In unserer globalisierten Welt ist Kulturkompetenz ein Schlüsselelement in vielen Bereichen, insbesondere in der Psychotherapie, Bildung und Beratung. Dabei geht es darum, wie Kultur unsere Wahrnehmung und Bewertung von Handlungen, unsere Sehnsüchte und unsere Verbundenheit mit anderen beeinflusst. Vielleicht haben auch Sie diese Erfahrung gemacht: Immer häufiger haben Ihre Patient:innen im stationären oder ambulanten Setting die unterschiedlichsten kulturellen Hintergründe. Dabei prägen verschiedene kulturelle Aspekte wie Ethnie, Religion, Sprache oder persönliche Lebensentwürfe die individuelle Kultur eines Menschen. Die Bereitschaft, kulturspezifische Unterschiede zu berücksichtigen und interkulturelle Gemeinsamkeiten zu nutzen, kann zu einem zentralen Faktor für den Therapieerfolg des Einzelnen werden. Denn nicht nur Sprachbarrieren, sondern auch unterschiedliche Ausdrucksweisen von Symptomen und Gefühlen sowie kulturell bedingte Unterschiede in Verhaltensweisen und Erwartungen können schnell zu Missverständnissen führen. Im schlimmsten Fall beeinträchtigen sie das Vertrauen in der Patient:innen-Therapeut:innen-Beziehung. Eine kultursensible Sichtweise in der Psychotherapie erfordert daher eine tiefergehende Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Wertvorstellungen.
Warum Kulturkompetenz entscheidend ist
Kultur formt unser Verständnis von der Welt und beeinflusst, wie wir mit anderen interagieren. In der therapeutischen Praxis, in Bildungs- und Beratungskontexten eröffnet das Verständnis für kulturelle Unterschiede neue Wege, um Individuen effektiver zu unterstützen und zu fördern. Dafür ist es wichtig, über Kultur ins Gespräch zu kommen, auch die eigene Sozialisation und kulturelle Prägung gemeinsam zu reflektieren und sich mit dem Gegenüber über unterschiedliche kulturelle Sichtweisen auszutauschen. Doch wie kann dies gelingen? Vor allem der kollegiale Austausch in Super- und Intervision kann helfen, einen vorurteilsfreien Umgang mit anderen Kulturen zu gestalten und Empfehlungen und Lösungen für herausfordernde Situationen zu entwickeln. Auch einmal einen klassischen Perspektivwechsel im Zuge einer Selbsterfahrung einzunehmen, in dem man sich – zum Beispiel in Erinnerung an eigene Urlaube in fernen Ländern –selbst in die Rolle eines »Ausländers« versetzt, um die Hürden zu erkennen, die Patient:innen aus anderen Kulturen hier in Deutschland womöglich erleben. Und allem voran steht die Kommunikation mit Ihren Klient:innen im Mittelpunkt. Wir empfehlen Ihnen die nachfolgenden Fragen zu nutzen, um mit Ihren Klient:innen in ein offenes und konstruktives Gespräch über Kultur zu kommen:
Anwendung in der Praxis: Fragen zur Kulturreflexion
1. Wie beeinflusst Ihre Kultur die Art und Weise, wie Sie Ihr eigenes und das Handeln anderer bewerten?
Diese Frage hilft zu verstehen, wie kulturelle Prägungen unsere Bewertungen und Urteile formen. Sie fördert das Bewusstsein darüber, wie kulturelle Normen und Werte die persönliche Sichtweise beeinflussen.
2. Inwiefern beeinflusst Ihre kulturelle Herkunft Ihre Sehnsüchte und Lebensziele?
Diese Frage ermöglicht es, in Beratungs- und Bildungskontexten tiefer in die kulturell bedingten Sehnsüchte und Bestrebungen einzutauchen und zu erkunden, wie diese die Lebensgestaltung der Individuen beeinflussen.
3. Wie prägt das Teilen einer gemeinsamen Kultur Ihre Beziehungen zu anderen Menschen?
Anhand dieser Frage können Individuen reflektieren, wie die gemeinsame kulturelle Basis Beziehungen und das Gefühl der Zugehörigkeit stärkt, andere aber möglicherweise auch ausschließt.
Mehrsprachigkeit als Brücke in der Kulturarbeit
Es kann im psychotherapeutischen und beraterischen Kontext auch hilfreich sein, mit mehrsprachigen Materialien zu arbeiten, um den Zugang zu den Patient:innen zu finden und sie zum Austausch über kulturelle Grenzen hinweg zu ermutigen. Darüber hinaus unterstützen sie das Verständnis und die Empathie in multikulturellen Kontexten.
Fazit: Kulturkompetenz als integrativer Bestandteil von Beratungs- und Bildungskontexten
Kulturkompetenz ist ein wesentlicher Bestandteil in Therapie, Bildung und Beratung. Sie ermöglicht es Fachkräften, individuelle und kulturelle Aspekte in ihrer Arbeit zu berücksichtigen und zu integrieren. Materialien wie Kartensets eignen sich dabei besonders gut, um das Bewusstsein für kulturelle Themen zu schärfen und einen Dialog darüber zu initiieren. Das bietet die Chance, nicht nur individuelle, sondern auch kulturelle Dimensionen in der Betreuung und Förderung von Menschen zu berücksichtigen und zu nutzen.
Die Autorinnen
Claude-Hélène Mayer ist Professorin für Industrial and Organisational Psychology, Mediatorin und Ausbilderin für Mediation, systemische Therapeutin und Lehrtherapeutin, Forschungsschwerpunkte: Interkulturelle Konflikte und Mediation, Frauen in Führung, Liebe, Scham, Psychobiographie, Arbeit 4.0., Führungskräfteentwicklung.
Elisabeth Vanderheiden ist interkulturelle Mediatorin, Pädagogin und Theologin. Sie ist Bundesvorsitzende der Katholischen Erwachsenenbildung Deutschland sowie Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, CEO des Global Institute for Transcultural Research und Herausgeberin diverser Fachbücher zu transkulturellen Kontexten von Scham, Liebe und Humor.
Bei Beltz ist von den Autorinnen 2024 das Kartenset »KulturWelten« erschienen.