Psychoonkologie – Wieso neben der physischen Krebsbehandlung die psychische Unterstützung unentbehrlich ist

»Sie haben Krebs«. Es gibt wohl kaum eine Diagnose, die so einschneidend und existenzbedrohend ist wie die Diagnose Krebs. Gedanken an den Tod (»Das war‘s, jetzt muss ich sterben«) oder des Nicht-wahrhaben-Wollens (»Das kann doch nicht sein«) gehen vielen Betroffenen durch den Kopf, wenn sie mit der Diagnose konfrontiert werden. Nicht selten wird das Leben der Betroffenen auf den Kopf gestellt – Zukunftsängste und Sorgen sind plötzliche Dauerbegleiter.

Jährlich erkranken in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen neu an Krebs, über 5 Millionen Menschen leben mit oder nach einer Krebserkrankung und gelten als sog. »Cancer Survivors«. Eine Krebserkrankung geht allerdings nicht nur mit körperlichen Herausforderungen einher, sondern kann auch die Psyche maßgeblich beeinträchtigen. Hier setzt die Psychoonkologie an: Als Teildisziplin der Onkologie widmet sie sich den psychischen und sozialen Belastungen Krebserkrankter und ihrer Angehörigen. Dabei fokussieren die Unterstützungs- und Beratungsangebote auf eine Reduktion von Ängsten und Depressivität. Psychoonkologische Unterstützung kann sowohl während der Akutbehandlung als auch im Anschluss daran im stationären und ambulanten Setting erfolgen. Die psychoonkologische Versorgung kann die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, deshalb sollte sie zweifelsohne zum Standard einer multiprofessionellen, qualitativ hochwertigen und patientenorientierten Krebsmedizin gehören.

Die therapeutischen Methoden der Psychoonkologie 

Zunächst ist es wichtig zu erkennen, dass es in der Psychoonkologie darum geht, die Betroffenen in ihrem Leid zu begleiten – vom Umgang mit der Diagnose bis zum Tod oder dem Leben nach der Heilung. Therapeutisch im Fokus stehen dabei besonders belastende Ängste, wie vor dem Wiederauftreten oder einer Verschlechterung der Erkrankung, der sogenannten Progredienzangst, die gerade auch bei Cancer Survivors oft zu finden ist. Des Weiteren sind viele von einer außerordentlichen Müdigkeit und Erschöpfung, der sogenannten Fatigue, betroffen, die noch lange nach Abschluss der medizinischen Behandlung andauern kann und bei den Betroffenen oftmals zu Verzweiflung und Ratlosigkeit führt: »Jetzt ist die Behandlung doch vorbei und ich komme einfach nicht wieder auf die Beine. Ich fühle mich so schlapp und kraftlos und kann mich kaum konzentrieren. Es ist wie eine bleierne Müdigkeit, die meinen Körper befällt!« Zur Behandlung der Fatigue haben sich Strategien der Kognitiven Verhaltenstherapie wie z.B. Umbewertung der Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit, aber auch eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining nach dem Motto »Laufen ohne zu schnaufen« als hilfreich erwiesen. Auch Entspannungsübungen, wie progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsmeditation, können in der Psychoonkologie helfen, Ängste und Stress abzubauen.

Zudem spielt die Paar- und Familientherapie in der Psychoonkologie eine wichtige Rolle. Denn nicht nur die Patient:innen, sondern auch die Angehörigen sind von den psychosozialen Folgen einer Krebserkrankung betroffen und können selbst psychische Belastungen und/oder Störungen entwickeln. Das trifft besonders die Partner:innen, aber auch minderjährige Kinder. Bei ihnen treten viele Unsicherheiten auf: »Darf ich als Angehöriger auch über meine eigenen Belastungen und Ängste sprechen? Wie kann ich die erkrankte Person am besten unterstützen? Sagen wir es den Kindern? Und wenn ja, wie?« Menschen mit Krebserkrankungen und ihre Angehörigen sollten sowohl während der Erkrankung und medizinischen Behandlung als auch später auf ein spezifisches psychoonkologisches Behandlungsangebot zurückgreifen können.

Noch ein langer Weg bis zur optimalen Versorgung

Im stationären Rahmen wird eine psychoonkologische Versorgung in zertifizierten Organkrebszentren oder onkologischen Zentren wenigstens teilweise realisiert. Eine Sicherstellung der psychoonkologischen Versorgung ist vor allem an der Schnittstelle von der stationären zur ambulanten Versorgung bislang nicht gegeben. Lange Wartezeiten auf einen ambulanten Psychotherapieplatz sowie ein Mangel an ambulanter psychoonkologischer Versorgung in ländlichen Gebieten führen zu deutlichen Versorgungsdefiziten im ambulanten Sektor. Eine weitere Herausforderung zeigt sich darin, dass sich auch eine nicht unerhebliche Anzahl von niedergelassenen Psychotherapeut:innen die Versorgung von Krebserkrankten mit psychischen Störungen nicht zutraut oder sich diesbezüglich nicht ausreichend kompetent fühlt. Hinzu kommt die Sorge vor kurzfristigen Terminabsagen von Krebserkrankten, die die Planung erschweren können.
Dabei unterscheidet sich die psychotherapeutische Arbeit mit Krebserkrankten nicht wesentlich von der Arbeit mit Psychotherapiepatient:innen ohne Krebserkrankung. Neben der Reduktion der psychischen Belastung geht es vor allem um die Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, den Ressourcenaufbau sowie den Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität.

Laut Nationalem Krebsplan haben Krebserkrankte Anspruch auf eine umfassende und qualitätsgerechte psychoonkologische Versorgung. Erfreulicherweise hat sich die Psychoonkologie international und auch in Deutschland zunehmend etabliert, was auch zu einer veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung von Krebserkrankungen geführt hat. Die Psychoonkologie bietet evidenzbasierte Interventionen für Erkrankte und ihre Angehörigen, die die psychische Belastung reduzieren und die Lebensqualität verbessern können. Ausgehend von der hohen Zahl Krebsüberlebender, werden zukünftig (noch) mehr Menschen auch ambulant Unterstützung im Umgang mit den psychosozialen Auswirkungen der Krebserkrankung suchen. Das können sowohl Erkrankte als auch Angehörige sein.

Persönliche Erfüllung in der Begleitung finden

Ich erlebe die Arbeit mit Krebserkrankten und ihren Angehörigen als sehr bereichernd und sinnstiftend. Trotz der häufig belastenden Umstände der Erkrankung ist die Arbeit sehr ressourcenorientiert und oft auch humorvoll. Betroffene werden durch die Erkrankung »aus der Bahn geworfen« und benötigen in vielen Fällen nur kleine Impulse, um wieder gut zurecht zu kommen. Die Veränderung von Prioritäten im Leben oder auch die Fokussierung auf das Hier und Jetzt kann auch für uns Psychotherapeut:innen eine Bereicherung für das eigene Leben sein. 

Die Autorin

© Privat

Prof. Dr. rer. nat. Tanja Zimmermann, Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin, ist Universitätsprofessorin für Psychosomatik und Psychotherapie mit Schwerpunkt Transplantationsmedizin und Onkologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich psychosoziale Belastungen von Patient:innen und Angehörigen (Partner:innen und Kinder) im Rahmen von Krebserkrankungen oder Transplantationen, die Analyse individuelle und dyadische Copingstrategien zur Reduktion der psychischen Belastung und Erhöhung der Lebensqualität, Entwicklung von Strategien zur Erhöhung der Adhärenz sowie Interventionsforschung. Gemeinsam mit Christa Diegelmann und Margarete Isermann leitet sie das von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifizierte »Curriculum Psychoonkologie« in Hannover. Sie ist seit 2016 Vorstandsmitglied und seit 2018 Sprecherin des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).

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