Auch wenn psychotherapeutische Techniken zum Umgang mit Wahn und belastenden Stimmen vielen Therapeut:innen durch Ausbildung und Workshops bereits gut bekannt sind, ist der Moment, in dem ein:e Patient:in in der Therapie zum ersten Mal über eine ungewöhnliche Überzeugung spricht, ein besonderer Moment, der zunächst zu Unsicherheit führen kann. Auch wenn Patient:innen über ungewöhnliche Dinge berichten (beispielsweise Stimmen, die andere Menschen nicht hören), ist man als Therapeut:in vielleicht etwas herausgefordert.
Ungewöhnliche (bedrohliche) Überzeugungen und Stimmen: Offen reagieren und die Erfahrungen validieren
Bei Gesprächen über Wahn ist es aus meiner Sicht empfehlenswert, offen auf die Erfahrungen zu reagieren und zu versuchen, die Erfahrungen und Sichtweisen der Patient:innen möglichst genau zu verstehen. Dabei ist es günstig, möglichst viele Verständnisfragen zu stellen, um die Situation und das Erleben des/der Patient:in möglichst genau zu verstehen. Man könnte auch sagen, dass hier die folgende Grundregel gilt: Reagiere so, wie du es dir (wenn du jemanden von einem ungewöhnlichen Erlebnis erzählst), für dich selbst oder deine Angehörigen wünschen würdest. Günstig ist sicherlich auch, sich für das Vertrauen des/der Patient:in zu bedanken, da es sicherlich nicht leicht ist, eine so ungewöhnliche Erfahrung mit einer anderen Person zu teilen.
Wenn Patient:innen über mächtige oder bedrohliche Stimmen berichten, können Sie als Therapeut:in ganz ähnlich vorgehen, viele Fragen stellen, die Erfahrungen und Gefühle validieren und empathisch reagieren. Versuchen Sie, die Situation so genau wie möglich zu verstehen.
Sinnvoll ist es auch, über die eigenen Gefühle zu sprechen, die durch die Berichte des/der Patient:in ausgelöst wurden, die ja manchmal wirklich erschreckend oder beängstigend klingen und auch Wut auslösen können. Dabei sollte man sich immer vor Augen führen, dass Patient:innen diese Dinge häufig tatsächlich erlebt haben und ihre Empfindungen, Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen für sie meist sehr real sind.
Wenn Sie bemerken, dass Sie die Erfahrungen oder Einschätzungen, dass Ihr/Ihre Patient:in beispielsweise verfolgt wird, unglaubwürdig finden, ist dies zunächst eine normale Reaktion. Das, was die Patient:innen berichten, ist ja manchmal tatsächlich sehr unwahrscheinlich. Aus unserer Sicht ist es allerdings hilfreich, sich vorsichtig zu öffnen und die Patient:innen an diesem Dilemma teilhaben zu lassen. Sie können beispielsweise sagen, dass Sie die Sichtweise nachvollziehen können, aber dass es Ihnen schwerfällt, sich so etwas wirklich vorzustellen (z.B. wenn Patient:innen berichten, dass sie in einer anderen Klinik vergiftet wurden).
Wie reagiere ich auf Größenideen? Zum Umgang mit ungewöhnlichen Überzeugungen über besondere Fähigkeiten
Manche Patient:innen berichten ebenfalls von ungewöhnlichen Überzeugungen über eigene persönliche Fähigkeiten. Auch in diesem Fall sollten Sie positiv und validierend reagieren, beispielsweise den Patient:innen zu der persönlichen Fähigkeit gratulieren und sich für sie freuen. Dies ist für die therapeutische Beziehung sehr wichtig, da ein Anzweifeln der Fähigkeit als »Neid« ausgelegt werden könnte. Möglicherweise haben Patient:innen auch schon die Erfahrung gemacht, dass andere Menschen ihnen nicht glaubten und sind an dieser Stelle sensibilisiert. Eine positive und validierende Reaktion ist an dieser Stelle daher sehr wichtig. Letztlich ist auch der Glaube an die positive Fähigkeit eine wichtige positive Ressource, wenngleich es auch sinnvoll ist, Patient:innen nicht darin zu unterstützen, sich selbst zu überschätzen und unangenehme Erfahrungen zu machen.
Habe ich nicht die Aufgabe, Patient:innen in die Realität »zurückzuholen«?
Das oben beschriebene Vorgehen mutet vielleicht etwas extrem an, da man auch die Ansicht vertreten könnte, dass Therapeut:innen die Aufgabe haben, Patient:innen mit ungewöhnlichen Überzeugungen oder Stimmen »in die Realität zurückzuholen«. Aber das ist meistens nicht unser therapeutischer Auftrag. Auch ist es schwierig einzuschätzen, was Patient:innen tatsächlich »real« erlebt haben. Aus unserem Studium wissen wir, dass es sehr viele gedankliche Verzerrungen (»Biases«) gibt, die auch bei »gesunden« Menschen auftreten und die zu vielen gesellschaftlichen und sozialen Konflikten führen können. Es ist sozusagen »normal«, die Realität nicht immer vollkommen objektiv zu betrachten.
Im späteren Verlauf einer Psychotherapie kann es jedoch sinnvoll sein, gemeinsam mit den Patient:innen an einer günstigeren Sicht auf die Realität zu arbeiten. Beispielsweise können bestimmte Überzeugungen (»andere Menschen haben es auf mich abgesehen und wollen mir schaden«) dazu führen, dass Patient:innen mit Psychosen wichtige persönliche Lebensziele nicht erreichen können. Beispielsweise wünschen sich Patient:innen eigentlich Freundschaften oder eine Partnerschaft, aber können aufgrund ungünstiger Überzeugungen und Erlebnisse anderen Menschen nicht mehr vertrauen. In einem solchen Fall ist es hilfreich, einen Zusammenhang zwischen den gedanklichen Überzeugungen und Ängsten in sozialen Kontakten herauszuarbeiten und die Überzeugungen zu überprüfen und möglicherweise zu verändern. Die Veränderung einer Überzeugung, um ein wichtiges Lebensziel zu erreichen, ist aber eine ganz andere motivationale Basis und gelingt sehr viel leichter, als eine Veränderung aufgrund normativer Überlegungen, dass die Überzeugung falsch sein könnte.
Bei zu positiven Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten, die zu sozialen Konflikten führen, könnten Sie mit Patient:innen alternative Umgangsweisen mit der besonderen Fähigkeit herausarbeiten und/oder überprüfen, wie es um die realistischen Stärken und Schwächen des/der Patient:in bestellt ist.
Zusammenfassend empfehle ich Ihnen, ungewöhnliche Überzeugungen und Stimmen genau so zu behandeln, wie wie alle anderen Überzeugungen auch, die Patient:innen zu Beginn einer Therapie mitbringen: mit Offenheit, Neugierde und der Validierung des Erlebens des/der Patient:in. Gleichzeitig ist es häufig wichtig, diese im späteren Verlauf der Therapie zu überprüfen und möglicherweise zu verändern, damit die Patient:innen ihre wichtigen Lebensziele wieder erreichen können - Ziele, die möglicherweise durch ihre psychischen Erkrankungen in den Hintergrund getreten sind.
Die Autorin
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Prof. Dr. Stephanie Mehl, Dipl.-Psych., ist Leitende Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums in Marburg.