Alljährlich findet am 10. Oktober der internationale »World Mental Health Day« (Welttag der psychischen Gesundheit) mit dem Ziel statt, weltweit über psychische Krankheiten zu informieren, das Bewusstsein für seelische Probleme zu schärfen und die psychische Gesundheit zu stärken. Das Motto dieses Jahr: Psychische Gesundheit und Wohlbefinden für alle zu einer globalen Priorität machen!
Warum das soziale Miteinander so bedeutsam ist
Um unsere körperliche Gesundheit nicht zu gefährden, mussten wir während der COVID-19-Pandemie in den letzten zwei Jahren Abstand zueinander halten und Kontakte reduzieren. Doch der Mensch ist ein soziales Wesen. Er braucht andere Menschen, um gesund zu bleiben. Daher ist es naheliegend, dass soziale Isolation und Einsamkeit nicht nur in Verbindung mit geringerer physischer, sondern insbesondere auch mit geringerer mentaler Gesundheit steht. Das wird v.a. durch den Anstieg von Angst- und Depressionserkrankungen in der Bevölkerung infolge der Pandemie deutlich.
Dieser Anstieg ist jedoch nicht nur alleine durch die Unsicherheit und Sorgen zu erklären, die mit der bedrohlichen und außergewöhnlichen Lage einhergingen. Er ist auch dadurch bedingt, dass fehlende Interaktion und der Abbruch bzw. Wegfall des sozialen Kontakts den menschlichen Körper in Stress versetzt hat. Mit dem Wiedergewinn von Freiheit und der Renaissance des sozialen Miteinanders erscheint es nun wesentlich, auch die mentale Gesundheit wieder in den Fokus zu rücken und das Wohlbefinden mehr denn je zur Priorität zu machen.
Und das wird uns gelingen! Denn auch wenn wir uns als ohnmächtig und wenig selbstwirksam während der letzten Jahre gefühlt haben, sind wir doch alle mit einer guten Fähigkeit ausgestattet: jener Fähigkeit, die es uns ermöglicht, Gefühle beeinflussen und regulieren zu können.
Doch wie entwickeln sich Emotionsregulationsfähigkeiten überhaupt?
Zu Beginn des Lebens unterstützen Bindungspersonen die Regulation der Gefühle eines Kindes. Die sog. »Ko-Regulation« durch Außenstehende (z.B. durch ein tröstendes In-den-Arm-nehmen) ermöglicht die Erfahrung einer gemeinsamen Bewältigung von als überbordend erlebten Gefühlszuständen. Nach und nach lernen sie aus diesen guten Erfahrungen und führen die Bewältigungshandlungen selbst mit der Zeit selbstständig aus. Und das geschieht mit zunehmendem Alter auch kognitiv, zum Beispiel über positives Denken. Trotzdem ist und bleibt Körperkontakt ist eine wichtige Ressource zur Emotionsregulation. Denn unabhängig vom Alter reduziert Körperkontakt Stress, bewirkt Entspannung und erzeugt Gefühlszustände wie Sicherheit und Geborgenheit. Und das zeigt sich auch auf physiologischer Ebene in messbaren Veränderungen der Herzrate, des Blutdrucks und der Konzentration von Cortisol und Oxytocin, zwei unserer Hormone, die am Erleben und Bewältigen von Stress beteiligt sind. Vor allem das »Bindungshormon« Oxytocin wirkt auf den menschlichen Körper beruhigend und kann im wahrsten Sinne die Verbindung hin zum körperlichen und mentalen Wohlbefinden sein! Und das Gute: Hierbei kann sich jeder Einzelne wieder als selbstwirksam erleben. Denn Menschen können die Oxytocinausschüttung aktiv fördern - insbesondere über Körperkontakt.
Wie das gehen soll? Die Schmetterlingsumarmung…
Ganz einfach mit einer Umarmung! Dem Körperkontakt liegen zwei besondere Fähigkeiten inne. Zum einen wirkt körperliche Nähe nicht nur in eine Richtung, sondern gleichzeitig auf beide Personen: Der eine, der positive Zuwendung erfährt und der, der durch seine Nähe einen positiven Einfluss auf den anderen nehmen kann. Zum anderen werden dem Menschen Körperkontakterfahrungen nicht nur im Miteinander mit einem anderen Menschen ermöglicht, sondern er kann diese auch selber herstellen: in der bewussten Zuwendung zu sich selbst und seinem Körper.
Hierbei kann folgendes Embodiment helfen: Um sich bei akutem Stress zu erden, kann die Schmetterlingsumarmung eingesetzt werden. Sie steht für eine innere, liebevolle Haltung sich selbst gegenüber und bewirkt durch sanfte Selbstberührung Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit.
Denn der liebevolle Umgang mit seinem Körper fördert die Oxytocinausschüttung. Stress wird reguliert. Der Körper kommt zur Ruhe.
Doch nicht nur unser Körper, sondern auch unsere Gedanken und Gefühle können sich beruhigen. Das geschieht, wenn wir unseren Gedanken und Gefühlen achtsam begegnen. Wir schieben sie nicht weg, wir bewerten sie nicht. Wir nehmen sie nur wahr, lassen sie passieren und vorbeiziehen. Denn aufkommenden Gedanken achtsam und wertungsfrei zu begegnen, schafft Raum zur Entfaltung und Entspannung. Zwar verändern wir dadurch nicht den Stress und die Belastungen des Alltags per se - das müssen und können wir manchmal auch nicht. Aber wir verändern unseren Umgang mit der Situation, indem wir den Umgang mit uns selbst verändern. Wir lernen, dass wir auf unseren Körper, unsere Gefühle und Gedanken einen beruhigenden Einfluss nehmen können und gewinnen dadurch Zuversicht und Vertrauen in uns selbst.
Und so setzen Sie die Segel für Selbstannahme und Selbstberuhigung
- Kreuzen Sie Ihre Arme und legen Sie Ihre Hände auf Ihre Brust.
- Ihre Fingerspitzen berühren sanft die Schlüsselbeine.
- Klopfen Sie mit Ihren Fingern abwechselnd oder gleichzeitig; das Tempo und den Rhythmus bestimmen Sie.
- Atmen Sie langsam und tief, mit offenen oder geschlossenen Augen
- Beenden Sie die Übung, wenn der Körper Ihnen Entspannung signalisiert.
Warum auch Therapeut:innen von der Übung profitieren
Uns selbst umarmen, um dem Körper zu zeigen »Ich habe dich nicht vergessen, du bist mir wichtig« ist nicht nur gut für uns. Es bildet zudem die Grundlage, dass sich auch die Menschen entspannen können, die uns am Herzen liegen. Sind wir entspannt, können sich auch andere sicher in unserer Nähe fühlen. Um Neues auszuprobieren, mutig zu sein, interessiert zu bleiben! Das gilt zum einen für die Beziehung zwischen Therapeut:innen und Patient:innen: Denn sich selber entspannen zu können und sich mit einer Schmetterlingsumarmung achtsam zu begegnen, trägt nicht nur zum Erhalt der eigenen mentaler Gesundheit bei, sondern auch dazu, die mentale Gesundheit Ihrer Patient:innen zu fördern und zu unterstützen. Nehmen Sie sich daher Raum für sich, um Entspannungsgefühle zu entfalten.
Zum anderen gilt dies auch für soziale Beziehungen über den therapeutischen Kontext hinaus, innerhalb der Familie, partnerschaftlichen Beziehungen oder Freundschaften, in denen uns Menschen wichtig sind. Insbesondere im Hinblick auf unsere Kinder ist dies notwendig, denn sie brauchen noch unsere Unterstützung auf der Reise ins Leben. Sie befinden sich noch auf dem Weg, ihre Gefühle kennenzulernen und zu erkunden und Emotionen regulieren zu lernen. Nehmen wir uns daher einen Moment Zeit, kommen zur Ruhe und erden uns – so können wir Kindern gute Begleiter, Vorbilder und Mitmenschen sein.
Denn ob nun Therapeut:innen, Patient:innen, Erwachsene oder Kinder: Lassen Sie uns psychische Gesundheit und Wohlbefinden für uns alle zu einer globalen Priorität machen – und das mit kleinen Zeichen der Wertschätzung uns selbst und so auch anderen gegenüber!
Die Autorin
M. Sc. Psychologin Marny Münnich ist Psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihr therapeutischer Schwerpunkt liegt insbesondere in der Behandlung von Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Sie ist Autorin des Kartensets »Expedition Esel« mit 99 Übungen zum Entdecken der eigenen Gefühlswelt für Kinder/Jugendliche, erschienen 2022 bei Beltz.