Mia für PiA. Alle Jahre wieder: Weihnachtliche Meinungsverschiedenheiten

Hallo zusammen! Diesmal nehme ich euch mit … zu einem Weihnachtsfest bei mir zu Hause. Aber macht es euch nicht allzu gemütlich, denn diese Bescherung hat ihre Tücken!

Unterm Weihnachtsbaum prallen Welten aufeinander

Weihnachten, das Fest der Liebe und Besinnlichkeit! Ich bin im warmen, geschmückten Wohnzimmer meines Elternhauses. Die Stimmung ist heiter, die Lichter des glitzernden Weihnachtsbaums funkeln und irgendwo im Hintergrund dudelt ein Michael Bublé-Album. Doch ich bin unruhig. Denn meine Familie und ich …  nun ja, es ist kompliziert. Seit meiner Psychotherapieausbildung bin ich, nicht nur durch Selbsterfahrungen und die vielen Einblicke in die Familien anderer Menschen im Rahmen der Therapien, häufiger denn je dazu angehalten, meine eigenen Beziehungen, auch die familiären, genauer zu betrachten. Über Gefühle wird bei uns zu Hause nicht oft gesprochen. Psychische Erkrankungen sind für meine Familie etwas sehr schwer Greifbares: Depressive sollen »nicht so egoistisch sein«, Angststörungen sind »ein bisschen lustig«. Was in einer Psychotherapie passiert, ist eher unheimlich, schließlich redet man nicht über die persönlichen Probleme – schon gar nicht mit Fremden! Kurz gesagt: Wenn es um das Thema Psychotherapie geht, prallen zwischen meiner Familie und mir oft Welten aufeinander.

»Ich verstehe nicht, warum du mit solchen Menschen arbeiten willst …«

Ich habe noch nicht einmal meinen ersten Kloß verspeist, als mein Stiefopa Dieter - immer sehr interessiert an den Werdegängen der Familienmitglieder - schon das Gespräch auf meine Ausbildung lenkt: »Mia, bist du nun eigentlich fertig mit deinem Studium?« fragt er, während er nachdenklich an seinem Glas nippt. Ich atme tief durch: »Ja, schon seit ungefähr anderthalb Jahren. Ich mache jetzt aber noch diese Ausbildung zur Psychotherapeutin, das dauert nochmal so vier Jahre«, antworte ich wahrheitsgemäß. Ich weiß, dass es für meine Familie schwierig ist, das Konzept einer postgraduellen Psychotherapieausbildung zu verstehen. Mir fällt es ja selbst oft schwer, den Überblick über die noch vor mir liegenden Schritte zu behalten. Dennoch frustriert es mich sehr, die gleichen Fragen sooft beantworten zu müssen und dabei mit meiner eigenen Ungeduld über die Dauer der Ausbildung konfrontiert zu sein. »Mhm, mhm ...«, Dieter scheint meine Erklärung und den Braten erstmal ein bisschen verdauen zu müssen. »Und wann verdienst du dann endlich richtig Geld?«, kommt es spitz von meinem Vater. Diese Frage trifft mich mitten in die Magengrube. Die finanziellen Sorgen meiner Ausbildung beschäftigen mich fast täglich. Es fällt mir schwer, diese Frage nicht als Appell zu deuten, bereits ein gesichertes Einkommen haben zu sollen. Ich erzähle meiner Familie oft von den Herausforderungen der Ausbildung. Ganz sicher, ob sie das alles nachvollziehen können, bin ich aber nicht.  Die Sorge um ihr Verständnis ist für mich sehr belastend. Ich versuche, optimistisch zu bleiben und antworte: »Hoffentlich nach der praktischen Tätigkeit, Papa. Je nachdem, was ich danach für einen Job finde.« Ein kritisches Raunen geht um den Tisch und ich fühle mich zunehmend verunsichert. »Ich verstehe sowieso nicht, warum du unbedingt mit solchen Menschen arbeiten willst.«, legt mein Vater noch eins nach. Ich lege das Besteck zur Seite, presse ein ersticktes »Ich bin gleich wieder da …« hervor und verlasse die Weihnachtstafel.

Haben andere Familien auch solche Probleme?

Draußen vor dem Haus ist es kalt und schneelos. Ein paar Weihnachtslichter funkeln in den Einfahrten der Nachbar:innen und ich frage mich, wie harmonisch es wohl bei den anderen Familien so zugeht. Haben sie auch solche Probleme, sich gegenseitig zu verstehen und ihre Lebensentscheidungen nachzuvollziehen? Ich atme tief ein und aus. Die Zweifel und Nachfragen meiner Familie haben mich ganz schön getroffen. Ich merke, wie sich Zweifel in mir regen: War es vielleicht doch ein Fehler, die Ausbildung anzugehen? Sie haben ja an vielen Stellen auch recht. In anderen Berufen geht es vielleicht leichter zu. Hätte ich einen anderen Weg eingeschlagen, könnte ich jetzt vielleicht schon eine feste Stelle haben und müsste mich nicht mit all diesen Unsicherheiten herumschlagen. Vielleicht hätte ich dann auch mehr Unterstützung von meiner Familie ... Dieser Gedanke lässt mich nochmal etwas mehr frösteln. Eigentlich bin ich doch erwachsen und habe eine eigene Entscheidung für meine Berufswahl getroffen, hinter der ich auch stehe. Und auch wenn mich die Schwierigkeiten der Ausbildung oft ins Straucheln bringen, habe ich bisher so gut wie nie an meiner Begeisterung für den Therapieberuf gezweifelt. Ich bin eigentlich sehr dankbar, so eine große Faszination für mich gefunden zu haben. Warum bringt es mich dann so aus der Fassung, wenn meine Familie Schwierigkeiten hat, meinen Beruf zu verstehen?

Es ist eigentlich kein neues Phänomen, dass wir in unserer Familie Schwierigkeiten haben, einander zu verstehen, einander so anzunehmen, wie wir sind. Vielleicht rührt meine Faszination für die Psychologie auch zum Teil genau aus diesem Problem: Dem tiefen Wunsch in mir, mein Gegenüber verstehen lernen zu wollen. Um auch dort Brücken bauen zu können, wo das Verständnis füreinander brüchig ist. Eine Selbsterfahrungsleiterin hat einmal zu mir gesagt, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass jede:r Therapeut:in eine ganz eigene Geschichte mitbringt, die sie oder ihn dazu motiviert hat, sich diese spannende, aber oft auch belastende Arbeit auszusuchen. Es macht mich auch ein bisschen traurig, über all das nachzudenken. Ich stelle es mir schön und stärkend vor, Verständnis von der eigenen Familie ganz selbstverständlich zu bekommen, ohne viel dafür tun zu müssen. Aber zu akzeptieren, wie es nun eben ist, verspricht mir auch Erleichterung.

Was ich mir (nicht nur zu Weihnachten) wünsche

Ich habe in meiner eigenen Familie beobachten können, dass Stigmata über psychische Erkrankungen zu viel Leid führen können, wenn die Betroffenen zu große Angst haben, sich anderen zu öffnen und sich Hilfe zu suchen. Umso mehr bin ich heute davon überzeugt, dass es enorm wichtig ist, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen. Ich möchte, dass diese schwierigen Erfahrungen zu etwas Gutem beitragen. Ich möchte etwas aus ihnen mitnehmen. Es wäre schön, wenn ich mich meiner Familie noch mehr nähern könnte, ihnen vermitteln könnte, warum mir psychotherapeutische Themen so wichtig sind. Dass Beziehungen tiefer und erfüllender werden können, wenn man miteinander kommunizieren lernt. Dass es zwar schwierig sein kann, aber auch so befreiend, sich besser reflektieren zu lernen. Ich kann meine Familie natürlich nicht zwingen, meine Einstellungen zu teilen. Sie haben in ihren Leben andere Erfahrungen gemacht, die ihre Einstellungen sicher sehr geprägt haben, und das möchte ich respektieren. Gleichzeitig möchte ich aber, so beschließe ich nun, auch dafür einstehen, dass auch meine eigenen Einstellungen und Entscheidungen sein dürfen und nicht wiederholt kritisiert werden. Es ist okay, wenn mir nicht alle zustimmen, und trotzdem möchte ich meinen eigenen Weg gehen dürfen.

Ein kleines Weihnachtswunder

Ich atme noch einmal tief durch und gehe zurück ins Wohnzimmer. Inzwischen gibt es schon Nachtisch. Die anderen sind bereits in andere Gespräche vertieft. Möglichst unauffällig nehme ich wieder Platz. Opa Dieter lehnt sich zu mir herüber und räuspert sich. »Sag mal, Mia, mein Freund Franz ist gerade in so einer Psychoklinik … Ich versteh noch nicht so richtig, was mit ihm los ist. Meinst du, du könntest mir nachher mal ein paar Fragen beantworten?« Ich spüre, wie ein warmes Gefühl in mir aufsteigt. Ist da etwa gerade ein kleiner Schimmer Interesse aufgetaucht? Vielleicht ist es nur ein kleiner erster Schritt der Annäherung, aber für mich ist es ein kleines Weihnachtswunder. 

Ich weiß nicht, wie es euch, liebe Leser:innen, mit euren Familien geht. Vielleicht habt ihr sehr verständnisvolle und aufgeklärte Verwandte, vielleicht geht es hier und da mal gut, und trotzdem gibt es Themen, bei denen ihr euch gar nicht einig werdet. Mir hat es für solche schwierigen Situationen sehr geholfen, meine eigene Geschichte und die Menschen, die darin eine wichtige Rolle gespielt haben, schätzen zu lernen, auch wenn das nicht immer ganz einfach war. Mir hat es außerdem geholfen, mir bewusst zu machen, was mir im Leben und meiner Psychotherapieausbildung im Speziellen Sicherheit gibt – und diese Sicherheit nicht nur an die Zustimmung anderer zu knüpfen. Zum Beispiel glaube ich fest daran, dass es so wichtig ist, psychische Erkrankungen zu behandeln, statt an ihrer Existenz zu zweifeln. Außerdem hilft es mir, mich immer wieder an meine inneren Werte zu erinnern: Das sind für mich zum Beispiel Offenheit, Empathie und Hoffnung. Das ist nicht immer einfach, aber es kann so erfüllend sein, den eigenen Weg mehr und mehr selbstbewusst gehen zu lernen und dafür bin ich sehr dankbar. Habt frohe und besinnliche Weihnachten und eine tolle Zeit mit euren Liebsten!

Eure Mia

Tags: Mia für PiA
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