Die leise und die laute Wahrheit: Konfrontieren als wirkungsvolles therapeutisches Werkzeug

Es ist Donnerstagnachmittag. Der Behandlungsraum ist aufgeräumt, die Sitzungen dokumentiert und die Praxiswoche ist für mich beendet. Ich blicke zurück auf viele intensive und gut verlaufende Sitzungen. Da war z.B. Frau Z., die es nach langem Zögern endlich geschafft hat, sich bei der Arbeit abzugrenzen und die mir strahlenden Augen von dieser tollen, befreienden Erfahrung berichtet hat. Oder Herr A., der sich auf das imaginative Rescripting zum ersten Mal wirklich einlassen konnte. Er erlebte, dass es eine Ursache für seine ständigen Schuldgefühle gibt, die er im Alltag erlebt – ein wertvoller Aha-Moment für ihn.
In vielen Stunden konnte produktiv psychotherapeutisch gearbeitet werden. Die Patient:innen haben Fortschritte gemacht und mitgearbeitet.

Schwierige Situationen im Arbeitsalltag

Aber da gab es auch die unschönen Begebenheiten im psychotherapeutischen Praxisalltag.

Herr X.: Das ewige »Ja, aber…«. Da ist zum Beispiel Herr X. Er kommt gern zur Therapie, ist zuverlässig, freundlich und spricht offen über die Herausforderungen in seinem Leben. Auf den ersten Blick eine ideale Grundlage für eine therapeutisch wirkungsvolle Zusammenarbeit. Und dennoch: auch nach diversen Sitzungen mit den verschiedensten Techniken und Interventionen ändert sich nicht wirklich viel an seiner Depression. Er gibt die Verantwortung immer wieder ab und findet Gründe, warum er sich keine Zeit für schöne Unternehmungen oder Selbstfürsorge nehmen kann. »Ja, aber« ist sein ständiger Begleiter und nach spätestens 10 Sitzungen macht sich in mir eine Mischung aus Ärger, Frust und Verzweiflung breit.

Herr Y.: Ein Festhalten an der verlorenen Beziehung. Ein anderes Beispiel ist Herr Y. Der wünscht sich seine Exfrau zurück. Die beiden sind schon seit Jahren getrennt. Sie lebt längst in einer neuen Partnerschaft, während er unbeirrt weiter von der gemeinsamen Zukunft träumt und jegliche emotionale Auseinandersetzung mit der Trennung und der aktuellen Einsamkeit vermeidet. Er findet immer wieder Argumente, warum sie eines Tages zurückkommen wird. Für mich als Therapeut:in entsteht der Eindruck, dass er den Traum nicht loslassen möchte und sich weigert, sich mit dem Abschied und den dazugehörigen Emotionen auseinanderzusetzen. Das verstehe ich, aber es wird ihm nicht besser gehen, wenn er nicht loslässt und sich seiner Zukunft widmet.

Frau X.: Zwischen Schuldgefühlen und dem Wunsch die perfekte Tochter zu sein. Dann war da noch Frau X. Ihr geht es auch sehr schlecht. Sie fühlt sich schuldig, weil sie immer wieder gemein zu ihren Kindern ist, diese beleidigt und wütend wird, wenn die beiden Töchter »nicht funktionieren«. Gleichzeitig versucht sie alles, um ihren eigenen Eltern die perfekte Tochter zu sein, in der Hoffnung, eines Tages Anerkennung und Stolz zu erfahren. Die hingegen empfinden die Aufopferung ihrer Tochter als selbstverständlich und verhalten sich kühl, abwertend und fordernd.

Konfrontieren in der Psychotherapie

Es gibt viele Beispiele für herausfordernde Situationen in der Therapie. Oft gelingt es mit Empathie, Validierung, sokratischer Gesprächsführung und bekannten Interventionen, Veränderungen zu initiieren. Dann wird die Therapie ein Erfolg und im besten Fall verlassen die Menschen die Praxis irgendwann symptomfrei oder zumindest in deutlich besserem Zustand.
Doch manchmal reichen diese bewährten Ansätze nicht aus. Bestimmte interaktionelle Muster erweisen sich als zu hartnäckig, dysfunktionales Verhalten wird dauerhaft bagatellisiert und beschönigt, an Illusionen wird festgehalten. In einigen Fällen werden auch die Grenzen von Behandler:innen überschritten, sie werden abgewertet, angeflirtet oder hören sich menschenverachtende Aussagen an.

Dann lohnt sich ein Umdenken und der Mut, »etwas Neues auszuprobieren«. Eine Möglichkeit, die mitunter gescheut wird, ist die Konfrontation. Konfrontieren wird oft mit harten Worten und dominantem Verhalten der Therapeut:innen assoziiert. Die Angst, dass die therapeutische Beziehung einer Konfrontation nicht standhält, ist groß. Wir wollen und sollen ja helfen und niemanden »fertigmachen«.
Aber es ist beides möglich. Man kann Patient:innen konfrontieren, sie auf Themen hinweisen und dabei deutlich, klar, manchmal vielleicht sogar laut und schroff sein und gleichzeitig eine therapeutische Beziehung gestalten und aufrechterhalten.
Manche Themen werden von unserem Gegenüber nicht »durch die Blume« verstanden, sondern brauchen eine klare Ansage. Genau diese kann der entscheidende »Changing-Point« in einem Behandlungsverlauf sein.
So wie bei dem erwähnten Herrn X. eine Woche später: Mithilfe einer Konfrontation im Stuhldialog erkannte er, dass er selbst die Verantwortung für Veränderungen übernehmen muss. Es fiel ihm zwar schwer, sich auf die Übung einzulassen, doch er vertraute dem Prozess und war sich sicher, dass das keine Intervention gegen ihn, sondern eine für ihn ist. Es wird spannend, welche Schlüsse er im Laufe der Woche bis zur nächsten Sitzung zieht.
Bei Frau X. stellte sich die Konfrontation in der folgenden Woche ganz ruhig und empathisch dar. Sie wusste genau, dass sie ihre Kinder so nicht behandeln sollte. Das klare Ansprechen half ihr, dies nicht länger zu verdrängen. Gleichzeitig konnte sie sich gut darauf einlassen, neue Skills zur Emotionsregulation auszuprobieren, um ihren Ärger zukünftig besser zu regulieren.
Diese Beispiele verdeutlichen: Konfrontation hat viele Gesichter. Sie kann schroff sein, aber auch leise, direkt oder behutsam. Entscheidend ist die therapeutische Haltung: Klarheit kann große Veränderung im Sinne unserer Patient:innen bewirken.

Konfrontieren im Praxisalltag

Doch welche dysfunktionalen interaktionellen oder Verhaltensmuster eignen sich für konfrontative Interventionen? Wie kann die Konfrontation gestaltet werden, damit sie die Beziehung nicht gefährdet? Hilfreich ist es aus meiner Erfahrung, konkrete Modellbeispiele und Anleitungen griffbereit zu haben. So wird Konfrontation nicht zum »blinden Drauflos«, sondern zu einem gezielten und reflektierten Werkzeug, das Sicherheit gibt.

Darüber hinaus kann es lohnend sein, die eigene Haltung zu reflektieren: Wo vermeide ich klare Worte? Welche Situationen machen mir persönlich Angst? Gerade die Auseinandersetzung mit eigenen Hürden und Schwierigkeiten im Rahmen der Selbsterfahrung ermöglicht professionelles Wachstum. Und weil wir genau das für so wichtig empfinden, haben wir selbst ein Kartenset entwickelt, welches je nachdem welches Problem im Praxisalltag auftaucht, die passende Intervention aufzeigt und ideal zur Vorbereitung auf die nächste Sitzung genutzt werden kann.

Die Autorin

Ruth Kohlhas ist Psychologische Psychotherapeutin, Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. Während ihrer langjährigen Tätigkeit in einer stationär betreuten Wohneinrichtung machte sie umfassende Erfahrungen zu den Grenzen von Psychotherapie und herausfordernden Therapieverläufen. Aktuell ist sie angestellte Psychotherapeutin in einem gemeinnützigen MVZ des Nussknacker e.V. in Hamburg. Ihr Fokus liegt auf der therapeutischen Beziehungsgestaltung, komplexen Therapieverläufen und der Schematherapie. Gemeinsam mit Gitta Jacob hat sie 2025 das Produkt »Konfrontieren in der Psychotherapie. 75 Therapiekarten« veröffentlicht.

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