Wenn Patient:innen in der Therapie sagen, sie »gucken manchmal Pornos«, muss der Therapeut / die Therapeutin wohl ganz explizit danach gefragt haben. Denn Pornografie ist in der Vorstellung vieler Menschen etwas, das es zu verheimlichen gilt, etwas aus der Schmuddelecke. Und genau dort bleibt sie häufig auch – unausgesprochen, beschämt, bestenfalls belächelt.
Dabei ist Pornografie heute allgegenwärtig. Sie ist normal, omnipräsent und technisch seit der Existenz des Internets so zugänglich wie nie zuvor – per Smartphone, rund um die Uhr. Das heißt nicht, dass sie unproblematisch ist. Es heißt aber auch nicht, dass jede Nutzung pathologisch wäre. Vielmehr liegt das Problem häufig darin, dass wir erst dann darüber sprechen, wenn es schon zu spät ist: Wenn Beziehungen bröckeln, der Selbstwert leidet, das Arbeitsverhalten beeinträchtigt ist oder sich Betroffene emotional entkoppelt erleben.
»Wenn ich einmal anfange, kann ich nicht mehr aufhören« – Pornografienutzung als Verhaltenssucht
In der psychotherapeutischen Praxis zeigt sich bei einem Teil der Patient:innen ein suchtartiges Muster im Umgang mit Pornografie – inklusive Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Rückfällen, Leidensdruck und negativen Konsequenzen. Die Kriterien des ICD-10 für Abhängigkeit lassen sich hier teils gut anwenden. Noch näher liegt allerdings die Diagnose der Compulsive Sexual Behavior Disorder (CSBD) aus dem ICD-11, die sich genau mit solchen zwanghaften sexuellen Verhaltensmustern befasst – inklusive übermäßiger Pornografienutzung.
Es handelt sich also nicht um eine »nicht so schlimme Macke«, sondern potenziell um eine behandlungsbedürftige Störung mit erheblichen Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Und die Dunkelziffer dürfte hoch sein – denn viele sprechen aus o.g. Gründen eben nicht darüber, oder erst dann, wenn das Problem sich längst manifestiert hat.
Therapeut:innen in der Pflicht – aber bitte ohne Erröten
Damit Menschen früher in die Behandlung finden, braucht es einen offeneren und kompetenten Umgang mit dem Thema – auch (oder gerade) in der Therapie. Doch wie sprechen Sie als Therapeut:in über Pornografie, ohne rot zu werden? Wie explorieren Sie pornografische Nutzungsgewohnheiten, ohne zu moralisieren, ohne zu pathologisieren – und ohne das Gefühl zu vermitteln, dass Sie am liebsten im Boden versinken würden?
Ein zentraler Bestandteil in der Arbeit mit Patient:innen mit Pornografienutzungsstörung sollte daher aus unserer Sicht die Selbsterfahrung sein: Welche Haltung habe ich selbst zu Pornografie? Was löst das Thema bei mir aus? Welche Stereotype und inneren Bilder trage ich mit mir herum – und wie beeinflussen diese meine therapeutische Haltung?
Denn eins ist klar: Wenn Therapeut:innen nicht in der Lage sind, mit einer gewissen Offenheit, Ernsthaftigkeit und Gelassenheit über Pornografie zu sprechen, wird es auch der Patient / die Patientin nicht tun.
Wie man Patient:innen nicht zum Thema Pornografie ins Gespräch bekommt – eine kleine Anti-Anleitung
Weil Humor helfen kann, Blockaden zu lösen – auch im therapeutischen Alltag – hier ein kleiner satirisch-ernster Leitfaden, wie man das Thema garantiert nicht ins Gespräch bringt:
- Einfach gar nicht ansprechen
(Der Klassiker. Wird gerne als Vermeidung bezeichnet. Funktioniert hervorragend, um das Problem zu perpetuieren.) - Mit Scham über Scham sprechen
(Beispiel: »Haben Sie schon mal … na ja … so einen Film gesehen … mit … also … Menschen, die … Liebe machen?«) - Verurteilend reagieren
(»Also ehrlich … sowas gucken Sie?« – und zack: Gespräch beendet, Vertrauen zerstört.) - Die eigene Sexualität als Maßstab setzen
(»Also ich kann nicht verstehen, wie man auf Füße stehen kann …«)
[Kleiner Exkurs: Fußfetisch ist nicht das Problem. Verurteilung schon.] - Nur über andere reden
(»Mein Mann schaut auch sowas …«)
(Und Sie? – „Ich? Nein, ich bin nur wegen meiner Rückenschmerzen hier. «)
Und jetzt: 5 Schritte, um Patient:innen den Einstieg ins Thema Pornografie und Sexualität zu erleichtern:
1. Sprechen Sie es aktiv an – ohne Umschweife.
Sexualität gehört zum Leben. Pornografie auch. Wer es nicht anspricht, signalisiert: »Darüber spricht man besser nicht.« Das verstärkt Scham und hält Probleme im Verborgenen. Also: Gehen Sie mutig voran, seien sie offen und klar. Für die therapeutische Praxis heißt das, dass wir als Therapeut:innen nicht warten sollten, bis die Betroffenen es selbst ansprechen, sondern dass wir das Thema Sexualität und auch die Nutzung von Pornografie, wie andere Dinge auch, mit in die Anamnese mit aufnehmen. Zumindest mit Screeningfragen, die dann bei Bedarf vertieft werden können.
2. Seien Sie sprachlich direkt, aber nicht peinlich.
Kein verschämtes »so Filme … mit … naja … Liebe«. Sagen Sie möglichst direkt, was Sie meinen: z. B. »Ich frage alle meine Patient:innen nach ihrem Umgang mit Pornografie, weil das für manche ein belastendes Thema ist.« Das auch so umzusetzen, ist oft leichter gesagt als getan. Hier haben wir es als hilfreich erlebt, einen Interviewleitfaden zu nutzen und auch die Fragesituation im Rollenspiel und das konkrete Aussprechen zu üben. Hier ist auch die Sprache wichtig, vermeiden Sie abwertende Begriffe genauso wie das Nicht-Ansprechen.
3. Bleiben Sie neugierig statt bewertend.
Verwunderung, Abscheu oder Ironie haben im Gespräch keinen Platz. Wer offen fragt, bekommt auch offene Antworten. Wer »iiih« denkt, bekommt ein »weiß nicht mehr« zu hören. Bei der Sexualanamnese und der Anamnese des problematischen Pornografienutzungsverhaltens gelten die gleichen Regeln wie bei anderen Anamnesen auch. Und wenn es den Patienten schwerfällt, über den Anfang der problematischen Pornonutzung zu sprechen, oder sie Schwierigkeiten haben, den Verlauf und vor allem die Zunahme oder das Ausmaß der Nutzung zu berichten, ist es, genau wie bei anderen schwierigen Themen, wichtig, dass Sie mit gezielten Fragen unterstützen (z. B. »Wann hat sich die Dauer des Pornokonsums verändert, was war eine maximale Nutzung, wie viel Pornografie haben Sie im Durchschnitt am Tag genutzt?«).
4. Relativieren Sie nicht mit Ihrer eigenen Normalität.
Sexualität ist vielfältig. Ihre Norm muss nicht mit der Norm der Betroffenen übereinstimmen. Was zählt, ist der subjektive Leidensdruck – nicht die Passung zur eigenen Lebensrealität. Allerdings ist es beim Thema Sexualität und Pornografie auch möglich, dass die eigenen Norm- und Wertevorstellungen eine unterstützende Behandlung behindern oder sogar unmöglich machen (z. B. beim Thema illegale Pornografie). Hier gehört es auch zu den Aufgaben der Therapeut:innen, sich bewusst zu machen, wo die eigenen Grenzen sind und ggf. eine Behandlung auch abzulehnen.
5. Erforschen Sie, projizieren Sie nicht.
Wenn Patient:innen nur über den Konsum »von anderen« sprechen, fragen Sie nach dem persönlichen Erleben. Oder nach Hemmungen und Problemen beim Besprechen des Themas Sexualität. Auch ein schrittweises Vorgehen kann hilfreich sein. Durch eine erste Runde über den Austausch zu allgemeinen Mythen und Vorurteilen zum Thema Sex (z. B. Frauen wollen nur Bindung und wenig Sex oder Männer denken immer nur an Sex und sind an Bindung nicht interessiert) können Hemmungen abgebaut werden und man kann im nächsten Schritt besser die eigenen Standpunkte, Probleme und Schwierigkeiten explorieren und bearbeiten. Und wenn Sie merken, dass Sie selbst ausweichen – fragen Sie sich selbst: Was macht das Thema mit mir?
Fazit: Zwischen Scham, Spaß und Sucht – und warum wir reden müssen
Pornografie ist weder per se schlecht noch grundsätzlich pathologisch. Aber der Umgang damit kann krank machen. Besonders, wenn niemand darüber spricht. Wir hoffen, wir konnten Sie mit unserem Beitrag etwas unterstützen und zur Enttabuisierung des Themas beitragen.
Denn:
- Nur wer seine eigene Haltung kennt, kann wertfrei explorieren.
- Nur wer das Thema ernst nimmt, kann humorvoll damit umgehen.
- Und nur wer darüber redet, kann helfen, bevor es zu spät ist.
Die Autor:innen

Katrin Grümer, Dipl.-Psych., ist approbierte Psychotherapeutin an der salus klinik Hürth. Zusätzlich ist sie als Supervisorin und Dozentin (Katholische Hochschule Köln) tätig.
Michael Krämer, Dipl.-Psych., ist approbierter Psychotherapeut an der salus klinik Hürth. Außerdem arbeitet er als Lehrtherapeut, Dozent und Supervisor an unterschiedlichen Ausbildungsinstituten und an der Katholischen Hochschule Köln im Bereich des Master Studiengangs »Suchttherapie«.
2025 erschien bei Beltz von ihnen das Buch »Therapie-Tools Pornografienutzungsstörung«.