Trans* Personen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das in ihrer Geburtsurkunde eingetragen ist. Manche leben eindeutig als Mann oder Frau, andere sehen sich weder als Mann noch als Frau, sind also non-binär. Geschlechtsinkongruenz ist keine psychische Erkrankung. Dennoch kann ein erheblicher Leidensdruck entstehen, wenn trans* Personen das Gefühl haben, dass ihr biologisches Geschlecht nicht zu ihnen passt oder wenn sie negative Reaktionen aus ihrem Umfeld erfahren. In diesen Fällen kann eine Psychotherapie hilfreich sein.
Herr Scholz, können Sie uns zunächst erklären, was die Begriffe Transidentität, Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie überhaupt bedeuten und wie man sie abgrenzen kann?
Falk Peter Scholz: »Die Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt begleiten nicht selten eine Psychotherapie. Insbesondere Trans*-Gesundheit rückt mehr in den Vordergrund. Dabei sind Transidentität und Transgender Begriffe für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Diese Diskrepanz zwischen dem zugewiesenen und dem empfundenen Geschlecht wird als Geschlechtsinkongruenz bezeichnet. Geschlechtsdysphorie beschreibt den Leidensdruck, der aufgrund dieser Geschlechtsinkongruenz entstehen kann und oft mit Depressionen, Angst und Suizidneigung einhergeht.«
Transgeschlechtlichkeit ist ja keine Krankheit, welche Themen stehen dann im Fokus einer Psychotherapie mit trans* Personen?
Falk Peter Scholz: »Trans*-Sein ist eine Ausdrucksform der menschlichen Vielfalt. In der Psychotherapie mit trans* Personen stehen daher verschiedene Themen im Vordergrund. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Selbstakzeptanz und Identitätsfindung, bei der es um die Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität und der Akzeptanz dieser Identität geht. Auch die Behandlung der Körperdysphorie, der Coming-Out-Prozess und der Umgang mit Diskriminierung und Transfeindlichkeit sind zentrale Themen. Ein weiterer Fokus liegt auf der sozialen Unterstützung, um den Zugang zu unterstützenden Netzwerken und Gemeinschaften zu fördern und Isolation zu verhindern. Schließlich wird auch die psychische Gesundheit thematisiert, was die Behandlung von Begleiterscheinungen wie Depressionen, Angststörungen oder Stress umfasst, die im Zusammenhang mit der Transidentität stehen können.«
Mit welchen Herausforderungen und Diskriminierungserfahrungen sind trans* Personen im Alltag häufig konfrontiert und wie kann eine Psychotherapie hier unterstützen?
Falk Peter Scholz: »Trans* Personen begegnen im Alltag oft Herausforderungen und Diskriminierung, sei es durch negative Reaktionen und Vorurteile in der Familie, Schule, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Diskriminierung kann sich durch verbale Anfeindungen, soziale Ausgrenzung, körperliche Gewalt und strukturelle Benachteiligung äußern. Eine Psychotherapie bietet hier einen sicheren Raum, in dem Betroffene ihre Erfahrungen und Gefühle offen besprechen können, beispielsweise Konflikte bei der sozialen Rollenerprobung. Dies kann emotionalen Stress und psychische Belastung verringern. Therapeut:innen vermitteln spezifische Bewältigungsstrategien, um mit negativen Erfahrungen, Diskriminierung und gesellschaftlicher Stigmatisierung umzugehen. Außerdem helfen sie dabei, Themen wie Passing, die angestrebte, zur Geschlechtsidentität passende Außenwahrnehmung, zu reflektieren.«
Ganz aktuell gibt es für alle trans* Personen Grund zur Freude. Das Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft: Ab dem 1. August 2024 kann eine Anmeldung der Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen abgegeben werden. Damit wird der selbstbestimmte Weg vereinfacht. Was bedeutet diese Gesetzesänderung für die Betroffenen?
Falk Peter Scholz: »Ja, die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes bringt für transgeschlechtliche, nichtbinäre und intergeschlechtliche Personen erhebliche Erleichterungen und Verbesserungen bei der rechtlichen Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität. Es baut bürokratische Hürden ab und ermöglicht eine einfachere Änderung des Geschlechtseintrags. Betroffene können selbstbestimmt ihre Geschlechtsidentität erklären und ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen unkomplizierter und schneller ändern lassen, ohne aufwändiges Gerichtsverfahren oder medizinische Gutachten. Zudem schützt das Gesetz die Privatsphäre, indem es die Offenlegung von Informationen über die vorherige Geschlechtsidentität einschränkt.«
Noch ein Schritt weiter ist dann die Entscheidung für (oder gegen) geschlechtsangleichende Maßnahmen. Wie kann hier Psychotherapie unterstützen? Welche Rolle spielen Psychotherapeut:innen bei der Indikationsstellung für die Hormontherapie und geschlechtsangleichende Operationen?
Falk Peter Scholz: »Die Behandlung der Körperdysphorie und Unterstützung bei der Entscheidungsfindung für oder gegen körpermodifizierende Maßnahmen sind zentrale Themen der Psychotherapie für trans* Personen. Psychotherapeut:innen unterstützen dabei, Wünsche und Bedürfnisse zu klären und bei der Vorbereitung und Nachsorge von geschlechtsangleichenden Behandlungen. Sie können an der Indikationsstellung für Hormontherapie und operative Maßnahmen beteiligt sein – oft durch Gutachten oder Stellungnahmen. Zudem vermitteln sie Ressourcen wie medizinische Fachkräfte und Selbsthilfegruppen für eine umfassende Betreuung.«
Was bedeutet es, sich als nicht-binär oder genderfluid zu identifizieren? Wie unterscheidet sich das Erleben und die Unterstützung von non-binären und genderfluiden Personen im Vergleich zu binären trans* Personen?
Falk Peter Scholz: »In unserer Gesellschaft liegen nicht-binäre oder genderfluide Identitäten außerhalb der traditionellen Kategorien von »männlich« und »weiblich«. Nicht-binäre Personen fühlen sich weder als Mann noch als Frau, während genderfluide Personen eine sich verändernde Geschlechtsidentität haben. ›Nicht-binär‹ wird auch als Überkategorie für die verschiedenen Geschlechtsidentitäten genutzt (darunter z.B. ›genderfluid‹, ›weder Mann noch Frau‹, ›sowohl Mann als auch Frau‹). Nicht-binäre und genderfluide Menschen haben oft zusätzliche Herausforderungen, da ihre Identität weniger sichtbar und anerkannt ist, was zu Missverständnissen und Diskriminierung führen kann. Binäre trans* Personen identifizieren sich klar als das andere Geschlecht und ihre Identität wird häufig besser verstanden. Psychotherapie kann für nicht-binäre und genderfluide Personen hilfreich sein, um ihre Identität zu verstehen und gesellschaftliche Ablehnung zu bewältigen. Binäre trans* Personen erhalten Unterstützung bei ihrer Transition zum gewünschten Geschlecht. Beide Gruppen erfordern eine individuelle und einfühlsame Unterstützung.«
Welche Rolle spielt Psychotherapie in der Begleitung von trans* Personen in ihrem Coming-out und in der Transition?
Falk Peter Scholz: »Die Transition beschreibt ja die vielfältigen Veränderungsprozesse, die trans* Personen oft durchlaufen. Dazu gehört die innere Transition, bei der es um das innere Coming-out, die Auseinandersetzung mit internalisierter Trans*-Feindlichkeit und den Umgang mit Diskriminierung geht. Hierzu zählt auch die Arbeit an der eigenen Biografie und Identität. Die soziale Transition umfasst das äußere Coming-out z.B. gegenüber Familie, Freund:innen und im beruflichen Umfeld, die Anpassung des Auftretens sowie evtl. die Wahl neuer Namen und Pronomen. Auch Zweifel am geplanten Weg und die Trauer über die ›Unvollständigkeit‹ auch nach der körperlichen Geschlechtsangleichung haben einen wichtigen Platz in der Therapie. Im Rahmen der medizinischen Transition können z.B. Hormone, Operationen, Perücken und Sprachtherapie eine Rolle spielen. Schließlich betrifft die rechtliche Transition die urkundliche Eintragung von Vornamen und Personenstand. Diese Prozesse sind oft komplex und erfordern eine umfassende Unterstützung.«
Die Haltung bzw. Einstellung des/der Psychotherapeut:in ist vermutlich besonders wichtig bei der Arbeit mit trans* Personen. Wie, würden Sie sagen, sollte die konkret aussehen, damit die Psychotherapie erfolgreich sein kann?
Falk Peter Scholz: »Die Haltung von Psychotherapeut:innen bei der Arbeit mit trans* Personen sollte von vorurteilsfreier Akzeptanz der subjektiven Identität geprägt sein - von Anfang an. Dies beinhaltet das Respektieren geschlechtlicher Vielfalt, einschließlich der Nutzung gewünschter Namen und Pronomen, auch wenn diese sich ändern. Zudem ist es wichtig, das »Ob« und »Wann« somatomedizinischer Behandlungsschritte getrennt zu reflektieren und Offenheit für individuelle Wege zu zeigen. Ich erlebe es als hilfreich, meine Haltung und Ansichten aktiv zu erklären, um den Beziehungsaufbau zu erleichtern und die eigene Kompetenz ins Gespräch einzubringen.«
Welchen letzten Hinweis würden Sie Therapeut:innen geben, die mit trans* Personen zusammenarbeiten?
Falk Peter Scholz: »Wie bei allen Klient:innen ist es wichtig zu zeigen, dass auch trans* Personen mit ihrem Sein in der therapeutischen Beziehung gesehen, ernst genommen und gehalten werden. Essentiell ist eine ergebnisoffene Behandlungsplanung. Insgesamt führt die Arbeit mit trans* Personen zu einer bereichernden Erweiterung der therapeutischen Perspektiven und Kompetenzen, die nicht nur den Klient:innen sondern auch den Therapeut:innen selbst zugutekommt. Ich bin sehr dankbar für die vielen Erfahrungen mit queeren und trans* Personen, da diese Arbeit auch den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Faktoren und individuellem Leidensdruck aufzeigt und wie wir voneinander lernen und uns bereichern können.«
Zum Autor
Falk Peter Scholz ist Diplom-Sozialpädagoge in Dresden. Seit 2010 ist er selbständig in eigener Lehrpraxis als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, systemischer Paar- und Familientherapeut, Berater, Ausbilder und Coach tätig. Seine Schwerpunkte sind Ressourcen, Spiele in der Therapie sowie Begleitung von Trans* Personen. Er ist Gründer des grüner Peter Verlages in welchem Materialien für Beratung, Coaching und Therapie erscheinen. 2023 ist von ihm bei Beltz das Kartenset »Trans*-Schatzkiste für Therapie und Beratung« erschienen.