Innere Leere, impulsives Verhalten, ein instabiles Selbstbild und Ängste vor dem Verlassenwerden: All das sind typische Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, die auch die psychotherapeutische Beziehung und Behandlung – so zumindest die Befürchtung vieler (angehender) Psychotherapeut:innen - enorm prägen und belasten können. Unsere Expertin Stephanie Höschel, Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Münster, erläutert im Interview, warum gerade die Dialaketisch-behaviorale Therapie Therapeut:innen hervorragendes »Rüstzeug« für die Behandlung der Persönlichkeitsstörung liefert.
Frau Höschel, man liest momentan, dass im Rahmen der Pandemie eine starke Zunahme von psychischen Erkrankungen zu verzeichnen ist. Betrifft das vor allem »naheliegende« Störungsbilder wie Angst- und Zwangsstörungen oder bemerken Sie auch bei Patient:innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung eine pandemiebedingte Veränderung?
Stephanie Höschel: Es gibt tatsächlich bereits Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf Persönlichkeitsstörungen beschäftigen. In Hinblick auf Borderline-Patient:innen gibt es Hinweise darauf, dass sich typische Gefühlsmuster wie die anhaltende Furcht vor dem Verlassenwerden und das Gefühl, abgeschnitten zu sein, durch die soziale Isolation verstärken. Dies kann insbesondere bei alleine lebenden Borderline-Patient:innen mit einem Anstieg an Selbstverletzungen, Substanzkonsum und der Inanspruchnahme von akutmedizinischer Versorgung einhergehen. In meinem klinischen Alltag gibt es aber auch Borderline-Patient:innen, die sich durch den Wegfall vieler direkter sozialer Interaktionen, die oft als quälend und anstrengend erlebt werden, deutlich entlastet fühlten und einen Rückgang von Symptomatik berichteten.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei der Arbeit mit Borderline-Patient:innen und warum bietet sich die DBT hier als Therapieansatz besonders an?
Stephanie Höschel: Die größte Herausforderung stellt es meiner Meinung nach dar, im Angesicht von sehr starken Emotionen, die einem Borderline-Patient:innen häufig entgegenbringen, Ruhe zu bewahren und die Emotionen weder kleinzureden noch mit »in den Pool zu fallen«. Die DBT bietet hierbei gutes Rüstzeug, um zum einen empathisch auf Emotionen zu reagieren, aber auch Fertigkeiten (Skills) zu vermitteln, mit deren Hilfe Patient:innen in die Lage kommen, ihre Anspannung eigenständig zu regulieren. Die Balance zwischen Unterstützung und Herausforderung der Borderline-Patient:innen zu beachten, ist hierbei eine Aufgabe des DBT-Teams. Dies ist fester und notwendiger Bestandteil der Behandlung; daran nehmen alle an der Behandlung beteiligten Therapeut:innen (Einzel- und Gruppentherapeut:innen) regelmäßig teil.
Viele, vor allem junge Psychotherapeut:innen (in Ausbildung) vermeiden es oder haben Vorbehalte vor der Behandlung von Patient:innen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie fürchten die eigene Abwertung als Therapeut:in, (para)suizidales Verhalten und Beziehungs- bzw. Therapieabbrüche. Können Sie etwas zur Beziehungsgestaltung in der DBT sagen und was würden Sie angehenden Psychotherapeut:innen als Rat mit auf den Weg geben?
Stephanie Höschel: Ich kann zunächst einmal sehr gut verstehen, dass junge Kolleg:innen Sorge haben, Borderline-Patient:innen nicht gerecht werden zu können und auch durch Symptomatik wie selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität eingeschüchtert sind. Ich finde es sehr schade, dass Kolleg:innen in Ausbildung häufig vermittelt wird, dass das Störungsbild für Anfänger:innen ungeeignet sei. Für viele Kolleg:innen, die in ihrer Ausbildung keine Erfahrungen damit sammeln durften, bleiben Borderline-Patient:innen leider oft auch im späteren Berufsalltag therapeutenverschleißende Schreckgespenster, die möglichst aus dem Patientenpool rausgehalten werden sollten. Tatsächlich hat die DBT durch die Struktur der Methode und die klaren Handlungsanweisungen (z.B.: Wie reagiere ich auf parasuizidales Verhalten? Was mache ich, wenn Patient:innen Therapie versäumen?) gute Antworten, um der Symptomatik und der Beziehungsgestaltung der Patient:innen gerecht zu werden und trotz fehlender Expertise in Therapien mit Borderline-Patient:innen nicht »zu schwimmen«. Jungen Kolleg:innen würde ich raten, sich zu trauen, Borderline-Patient:innen mittels DBT zu behandeln und offen mit ihren Befürchtungen umzugehen. Gemeinsam etwas mit Patient:innen nachzulesen, wenn ich mir unsicher bin, fördert das Gefühl einer Behandlung auf Augenhöhe und hat einen tollen Modellcharakter! Auf ein DBT-Team, in dem der Austausch mit anderen Behandler:innen gewährleistet wird, sollte dann aber nicht verzichtet werden.
Von zentralen Komponenten der DBT-Therapie – z.B. Emotionsregulation - können sicher auch Patient:innen mit anderen Störungsbildern profitieren. Bei welchen Patient:innen kann die DBT ebenfalls gut Anwendung finden?
Stephanie Höschel: Es gibt mittlerweile einige Adaptionen für andere Störungsbilder, deren Wirksamkeit unterschiedlich gut wissenschaftlich nachgewiesen ist. So gibt es Anpassungen für Patient:innen mit einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, mit Essstörungen oder langanhaltenden Depressionen mit überkontrollierenden Emotions-/Denkstrukturen und Verhaltensweisen. Zusätzlich gibt es aber auch DBT-Programme, die sich auf häufige Komorbiditäten oder andere Lebensphasen konzentrieren, so z.B. die DBT PTSD für Borderline-Patient:innen, die komorbid an einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit leiden, die DBT-Sucht für Borderline-Patient:innen, die komorbid an einer Suchtstörung erkrankt sind, die DBT-A für suizidale und selbstverletzende Jugendliche ab 13 Jahren oder eine Anpassung für Mütter von kleinen Kindern (0–6 Jahren), die an einer Borderline-Störung erkrankt sind.
Vielen Dank, Frau Höschel, für diesen spannenden Einblick in die DBT und die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Die Expertin
Stephanie Höschel, Dipl.-Psych., ist Psychologische Psychotherapeutin (VT) und Dozentin. Vor allem über den Dachverband DBT gibt sie regelmäßige Workshops zum Thema DBT. Sie ist seit 2020 in eigener Praxis als Psychotherapeutin in Münster niedergelassen.