Wenn Patient:innen aggressiv werden

Ob intensive Vermeidung, Entwertung des/der Therapeut:in, ein »zurückschlagender« Elternmodus, »trotzige« oder »zu brave« Patient:innen. Schwierige und herausfordernde Situationen gibt es in der Schematherapie mehr als genug. Das Praxisbuch »Schwierige Situationen in der Schematherapie» zeigt anschaulich auf, wie man die schwierigen Situationen meistert. Wir empfehlen diesen Auszug. 

Die Patientin verhält sich aggressiv, betrügerisch oder kriminell

Fallbeispiel: Ursula A., eine 31-jährige Patientin mit kombinierter Persönlichkeitsstörung mit Borderline- und narzisstischen Zügen, hat schon viele Behandlungen aus Ärger über den Therapeuten abgebrochen. Auch in der aktuellen Behandlung kommt es zu einer Eskalation, nachdem der Therapeut versucht hat, das dysfunktionale, häufig aggressive Interaktionsverhalten der Patientin zu besprechen. Sie erscheint nicht mehr zu Therapieterminen, schickt jedoch zunehmend wütende und drohende E-Mails und SMS-Nachrichten. In diesen wertet sie die Therapie ab, beschimpft den Therapeuten, bedroht ihn diffus und äußert Suizidabsichten. Auf konstruktive Angebote des Therapeuten reagiert sie nicht, ein persönliches Gespräch lehnt sie kategorisch ab. Der Therapeut fühlt sich zunächst verunsichert, dann zunehmend verärgert, aber auch bedroht. In der Biografie von Frau A. liegen verschiedene Belastungsfaktoren vor. Die Mutter der Patientin litt vermutlich ebenfalls an einer Borderline-Störung, ihr Vater ist ein von ihr als sehr streng und fordernd beschriebener Richter. Frau A. selbst hat nach dem Abitur sowohl ein Jura- als auch ein Psychologiestudium begonnen und aufgrund von multiplen Konflikten mit Prüfungsämtern und Dozenten abgebrochen. […]

Welcher Modus ist in diesen Situationen zentral?

In den meisten Fällen lassen sich kriminelle, unehrliche oder gezielte aggressive Verhaltensweisen mit Überkompensationsmodi in Verbindung bringen. Dabei spielen die typischen forensischen Modi (Bernstein et al., 2007) oder auch narzisstische Selbstüberhöhung eine zentrale Rolle.

Forensische Modi

  • Gerissene Täuschung oder Betrugs-Modus (Cunning Mode). Das Gegenüber wird getäuscht oder betrogen, um in einem guten Licht zu erscheinen und eigene Interessen durchzusetzen.

  • Einschüchterer oder Schikane und Angriff (Bully and Attack). Aggression wird gezielt eingesetzt, um das Gegenüber, das in der Regel als Gegner wahrgenommen wird, einzuschüchtern, zu kontrollieren oder zu schädigen, um die eigenen Interessen durchzusetzen (Fallbeispiel).

  • Raubtier-/Killer-Modus oder Beute-Modus (Predator Mode). Massive Gewalt wird kaltblütig eingesetzt, um Gegner aus dem Weg zu räumen (bis hin zu Tötungsdelikten).

Wenn Patienten zu solchen Mustern neigen, können diese sowohl in der Therapiebeziehung als auch in anderen Situationen auftreten. Sobald sie überdauernd in der Therapie eingesetzt werden, d. h., dass der Therapeut betrogen oder bedroht wird, steht der Schutz des Therapeuten im Vordergrund. […]

Ursula A. zeigt einen Bully-and-Attack-Modus gegenüber dem Therapeuten. Vermutlich fühlt sie sich damit dem Therapeuten gegenüber überlegen oder sogar machtvoll. Wie bei Ursula geht diesem Muster häufig eine narzisstische Kränkung voraus. Eine solche Kränkung kann z. B. der Versuch einer realistischen Therapieplanung innerhalb der Grenzen der Patientin darstellen, da sie dann ihren massiven Problemen ins Auge sehen muss, oder die Konfrontation mit einem unangenehmen Interaktionsmuster der Patientin. Frau A. hat einen strafend-fordernden Elternmodus, der durch die emotional instabile Mutter und den übermäßig strengen Vater entstanden ist. Die Versuche des Jura- und Psychologiestudiums waren Teil einer narzisstischen Bewältigungsstrategie, die allerdings gescheitert und dann in den nun im Vordergrund stehenden Bully-and-Attack-Modus übergegangen ist.

Konkrete Lösungsvorschläge

Der Therapeut von Ursula A. versucht zunächst, sie telefonisch zu erreichen; nachdem sie nicht abhebt, lädt er sie per E-Mail zu einem persönlichen Gespräch ein, um die Vorwürfe direkt zu besprechen. Dieses lehnt Frau A. – ebenfalls per E-Mail – ab und setzt ansonsten ihre drohenden SMS und E-Mails fort, wobei sie auch Suizidabsichten äußert, »weil das so eine schreckliche Therapie war«. Der Therapeut entscheidet daraufhin nach Beratung mit seiner Supervisorin, an Frau A. die folgende E-Mail zu schreiben: »Sehr geehrte Frau A., hiermit melde ich mich zum letzten Mal per E-Mail bei Ihnen. Es tut mir leid, dass wir die Behandlung nicht in einem persönlichen Gespräch abschließen können. Eine weitere Kommunikation per E-Mail und SMS erscheint mir nicht hilfreich, daher werde ich diese nicht fortsetzen. Ich werde Ihre E-Mails und SMS ab sofort nicht mehr lesen und ungelesen löschen. Sofern Sie darin Suizidabsichten äußern, werde ich daher keine Notfallversorgung einleiten können. Hiermit stelle ich Ihnen noch einmal sicherheitshalber die Kontaktdaten für Notfälle bereit: … Bitte wenden Sie sich an diese Stellen, wenn Sie Unterstützung benötigen. Mit freundlichem Gruß …«. Nach dieser E-Mail erhält der Therapeut im Verlauf der nächsten Tage noch mehrere SMS und E-Mails von Frau A., die er tatsächlich nicht öffnet, sondern ungelesen löscht. Nach einigen Tagen kommen keine Nachrichten mehr von ihr an.

© Leseprobe aus: Schwierige Situationen in der Schematherapie von Christine Zens und Gitta Jacob, erschienen bei Beltz, 

9783621281003

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