Kinder sind nicht in der Lage ihre Probleme wie Erwachsene zu reflektieren und einzuordnen. Sie leiden unter ihren Sorgen und Ängsten, können dies aber oft nicht kommunizieren. Sie zeigen Symptome, ohne selbst sagen zu können, wo genau das Problem liegt und fühlen sich nicht selten von Eltern oder anderen Personen in eine Therapie »gedrängt«, weil andere ihr Verhalten als problematisch empfinden und sich eine Veränderung erhoffen. Vielleicht sind diese Kinder auffällig in der Schule, zeigen eine mangelnde Impulskontrolle, sind unkonzentriert oder zu verträumt. Hier bedarf es wirksamer Interventionen, die einen niederschwelligen und dennoch nachhaltigen Zugang in Therapie und Beratung bieten und den Kindern einen konstruktiven Umgang mit ihren inneren Konflikten und Problemen ermöglichen. Es braucht die Möglichkeit, auf spielerische Weise ernste Themen aufzugreifen und sowohl entwicklungsbedingten Ängsten als auch Sorgen, die als Folge von belastenden Erfahrungen, einer schwierigen familiären Situation oder aufgrund von übertragenen Familienmustern entstanden sind, mit ressourcenorientierten Interventionen zu begegnen.
Therapeutische Spiele als Wegbereiter in Therapie und Beratung
Therapeutische Spiele können in der Kindertherapie oder Familienberatung eingesetzt werden, um…
- Kinder dabei zu unterstützen, sich zu öffnen und ihre Gefühle auszudrücken.
- eine nicht bedrohliche Umgebung zu schaffen, in der sich das Kind angenommen fühlt und Vertrauen aufbauen kann, was wiederum den Therapieprozess unterstützt.
- Kinder unter professioneller Anleitung zu befähigen, ihre Gefühle zu regulieren, Konflikte zu lösen und positive Verhaltensweisen zu entwickeln.
- um das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung von Kindern zu stärken, was wiederum ihr Problemverhalten reduzieren kann, und die Entwicklung sozialer Fähigkeiten unterstützt.
Es ist wichtig, dass die Spiele von qualifizierten Therapeut:innen oder Pädagog:innen geleitet werden, um sicherzustellen, dass sie den individuellen Bedürfnissen und Zielen des Kindes entsprechen. Nur so stellen sie eine effektive und zugleich »unterhaltsame« Methode dar, mit der auch tiefer liegende psychische Konflikte und emotionale Herausforderungen gezielt erfasst und bewältigt werden können.
Die Bedeutung des Spiels in der Eltern-Kind-Therapie
Als systemische Therapeutin liebe ich den Einsatz von therapeutischen Spielen in der Eltern-Kind- oder Familientherapie. Diese Methode ist äußerst effektiv, um die Bindung und Beziehung zwischen Eltern und Kind zu stärken, die Kommunikation zu fördern und emotionale Probleme zu bearbeiten. Durch professionell geleitete therapeutische Spiele können Eltern und Kinder neue Wege entdecken, miteinander umzugehen und ihre Beziehung zu verbessern. Hierbei ist es wichtig, dass alle Beteiligten verstehen, wie das Spiel funktioniert und welche Ziele damit verfolgt werden. Manchmal müssen einige Familienmitglieder erst motiviert oder ermutigt werden, bevor sie sich auf eine solche Intervention einlassen können. In solchen Situationen ist eine klare, einladende und positive Anleitung seitens des Spielleiters oder der Spielleiterin entscheidend.
Um eine Vertiefung der im Spiel erarbeiteten Themen zu erreichen, nehme ich mir meist Zeit für eine Reflexion und frage alle Mitspieler:innen nach ihrem Erleben. Auf diese Weise können die im Spiel gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag übertragen und neue Strategien entwickelt werden, die im weiteren Therapieverlauf weiter verstärkt werden können.
Arten von therapeutischen Spielen
Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Spielen, die speziell für den therapeutischen und beratenden Kontext konzipiert sind. Viele dieser Materialien greifen typische entwicklungsbezogene Themen oder sogar störungsspezifische Schwerpunkte, wie z.B. den Umgang mit schwierigen Gefühlen, auf und ermöglichen auf der Basis der klassischen Spielstruktur eines Brettspiels, tiefergehendes emotionales Erleben. Sie verfolgen oft einen ressourcenorientierten Ansatz auf und bieten Therapeut:innen und Pädagog:innen eine detaillierte Spielanleitung für den professionellen Einsatz des Spiels.
Neben Brettspielen haben auch andere Spiele eine wichtige und wirkungsvolle Bedeutung für den therapeutischen Prozess: Dazu gehören Rollenspiele, Kunst- und Handwerksspiele sowie Bewegungsspiele. Jede Art von Spiel hat ihre eigenen Vorteile und kann an die individuellen Bedürfnisse des Kindes angepasst werden.
- Rollenspiele ermöglichen es Kindern und ggf. auch Eltern, verschiedene Rollen und Perspektiven einzunehmen und/oder soziale Situationen nachzuspielen, um auf diese Weise wichtige Erkenntnisse im Umgang mit neuen Verhaltensweisen zu gewinnen. Es kann spielerisch gelernt werden, Konflikte auf konstruktive Weise zu lösen und Therapeut:innen können korrigierend eingreifen, um dysfunktionales Verhalten aufzulösen.
- Therapeutische Brettspiele unterstützen den lösungsfokussierten Umgang mit problematischen Themen, klären auf und fördern Selbstbewusstsein und Achtsamkeit. Die Kommunikation zwischen Kindern und Eltern verbessert sich und ermöglicht ein besseres Verständnis für die zugrundeliegenden Themen.
- Kunst- und Handwerksspiele (Malen, mit Ton gestalten, Basteln) bieten den Kindern eine kreative Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken, inneres Erleben in etwas Sichtbares und Greifbares zu verwandeln und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
- Auch Bewegungsspiele fördern den Ausdruck von Gefühlen, bauen Stress ab und können dabei unterstützen, neu erworbene Verhaltensmöglichkeiten auch körperlich einzuüben und zu spüren.
Ein Beispiel aus der Praxis
Als Autorin therapeutischer Spiele liebe ich den kreativen Umgang mit Themen, die von Kindern und Familien oft als belastend erlebt werden. Viele problematisch erlebte Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen sind auf einen dysfunktionalen Umgang mit Emotionen zurückzuführen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Tilo leidet unter Emetophobie, der Angst sich übergeben zu müssen. Er mag inzwischen kaum noch essen, leidet unter Angstattacken, will nicht mehr zur Schule gehen.
Als Systemische und Tiefenpsychologische Therapeutin gehe ich davon aus, dass hinter dem erlernten Verhalten noch weitere Gründe, insbesondere die Beziehung zu Bindungspersonen betreffend, eine Rolle bei der Entstehung dieser Angst spielen. Im Spiel »Die Sorgenlospost« zieht Tilo eine Karte, die diese Sorge »unter die Lupe« nimmt: »Wer in der Familie hat am meisten Verständnis für diese Sorge?« Tilo zeigt auf seine Mutter, die ebenfalls mitspielt. Auf die Frage, warum er das denkt, antwortet er, dass seine Mutter besonders lieb sei und ihn mit seiner Angst verstehen würde. Diagnostisch ist diese systemische Frage bedeutsam, denn tatsächlich erzählt die Mutter, dass auch sie als Kind unter ähnlichen Ängsten gelitten habe, obwohl sie das ihrem Sohn noch nie erzählt habe. Das Thema konnten wir später im Elterngespräch vertiefen und herausarbeiten, dass noch viel unausgedrückte Wut der Mutter auf ihre Eltern in ihr steckte, die sie sich aber verboten hatte. In der Mutter-Sohn-Sitzung wurde deutlich, dass sie ihrem Sohn Signale gab, ebenfalls keine Wut oder Kritik ihr gegenüber als Mutter auszudrücken. Tiefenpsychologisch vermutet man hin hinter der Angst vor dem Erbrechen, einen tiefen Konflikt zwischen dem Wunsch, die eigene Meinung, Kritik oder Wut zu äußern und der tiefsitzenden Angst vor Liebesverlust. Im Einzelgespräch und weiteren Sitzungen mit Mutter und Sohn konnten wir das Thema weiterverfolgen. Es war dieser Mutter nicht bewusst, dass sie denselben Umgang mit Wut und Kritik an ihren Sohn weitergab.
Doch zurück zum Spiel: Es hielt für Tilo noch weitere Tipps und Tricks für den Umgang mit seiner Sorge bereit und ermöglichte ihm verschiedene Perspektiven und Umgangsmöglichkeiten für die Zukunft zu entdecken. Er lernte, wie man Grübelgedanken stoppen kann, wie mehr Wissen über den Körper, Vertrauen in diesen stärken kann und das »Nein-Sagen« erlaubt ist. Es war mir eine Freude erleben zu dürfen, wie Tilo sich im weiteren Therapieprozess mehr traute, seine eigene Meinung gegenüber der Mutter zu vertreten und seine Angst- und Panikgefühle steuern lernte, bis sie sich am Ende auflösten.
Spiele zur Diagnostik nutzen
Sie können Spiele, wie ich im Fallbeispiel, dazu nutzen, kostbare diagnostische Hinweise zu sammeln, um diese dann in weiteren Sitzungen vertiefen zu können. Erstes psychoedukatives Wissen und kleine Interventionen werden spielerisch vermittelt, Interaktionen im Familienprozess beleuchtet. Manchmal wird, wie hier im gemeinsamen Spiel deutlich, wer in der Familie zudem noch unter Symptomen leidet oder wie genau das Problemverhalten im Familiengefüge manifestiert oder mit einer bestimmten Lebensphase zusammenhängt. Dies ermöglicht Ihnen das sonst »Verborgene« in der Therapie zu thematisieren.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß und spielerische Neugierde.
Sabine Lück
Die Autorin
Sabine Lück, Dipl.-Soz.-Päd., Psychologische Psychotherapeutin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Kammerzertifikat in Systemischer Therapie, Lehrende für Systemische Therapie und Beratung und Systemische Therapeutin (DGSF), Supervisorin und Coach (DGsP). Leitung des Instituts für Transgenerative Prozesse (ITP) Wendeburg. Kassenärztliche Zulassung seit 2003 für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Tiefenpsychologie und Systemische Therapie). Dozentin, Supervisorin, Selbsterfahrungsleiterin für Systemische Therapie und Tiefenpsychologie. Bei Beltz hat sie die Kartensets »Transgenerationale Therapie. 75 Therapiekarten« und »Wachstumsschritte. Rituale, Übungen und kleine Abenteuer in Therapie und Beratung« veröffentlicht. Frau Lück ist zudem Autorin einiger therapeutischer Spiele (u.a. »Die Sorgenlos-Post« erschienen 2023 bei Beltz).