Von wegen »O du fröhliche«: Strategien zum familiären Umgang mit Depressionen in der Weihnachtszeit

Viele depressive Patient:innen, aber auch deren Familienmitglieder, blicken mit mehr Sorge als Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Deshalb ist es wichtig, vorhersehbare Belastungen und mögliche Bewältigungsstrategien in der Psychotherapie schon vorab zu besprechen, damit unsere Patient:innen diese schwierige Zeit ohne tiefere Krisen bewältigen können.

Die Familie leidet mit

Die Kernsymptome depressiver Störungen machen sich gerade an einem Fest wie Weihnachten verstärkt bemerkbar. In einer Zeit, in der eine erhöhte Betriebsamkeit und Geselligkeit herrscht, fühlen sich Menschen mit Depressionen noch mehr als sonst von ihrer Umgebung abgeschnitten. Zugleich führt die Unfähigkeit sich zu freuen oder die üblichen Aufgaben zu übernehmen zu Enttäuschungen und Vorwürfen von Seiten der Familien. Partner:innen sehen sich mit der Aufgabe, den Kindern wenigstens ein paar Tage eine heile Welt zu bieten, im Stich gelassen. Die Patient:innen fühlen sich inmitten fröhlicher Menschen fremd und allein. Weihnachten ist für diese Familien oft eher eine krisenhafte Zeit als eine Zeit der Freude und der Entspannung.

In meiner therapeutischen Praxis haben sich folgende Anregungen bewährt, um Patient:innen und ihren Familien zu helfen, Belastungen zu verringern und Krisensituationen an den Festtagen vorzubeugen.

1. Gewohntes in Frage stellen

Zunächst ist es wichtig zu akzeptieren, dass Gewohntes in Frage gestellt werden muss. Der Wunsch, durch die Weiterführung der üblichen Rituale auch die Glücksgefühle vergangener Tage wieder aufleben lassen zu können, stellt oft eine Überforderung dar, die in Konflikten endet. Der Abschied von lieben Gewohnheiten gelingt aber nur, wenn der Partner oder die Partnerin auch ein grundlegendes Wissen über das Krankheitsbild und die damit verbundenen Einschränkungen hat. Wenn dies noch nicht der Fall ist, sollte dies psychoedukativ in einer Paarsitzung nachgeholt werden. Dann kann darüber gesprochen werden, welche Ansprüche an das gemeinsame Weihnachtsfest gesenkt werden müssen, damit es die Kräfte des Patienten bzw. der Patientin nicht übersteigt.

2. Hilfen annehmen

Die verringerte Leistungsfähigkeit einer depressiv erkrankten Person führt dazu, dass die für die Organisation des Weihnachtsfestes anfallenden Arbeiten nicht gerecht verteilt werden können. Um Partner:innen nicht zu überlasten, sollte jede mögliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Großeltern, die mit den Kindern basteln, ein Nachbar, der Getränke vom Großmarkt mitbringt, oder eine Patentante, die mit den Kindern ins Kino geht, können Entlastung bewirken. Um Hilfe zu bekommen, ist es allerdings notwendig, dass die Krankheit nach außen offen kommuniziert werden kann. Patient:innen müssen ihre Partner:innen also von der Aufgabe entlasten, die Krankheit geheim zu halten. Wenigstens ein kleiner Kreis vertrauter Personen sollte eingeweiht sein, um die Belastungen mitzutragen.

3. Freiräume lassen

Obwohl Weihnachten ein Familienfest ist, trägt es zum Gelingen des Festes bei, sich gegenseitig den Freiraum zu geben, nicht alles gemeinsam machen zu müssen. Der nicht erkrankte Elternteil und die Kinder sollten die Möglichkeit haben, erholsame und Spaß bringende Tätigkeiten wie z.B. Schlittschuhlaufen oder rodeln auszuüben, auch wenn sich der erkrankte Elternteil nicht daran beteiligen kann. Die Angehörigen bewusst eine begrenzte Zeit ohne schlechtes Gewissen gehen zu lassen, kann ein großes Geschenk sein, das der/die Patient:in der eigenen Familie macht. Umgekehrt sollte der depressive Elternteil sich ohne Rechtfertigungen aus einer Kaffee- oder Spielerunde zurückziehen dürfen, wenn das enge Zusammensein mit anderen zu viel wird oder ein Ruhebedürfnis besteht.

4. Wohltuende Tätigkeiten pflegen

Die Weihnachtszeit bietet viele jahreszeitliche Genüsse für den Gaumen, die Ohren, die Nase und die Augen. Sinneserfahrungen wie Tannenduft, Kerzenlicht, Zimtsterne oder Adventsmusik haben allerdings auch das Potenzial negative Erinnerungen in Patient:innen hervorzurufen. Patient:innen können im Therapiesetting angeleitet werden, darauf zu achten, welche weihnachtlichen Sinnesgenüsse geeignet sind, die eigene Stimmung positiv zu beeinflussen. Dann können sie dafür sorgen, dass sie über die Festtage auf jeden Fall im Haus vorhanden sind.

5. Kontakte sortieren

Oft gehört es zur Weihnachtszeit, dass Kontakte zur Herkunftsfamilie gepflegt werden. Wenn depressive Patient:innen unter früheren Verletzungen durch ihre Herkunftsfamilie leiden, gehören die Verwandtschaftsbesuche aber zu den heikelsten Bestandteilen des Weihnachtsfestes. Um zu entscheiden, ob ein Kontakt gepflegt werden soll, ist es hilfreich, sich die letzte Begegnung mit diesem Verwandten in Erinnerung zu rufen. Fühlte sich der/die Patient:in anschließend bestärkt, ermutigt und entspannt oder niedergeschlagen, gereizt oder wütend? Können die Partner:innen belastende Auswirkungen von Verwandtenkontakten bestätigen? Wenn ja, können diese Kraft geben, zu erfolgten Einladungen durch belastende Personen auch »Nein« zu sagen.

6. Gemeinsame Zeiten planen

Damit wenigstens etwas Gemeinsamkeit stattfinden kann, müssen sich die anderen Familienmitglieder an den eingeschränkten Möglichkeiten der Patient:innen orientieren. So kommen für Betroffene wahrscheinlich eher Tätigkeiten infrage, die wenig Anstrengung benötigen. Das könnte z.B. der Besuch einer Therme, die Teilnahme an einer religiösen Veranstaltung oder das gemeinsame Anschauen eines Films sein.

Sich klarzumachen, dass ein Weihnachtsfest unter den Voraussetzungen einer Depression ein anderes sein wird als viele Feste vorher, hilft der ganzen Familie, Enttäuschungen und Konflikte zu vermeiden. Wenn es gelingt, wenigstens den einen oder anderen glücklichen Moment zu erleben, kann es trotzdem eine ermutigende Erfahrung für alle sein.

Die Autorin


Dr. theol. Cornelia Faulde ist Diplom-Psychologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Systemische Familientherapeutin (DGSF) und Mediatorin. Sie leitet die Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Brakel/Höxter/Warburg im Erzbistum Paderborn. Frau Faulde ist Autorin des Patientenratgebers »Lernen, im Regen zu tanzen« erschienen 2022 bei Beltz, der viele Anregungen enthält, die Paaren auch im übrigen Jahr helfen, trotz der Erkrankung ein miteinander verbundenes Paar zu sein.

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