Endlich ist es soweit: Meine Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin geht los! Ich sitze im Seminarraum meines Instituts, einem mittelgroßen Raum mit Konferenzstühlen und einem laut brummenden Beamer, und mein erstes Seminar startet gleich. Ich schaue mich im Raum um und blicke in die konzentrierten, teilweise etwas nervösen Gesichter meiner Kommiliton:innen. Da ich meine Masterarbeit mitten im Semester abgeschlossen habe, bin ich nicht beim regulären Start meines Jahrgangs dabei gewesen, sondern später dazu gestoßen. Das ist aber nicht problematisch, ich muss lediglich zwei Seminare nachholen. In den Händen halte ich meine Einführungsmappe, die mir die Ausbildungsleiterin kurz vor der Veranstaltung überreicht hat. Ich freue mich zwar, dass es endlich losgeht, doch jetzt, wo es wirklich ernst wird, werde ich auch langsam nervös. Gedankenverloren schlage ich die erste Seite der Mappe auf. Dort ist noch einmal die Übersichtstafel über die verschiedenen Bausteine der Ausbildung abgebildet: verschiedene Balken übereinander gestapelt auf einem Zeitstrahl, teilweise verlaufen sie parallel. Praktische Tätigkeit 1, Praktische Tätigkeit 2, Praktische Ausbildung, Theoretische Ausbildung, Selbsterfahrung, Freie Spitze. Uff. Das sind ja eine ganze Menge Aufgaben, die da auf mich zukommen!
Das geht doch alles gar nicht unter einen Hut!?
Das Seminar startet und ich packe das Heft wieder weg. Wir beginnen mit einer Vorstellungsrunde. »Hallo, ich bin Mia und habe vorgestern die Ausbildung begonnen. Ich habe noch keine Berufserfahrung«, stelle ich mich peinlich berührt vor. Die anderen erzählen, wo sie gerade ihre PiP (Psycholog:innen im Praktikum) Stellen begonnen haben, einige haben noch keine gefunden. Wieder andere arbeiten seit vielen Jahren in Kliniken und wollen nun noch die Approbation erwerben. Auch ich habe bereits Bewerbungen an einige Kliniken rausgeschickt – bisher erfolglos. Entweder sind die Stellen schon für die nächsten zwei Jahre besetzt oder ich habe gar keine Antwort bekommen. Ich fühle mich niedergeschlagen und entmutigt, obwohl ich natürlich auch gehört habe, dass es normal ist, eine Weile suchen zu müssen. Es hat also vielleicht gar nicht so viel mit mir und meiner Kompetenz als Psychologin zu tun. Aber trotzdem: Es macht mir Angst, dass ich noch kaum Arbeitserfahrung habe – außer meiner klinischen Praktika im Studium vielleicht. In meinem Kopf scheint es unvereinbar zu sein, die praktische Tätigkeit und die Seminare am Wochenende unter einen Hut zu bekommen. Ich habe außerdem gehört, dass die praktische Tätigkeit meist immer noch gering bezahlt wird und mache mir Sorgen darum, wie ich mich über die Monate hinweg finanzieren soll. Irgendwie wächst mir das alles ganz schön über den Kopf! Ich fühle mich total aufgewühlt und ängstlich …
Ins kalte Wasser spingt man früh genug
»Jetzt mach aber mal halblang!«, unterbreche ich diese besorgte Stimme in meinem Kopf. Ich kenne sie schon lange und viel zu gut. Besonders in neuen, unübersichtlichen Situationen verschafft sie sich gerne Gehör. Eigentlich, so habe ich über die Zeit gemerkt, meint sie es ganz gut mit mir. Diese kritische Stimme warnt mich und gibt mir immer mal wieder nützliche Hinweise. Manchmal stresst sie mich aber auch einfach nur noch mehr und raubt mir den Mut, so wie jetzt. Zeit, wieder das Kommando zu übernehmen! Ich schließe kurz die Augen und atme tief ein … und aus … »Du schaffst das«, sage ich mir. »Überleg doch mal, was du schon alles hinter dich gebracht hast. Bis hierhin hast du doch schon so vieles bewältigt! Den Abistress, um die gute Note für die Bachelorzulassung für Psychologie zu bekommen. Das Bangen vor den Statistikklausuren. Dann wieder das Kämpfen um die Masterzulassung! Ich stand schon so oft vor scheinbar unlösbaren Aufgaben und beim Raufklettern auf diese Herausforderungsberge ist die Aussicht dann doch immer besser geworden! Mach einfach einen Schritt nach dem anderen. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass du erstmal ein paar Seminare besuchen kannst, bevor du ins kalte Wasser der Kliniktätigkeit springen musst!« – Schließlich sind diese langen Seminarwochenenden auch nicht ganz ohne. Völlig okay, mich erstmal daran zu gewöhnen.
Diese Vergleiche mit den anderen tun mir auch gar nicht gut, muss ich feststellen. Das habe ich doch eigentlich auch schon im Studium gelernt: Sich aufwärts zu vergleichen macht selten Mut! Es gibt sicher immer jemanden, der oder die gerade etwas weiter ist als man selbst. Ich stelle fest, dass es mir sicher viel mehr helfen würde, mich auf die gemeinsamen Herausforderungen zu konzentrieren und mich mit den anderen zu vernetzen, als mich mit den anderen zu vergleichen: Ich nehme mir vor, mich nach dem Seminar mit den anderen auszutauschen. Vielleicht haben diejenigen, die schon PiP-Stellen gefunden haben, nützliche Tipps für mich?
Vorbereitungen auf einen Marathon, nicht auf einen Sprint
Ich kann heute sagen, dass das tatsächlich einer der wichtigsten Ratschläge aus meiner Ausbildung ist, den ich geben kann! Niemand kann dich so gut unterstützen wie andere PiAs, die schließlich mit dir im selben Boot sitzen. Kaum jemand kann in dieser herausfordernden Zeit nachvollziehen, wie es dir geht. Jeder Austausch, egal ob in der Selbsterfahrung, bei der Zusammenarbeit in den Kliniken, bei Fahrgemeinschaften zu eurer gemeinsamen PiP-Klinik oder zwischen den Therapieräumen im Institut, war wie ein wichtiges Aufladen meiner inneren Ausbildungsbatterie. Denn man merkt: Das geht nicht nur mir so, dass ich manchmal nicht mehr weiter weiß! Das Vernetzen hilft ungemein, sich gegenseitig Stellen weiterzuvermitteln, geeignete Supervisor:innen zu finden oder Tipps zum Lernen zu bekommen. Nicht zu vergessen: all das gemeinsame Lachen bei falsch beantworteten Wissensfragen, wodurch man sich einfach alles besser merken kann!
Und was ich auch aus dieser ungeduldigen Anfangszeit gelernt habe: Manchmal lohnt es sich sogar, am Anfang nicht allzu sehr aufs Gaspedal zu drücken. Bei all den verschiedenen Herausforderungen, die die Ausbildung mit sich bringt, ist es natürlich verlockend, so schnell wie möglich loszulegen, um möglichst schnell voranzukommen. Möglichst bald die ersten Patient:innen sehen, die ersten Stundennachweise im Ausbildungsheft abhaken können! Es braucht aber Zeit, sich an neue Situationen zu gewöhnen und manche Prozesse und Findungsphasen brauchen auch mehr Zeit als gedacht und geplant. Sich selbst zu überfordern und übergroße Erwartungen an sich selbst zu stellen, führt meiner Erfahrung nach weniger dazu, alles schneller zu schaffen, sondern eher dazu, dass man schneller außer Atem kommt. Eine Psychotherapie-Ausbildung ist nämlich eher ein Marathon, kein schneller Sprint!
All diese Erkenntnisse hatte ich damals bei meinem ersten Seminar natürlich noch nicht. Das ist vielleicht auch die Krux solcher Momente: Hinterher ist man immer schlauer! Aber ich wusste schon damals, dass ich bereits andere herausfordernde Situationen hinter mir hatte, deren Bewältigung mir überhaupt erst den Weg zur Ausbildung geebnet hatten. Außerdem hatte ich bereits im Gepäck, was mir auch später über viele zähe Zeiten hinweghelfen sollte: eine riesige Neugier auf das, was da noch auf mich zukommen mag! Und genau diese Neugier, sich neben allen Sorgen, die noch kommen mögen, vor allem auf die nächsten Schritte deiner Psychotherapieausbildung freuen zu können, wünsche ich auch dir! In diesem Sinne: Auf ganz bald!
Deine Mia