»Das habe ich mir ganz anders vorgestellt«: Zur Relevanz therapeutischer Unterstützung bei peripartalen psychischen Belastungen

Die öffentliche Darstellung von Eltern mit Babys und Kleinkindern vermittelt die Idee, die frühe Elternschaft sei ein selbstverständliches Ereignis von Glück und Freude: strahlende, liebende Eltern, die ihre Kinder im Arm halten. Gesunde, friedliche Säuglinge. Stolze, neugierige, fröhliche Geschwisterkinder. Aber selbst, wenn Eltern sich über die Geburt ihres Kindes gefreut haben und ihre Kinder lieben, sind in dieser Zeit nach der Geburt Sätze wie die folgenden nicht selten zu hören:

  • »Ich halte das nicht mehr aus, mir fällt die Decke auf den Kopf.«
  • »Wo bin ich nur geblieben, ich habe kein Leben mehr.«
  • »Ich dachte, mir geht das Herz auf. Aber ich kann gar nichts für mein Kind empfinden.«
  • »Vor Angst und Sorge um mein Kind kann ich kaum ruhig schlafen.«
  • »Niemals hätte ich gedacht, dass Stillen so schwierig ist.«
  • »Ich bin eine schlechte Mutter.«
  • »Es war ein Fehler, ein Kind zu bekommen.«


Die meisten Eltern sind über die Geburt des Kindes, also die Entbindung im engeren Sinne, bestens informiert. Sie werden jedoch oft unvorbereitet mit der Realität der typischen physischen, psychischen und sozialen Stressoren der Zeit um die Geburt und vor allem der frühen Elternschaft konfrontiert: Schlafdefizit, körperliche Erschöpfung, Verantwortung für Leben und Gedeihen des Kindes, Auseinandersetzung mit den eigenen Erwartungen und Rollenbildern, Aufbau von Unterstützungssystemen in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis. Sie stoßen an die Grenzen des Machbaren – z.B. der Vereinbarkeit eigener und kindlicher Bedürfnisse – und ihrer Belastbarkeit. Es sind diese Aspekte und die damit verbundene Lebensumstellung, die manche Eltern den Eintritt in die Elternschaft als besonders herausfordernd erleben lassen und die Anfälligkeit für psychische Störungen erhöhen. Klagen über körperliche Beschwerden, extreme Überforderung im Alltagsmanagement, Zweifel an den Fähigkeiten als Mutter/Vater, Schlafstörungen, die über die Unterbrechungen durch das Baby hinausgehen, Ängstlichkeit und Besorgtheit, Zwangsgedanken (Gedanken, das Kind zu schädigen), Stimmungslabilität, Gefühllosigkeit gegenüber dem Kind sowie massive Stillprobleme können erste Anzeichen peripartaler psychischer Erkrankungen sein.

Der Übergang zur Elternschaft: Ein komplexer psychologischer Entwicklungsprozess

Die gesellschaftliche Wertschätzung von Elternschaft und Familie ist hoch – und die Erwartungen sind es auch. Feinfühlige, kompetente Eltern sollen ihre Säuglinge von Geburt an ganz selbstverständlich körperlich und emotional versorgen. Entwickeln sich derartige »intuitive« Elternkompetenzen nicht, helfen ein breites Spektrum an Elternratgebern oder professionell geleiteten Eltern-Kind-Kursen, das Baby zu verstehen und optimal zu fördern. So erscheint Elternschaft erlernbar, solange Eltern nur willig sind und die vorgehaltenen Angebote nutzen. Zweifellose Machbarkeit wird suggeriert.

Der Übergang in die Elternschaft ist allerdings ein komplexer psychologischer Entwicklungsprozess, der mit erhöhtem Stress, mit körperlichen, kognitiven, affektiven und sozialen Herausforderungen sowie intensiven und tiefgreifenden Veränderungen und Anpassungen verbunden ist. Die Veränderungen, die im Laufe dieses Prozesses stattfinden, gehen mit Gewinnen und Verlusten einher und stellen Selbstwirksamkeit und Kompetenzerleben in zahlreichen Lebensbereichen der Eltern in Frage. Dieser Prozess, der alle Eltern betrifft, beginnt schon in der Schwangerschaft, setzt sich in den ersten Lebensjahren des Kindes fort und wird letztlich häufig thematisch in den Symptomen der Erkrankungen aufgegriffen.

Frühzeitige therapeutische Interventionen zur Stützung der Eltern-Kind-Beziehung

Nicht nur die Prävalenzzahlen, sondern vor allem die Folgen der Erkrankung für den betroffenen Elternteil, für den Aufbau einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung und für die kindliche Entwicklung und Gesundheit sind ausschlaggebend für die hohe therapeutische Bedeutung peripartaler psychischer Belastungen und Erkrankungen. Der Zusammenhang zwischen elterlicher psychischer Erkrankung und langfristigen Beeinträchtigungen der emotionalen und kognitiven Entwicklung des Kindes ist nur zu einem geringen Anteil durch biologische und genetische Mechanismen zu erklären. Vielmehr ist die frühe Eltern-Kind-Beziehung der Transmissionsweg, über den Entwicklungsbeeinträchtigungen vermittelt werden. Kommt es krankheitsbedingt zu einer Fehlpassung zwischen einem Elternteil und dem Kind, überdauert diese oft das Abklingen der psychischen Erkrankung. Die genannten gesundheitlichen Aspekte unterstreichen die Wichtigkeit frühzeitiger therapeutischer Interventionen, die sich nicht nur auf die Behandlung der psychischen Störung des betroffenen Elternteils beschränken. Die Notwendigkeit, Entwicklungsdefizite der Kinder durch den protektiven Effekt einer gelungenen Eltern-Kind-Beziehung vorzubeugen, ist das entscheidende Argument dafür, beziehungsfördernde Interventionen, z.B. zur Erweiterung des elterlichen Verhaltensrepertoires oder zum besseren Verständnis des kindlichen Verhaltens, in ein Therapiekonzept zu integrieren.

Die Autorinnen

Dr. Patricia Trautmann-Villalba, Dr. Psic., Lic. Psic., UNC, Argentinien. Psychologin, Dozentin, Supervisorin. Vorstandvorsitzende der Marcé Gesellschaft (2012–2019). Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Starke Bande in Frankfurt a. M.

Dr. Sarah Hain, Dr. rer. nat., Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie), systemische Paartherapeutin, Supervisorin. Praxis für Psychotherapie, Paartherapie und Beratung mit Schwerpunkt Peripartalzeit in Frankfurt a. M.

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