Qi Gong und Psychotherapie im Dialog: die Kunst der inneren Balance

Qi Gong (ausgesprochen »Tchi Gung«) zählt zu den fünf Grundpfeilern der chinesischen Medizin. Mit dem Praktizieren nehmen wir Einfluss auf unsere körperliche und geistige Gesundheit. Körperhaltungen und Bewegungen, Atmung, Gefühle, Gedanken und Vorstellungskraft werden reguliert, damit durch deren Ausgleich Qi möglichst ungehindert fließen und sich entfalten kann. Was bedeutet Qi?

»Qi« ist nicht eindeutig definierbar, es kann mit »Lebenskraft« umschrieben werden. Das Schriftzeichen für »Gong« (ausgesprochen »Gung«) bedeutet Fähigkeit, Fleiß, Erfolg und Leistung. Somit umschreibt Qi Gong das Kultivieren der Lebenskraft (Qi) durch fleißig-beständiges und beharrliches Üben (Gong). Die vielgestaltigen Übungen führen in Kombination mit einer entsprechenden inneren Haltung zu Harmonie und Ausgeglichenheit und können deshalb eine wertvolle, imaginativ-körpertherapeutische Ergänzung in der Psychotherapie sein. 

Stilles und Bewegtes Qi Gong                                             

Gewahrwerden des Atems gehört zu den grundlegenden Übungen des »Stillen Qi Gong«. Gedanken und Emotionen werden durch den meditativen Charakter in die Ruhe geführt. Zum Beispiel werden ausgewählte Körperbereiche durch Visualisierung verstärkt mit Qi versorgt. Das Praktizieren kann mit individuell gesundheitsfördernden Affirmationen oder sogenannten Heilenden Lauten verbunden werden. Die »Stillen Übungen« können im Sitzen, Stehen oder Liegen durchgeführt werden.

 »Bewegtes Qi Gong« zeichnet sich aus durch ruhig-fließende Bewegungen, die durch die Vorstellungskraft geführt werden. Sie haben auf Körper und Geist ausgleichende und harmonisierende Wirkung und führen zu gleichmütiger Gelassenheit. Praktiziert wird in der Regel im Stehen. Eine wichtige Anforderung besteht darin, die Ausführungen den eigenen aktuellen Möglichkeiten anzupassen. Körperliche Einschränkungen werden wohlwollend im Bewegungsablauf akzeptiert. Bei Schwäche kann im Sitzen, Liegen oder in der Vorstellung praktiziert werden.

Qi Gong und Psychotherapie aus wissenschaftlicher Perspektive

Die Verbindung zwischen Körper und Geist beschäftigt den Menschen seit alters her. Philosoph:innen und Wissenschaftler:innen haben sich mit dem sog. Leib-Seele-Problem auseinandergesetzt. Nachweislich geht eine Dysbalance zwischen Körper und Geist einher mit entsprechenden Leiden und Erkrankungen, z. B. Somatoforme Störungen; und eine ausschließliche Behandlung über den einen oder anderen Zugang scheint langfristig wenig erfolgversprechend. Vor diesem Hintergrund erweist sich eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen als naheliegend, was auch den Trend der Psychotherapieentwicklungen repräsentiert. Hier leistet Qi Gong mit seinen bidirektionalen Wirkungen auf Körper und Geist einen wertvollen Beitrag, was zunehmend in wissenschaftlichen Untersuchungen erforscht wird.

In vielen Studien, oftmals unter randomisiert-kontrollierten Bedingungen, können gesundheitsfördernde Wirkungen nachgewiesen werden u. a. auf das Atemwegs-, Verdauungs-, Hormon-, Nerven- und Herz-Kreislauf-System, bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, Kopfschmerzen, Wechseljahresbeschwerden, Fibromyalgie, Morbus Parkinson, Tinnitus, Krebserkrankungen sowie Autismus, Depressionen, Angststörungen, Posttraumatische Belastungen, Burn-out und Schlafstörungen. Erwiesen sind darüber hinaus Entwicklung und Förderung von Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Konzentration, kognitiven Funktionen und Körperbewusstsein.

Somit kann Qi Gong im Rahmen einer Psychotherapie – gezielt auf die Erkrankung ausgerichtet – ergänzend zur Genesung angewendet werden wie auch begleitend als allgemein gesundheitsstärkende Maßnahme.

Wollen Sie einen (ersten) Eindruck bekommen?                                                         

Qi Gong kann als unerschöpflicher Quell an Übungen verschiedenster Ausrichtungen und Schwierigkeitsgrade verstanden werden.

Eine wunderschöne Abfolge aus dem Bewegten Qi Gong stellen die »Öffnenden Kreise« dar. Sie werden auch als einleitende Vorbereitungsübung einer Bewegungssequenz praktiziert. Sie eignen sich als Einstimmung auf eine Therapiesitzung mit den Klient:innen oder für die kleinen Pausen zwischen den Sitzungen für die Berater:innen und Therapeut:innen. Die Übung beginnt mit dem Zentrieren vor der Körpermitte und geht dann in eine Geste des Sich-Öffnens und der Aufgeschlossenheit über.

Und wie führe ich die Übung aus? Im schulterbreiten Stand werden die Handgelenke vor dem Unterbauch gekreuzt und die Arme so nach oben geführt. Hier nun die Handflächen nach außen drehen, seitlich in einer öffnenden Geste bogenförmig sinken lassen, verstärkt durch die Vorstellung von Weiten, Ausdehnen und Verbinden. Beim Steigen einatmen, beim Sinken ausatmen, insgesamt sechsmal.


Abbildung: Bewegungsablauf der die »Öffnenden Kreise«. Aus: Lotz und Oxfort (2023). Qi Gong – 75 Therapiekarten. Weinheim: Beltz.

Probieren Sie es aus. Mit dem Praktizieren von Qi Gong nehmen wir selbstwirksam Einfluss auf unsere geistige wie körperliche Gesundheit.

Norbert Lotz und Christina Oxfort

Die Autor:innen

Christina Oxfort, Ph. D., Diplom-Biologin (Universität Bochum), Heilpraktikerin, Qi Gong-Lehrerin und Qi Gong-Therapeutin (Nei Yang Gong), ausgebildet und autorisiert von Liu Yafei (Beidaihe und Shou Zhong Schule, Berlin), Yoga-Lehrerin, arbeitet in eigener Praxis für Chinesische Medizin mit Schwerpunkt Akupunktur und Qi Gong in Bad Vilbel. Seit 2003 jährliche Vertiefung und Supervision am Gesamtchinesischen Ausbildungszentrum für Medizinisches Qi Gong (Beidaihe, China). 2007 Gründung der Nei Yang Gong-Schule Bad Vilbel, gemeinsame Leitung mit Norbert Lotz: www.neiyanggong.com

Prof. Norbert Lotz, Ph. D., Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und Lehrtherapeut, Qi Gong-Lehrer (Nei Yang Gong), ausgebildet und autorisiert von Liu Yafei (Beidaihe und Shou Zhong Schule, Berlin), leitet die Praxis für Angewandte und Klinische Psychologie sowie das daran angeschlossene FIRST-Institut in Frankfurt am Main; Yoga-Lehrer und Komponist. Seit 2003 jährliche Vertiefung und Supervision am Gesamtchinesischen Ausbildungszentrum für Medizinisches Qi Gong (Beidaihe, China): www.first-institut.de

Beide haben 2023 bei Beltz das Kartenset »Qi Gong – 75 Therapiekarten« veröffentlicht, welches eine profunde, gut verständliche Einführung in die Welt des Qi Gong für die therapeutische Praxis gibt. Bilder und Fotos vermitteln wichtige Grundlagen und geeignete Übungen, die exakt und gut nachvollziehbar beschrieben werden.

Exklusiver Workshop

Erleben Sie unseren Autor Prof. Norbert Lotz am 10.11.2023 in einem Workshop zum Thema »Sokratischer Dialog« im Rahmen unserer akkreditierten Webinar-Reihe!

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