen Gefühlen in Verbindung gebracht. Im zweiten Durchgang wird die Klientin gebeten, etwas anders zu machen und zu kommentieren, was das für die Gedankenspirale bedeutet. Sollte sie selbst keine Optionen entwickeln, können folgende Ideen durch geleitetes Entdecken eingebracht werden:

  • Steine mit größerem Abstand auseinanderstellen → langsamer die Gedanken beobachten und beschreiben
  • Steine im Zick-Zack stellen → andere Gedanken bewusst einbauen
  • Steine hinlegen statt sie zu stellen → Gedanken aus einer anderen Perspektive betrachten


Die Effekte unter einer oder mehrerer dieser Varianten können beobachtet und das Gefühl exploriert werden. Es können hierüber mehrere achtsamkeitsbezogene, kognitive oder metakognitive Interventionen gebahnt werden.

Variation: Die Dominosteine können zur Veranschaulichung des Vulnerabilitäts-Stress-Modells oder von Störungsmodellen herangezogen werden: Verschiedene Faktoren (die ersten paar Dominosteine) sorgen dafür, dass eine Kettenreaktion ausgelöst wird (die ganze Reihe kippt um), die nicht unbedingt aufhaltbar ist (Vulnerabilität). Was verändert werden kann, ist der Umgang mit Stressoren. Ein Teil der Dominosteine wird Stressoren zugewiesen und kann, wie oben beschrieben, auf unterschiedliche Arten aufgestellt werden. Damit kann der Endpunkt der Kettenreaktion – der Ausbruch eines Rezidivs – verhindert werden, auch wenn Vulnerabilitäten vorliegen. Außerdem wird verdeutlicht, dass wir die Auslöser für Symptome oder Erkrankungen nicht immer kennen: Am Ende der Kette (Auslösung einer Krankheit, auch körperlich oder das Auftreten von Symptomen) kann nicht immer nachvollzogen werden, welche Faktoren genau zur Problematik geführt haben, oder es liegt ein großer zeitlicher (in der Übung räumlicher) Abstand zwischen auslösenden Faktoren und Symptomatik.

Leseprobe aus: Wendenburg, Vüst & Mennekes (2025). Therapie-Tools Impact-Techniken im Einzelsetting. Weinheim: Beltz

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