Don’t worry …! Zwei Verhaltensexperimente, um dysfunktionale Metakognitionen zu hinterfragen

Hinter perseverierendem Denken, das für die Entstehung psychischer Störungen, wie z.B. Ängste, Zwänge und Depressionen, verantwortlich sein kann, stecken typischerweise dysfunktionale Metakognitionen, also ungünstige Überzeugungen bezüglich des Denkens.

Die wichtigsten dysfunktionalen Metakognitionen, die oft bei unseren Patient:innen in der Psychotherapie auftreten, sind…

  • Probleme und Schwierigkeiten lassen sich am besten dadurch verhindern oder lösen, dass man sich intensiv Gedanken darüber macht. Motto: »Viel Nachdenken hilft viel.« - »Man muss nur lange genug nachdenken, dann findet sich für jedes Problem eine Lösung.«
  • Gedanken können gefährlich oder schädlich sein. Daher müssen sie genau beobachtet, kontrolliert und ggf. unterdrückt werden. Motto: »Wenn ich etwas Falsches/Schlechtes denke, dann kann das schlimme Folgen haben. Deshalb darf ich nichts Falsches oder Schlechtes denken.«

 

Um perseverierendes Denken zu stoppen, ist es wichtig, die zugrundeliegenden dysfunktionalen Überzeugungen in der Therapie kritisch zu hinterfragen. Zwei Verhaltensexperimente haben sich dabei sehr bewährt.

Das Grübel-Experiment 

Für dieses Experiment wird ein Spiel genutzt, bei dem es darum geht, wie gut der/die Patient:in eine nahestehende Person einschätzen kann. Dazu soll für zehn Fragen aus jeweils vier vorgegebenen Antwortmöglichkeiten die am besten zutreffende ausgewählt werden. Je mehr Übereinstimmungen es gibt, umso besser. 

  1. Liebste Jahreszeit: Frühling – Sommer – Herbst – Winter?
  2. Bevorzugtes Tier: Elefant – Löwe – Giraffe - Zebra?
  3. Bevorzugte Farbe: Rot – Blau – Grün – Schwarz?
  4. Bevorzugte Sportart: Fußball – Basketball – Volleyball – Handball?
  5. Meiste Angst vor: Einbrecher – Spinnen – Gewitter – großer Höhe?
  6. Bevorzugtes Reiseland: Griechenland – USA – Schweden – Italien?
  7. Bevorzugte Superkraft: Unsichtbarkeit – Fliegen – Zeitreisen – Laser-Blick?
  8. Wäre lieber: witziger – größer – sportlicher – beliebter?
  9. Würde am liebsten beenden: Hunger – Krankheiten – Krieg – Umweltverschmutzung?
  10. Bevorzugte Rolle in einem Theaterstück: Held:in – Bösewicht:in – Liebhaber:in – Baum?

 

Diese Fragen werden in zwei Durchläufen beantwortet: Im ersten Durchgang hat der/die Patient:in nur 60 Sekunden Zeit; im anschließenden zweiten Durchgang 150 Sekunden. Vor dem zweiten Durchgang erfolgt die Aufforderung, möglichst gründlich und in Ruhe zu überlegen, um viele Übereinstimmungen zu erzielen. Nachdem die Antworten abgegeben wurden, wird erfragt, wie es dem/der Patient:in bei der Durchführung des Experimentes erging. Teils wird dabei berichtet, dass die Zeit für den letzten Durchgang als zu lang erlebt wurde. Manchmal entwickeln sich bei einem der Durchgänge auch Anspannung und Stress, beim zweiten Durchgang können auch vermehrt Zweifel entstehen.

Bitten Sie den/die Patient:in abschließend darum einzuschätzen, in welchem Durchgang wohl die meisten richtigen Antworten abgegeben wurden. Bis zur nächsten Sitzung soll dann die nahestehende Person, deren Antworten zu erraten versucht wurden, um die Auflösung, d.h. die Beantwortung der obigen zehn Fragen, gebeten werden. In der folgenden Therapiesitzung erfolgt die Auswertung und Besprechung des Experimentes: Dabei geht es einerseits um die prozentuale Übereinstimmung in beiden Durchgängen, andererseits um folgende Überlegungen:

  • Wie viel zusätzliche Zeit hätte der/die Patient:in wohl gebraucht, um auf 100% Übereinstimmung zu kommen?
  • Hätte mehr Zeit auch zu einer Verschlechterung des Ergebnisses führen können?

 

Gemeinsam sollte im Idealfall folgendes herausgearbeitet werden:

  • Vermutlich hätte der/die Patient:in es nie geschafft, auf 100% Übereinstimmung zu kommen, weil man bestimmte Dinge einfach nicht wissen kann. Auf jeden Fall hätte es noch mehr Zeit gekostet, die anderweitig sinnvoller genutzt werden könnte.
  • Langes Nachdenken führt nicht unbedingt immer zu besseren Ergebnissen als relativ spontane Entscheidungen! Vielmehr kann es durch intensives Nachdenken über Probleme ganz leicht zu immer mehr Stress, zunehmenden Zweifeln oder einem Stimmungseinbruch kommen, was wiederum zu vermehrtem Grübeln oder Sich-Sorgen führen kann. Ein richtiger Teufelskreis kann sich dann entwickeln!

 

Schlimmes wünschen

In diesem Experiment geht es um die Überzeugung, dass Gedanken gefährlich bzw. schädlich sein können. Bitten Sie dazu Ihre:n Patienten/Patientin, sich etwas Gemeines auszudenken, das Ihnen als Therapeut:in bis zum Abschluss der Sitzung passieren soll, z.B. dass Sie vom Stuhl fallen oder dass Sie eine akute Durchfallattacke erleiden. Der/Die Patient:in muss Ihnen nicht sagen, was er/sie sich Schlimmes für Sie überlegt hat. 

Oft fällt es den Patient:innen schwer, ihren Therapeut:innen etwas Gemeines zu wünschen. Weisen Sie dann darauf hin, dass sie keine falsche Scheu zeigen sollen und dass Sie ausdrücklich darum bitten. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt! Nachdem sich der/die Patient:in etwas überlegt hat, bitten Sie ihn/sie darum, sich die ausgedachte Sache in den folgenden Minuten immer wieder zu wünschen. Gemeinsam werden Sie später überprüfen, was passiert ist. 

Meine Erfahrung aus meiner therapeutischen Praxis zeigt: Je schwerer es Patient:innen fällt, sich auf dieses Experiment einzulassen, umso mehr sind diese typischerweise davon überzeugt, dass Gedanken gefährlich bzw. schädlich sein können! Und umso mehr können Sie von dieser Übung profitieren. 

Gegen Ende der Sitzung sollten Sie erfragen, ob das Schlimme oder Gemeine denn passiert ist. In aller Regel widerfährt dem/der Therapeut:in natürlich nichts von dem Gewünschten. Sollten Sie Zweifel haben, ob der/die Patient:in Ihnen etwas Gemeines gewünscht hat, dann fragen Sie nach. Wenn trotz Aufforderung die Übung nicht mitgemacht wurde, dann arbeiten Sie heraus, dass der/die Patient:in ganz augenscheinlich glaubt, dass es schlimm bzw. schädlich ist, etwas Gemeines zu denken. Machen Sie deutlich, dass es sich dabei um eine weit verbreitete Ansicht handelt, was aber nicht bedeutet, dass diese zutrifft. Denn wir alle denken immer wieder etwas Negatives über andere Menschen. In aller Regel passiert den betreffenden Personen trotzdem nichts Schlimmes. Außerdem tun solche Gedanken anderen Menschen nur dann weh, wenn diese Gedanken unser Handeln bestimmen, z.B. wenn wir jemanden beschimpfen. Gedanken an sich sind also weder gefährlich noch schädlich!

Wolfgang Briegel

© Daggi Binder, maizucker.de

Dr. med. habil. Wolfgang Briegel ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Leopoldina Krankenhaus in Schweinfurt. Er leitet die Akademie für Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter in Schweinfurt und ist weltweit als Trainer für Parent-Child Interaction Therapy (PCIT) tätig. Zudem ist er Dozent und Supervisor an verschiedenen Psychotherapie-Instituten. Er ist Autor des Buches »Störungsübergreifende Gruppenpsychotherapie für Jugendliche. Das TOP-FIT-Training zur Stärkung des Inneren Teams«  erschienen 2022 bei Beltz.

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