Es ist so wieder soweit: Mit dem Ende der Sommerzeit an diesem Wochenende werden unsere Uhren auf die Winterzeit umgestellt. Während sich viele Menschen auf die zusätzliche Stunde Schlaf freuen, fürchten andere die psychischen oder körperlichen Auswirkungen eines gestörten Schlafrhythmus. Somnologe Dr. Ralf Binder, Psychologischer Psychotherapeut am interdisziplinären Schlafzentrum des Pfalzklinikum Klingenmünster, verrät im Interview, warum uns die Zeitumstellung jedes Jahr aufs Neue zu schaffen macht, wie wir möglichen Schlafstörungen vorbeugen können und welche Interventionen in der Psychotherapie Anwendung finden können.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Zeiger unserer Uhren von 03:00 Uhr auf 02:00 Uhr zurückgestellt. Herr Binder, was macht dieser kleine »Zeitsprung« mit unserem Körper? Welche Folgen kann das haben?
Dr. Ralf Binder: Die meisten physiologischen Prozesse in unserem Körper weisen einen sogenannten »zirkadianen Verlauf« auf. Das bedeutet, dass sie an einem 24-Stunden-Tag einem charakteristischen Verlauf folgen, der sich von Tag zu Tag in sehr ähnlicher Weise wiederholt. Hierzu gehören bspw. der Schlaf-wach-Rhythmus, die Körperkerntemperatur, die Herzfrequenz, der Blutdruck, der Hormonausstoß wie bspw. von Wachstumshormonen oder auch Melatonin. So wird abends, wenn die Dunkelheit eintritt, die Ausschüttung von Melatonin angekurbelt und damit die Nacht eingeläutet: Wir werden müde. Der Blutdruck senkt sich, die Ausschüttung von Stresshormonen wird reduziert, wir werden »schlafbereit« und schlafen ein.
Diese endogenen Prozesse verlaufen biologisch eigentlich in einem Rhythmus von ca. 25 Stunden, sind also leicht länger als der 24-Stunden-Tag. Im Gehirn gibt es extra einen zentralen Schrittmacher, den sogenannten Nucleus suprachiasmaticus, der die Aufgabe hat, die unterschiedlichen Rhythmen zu koordinieren und die innere Uhr einzustellen. Als wichtigster Einflussfaktor gilt dabei das Licht, das unserem Gehirn Informationen über den Tageszeitpunkt liefert.
Durch die Zeitumstellung gehen wir nun aber zu einer Zeit schlafen, die noch nicht mit der Zeit im Gehirn synchronisiert ist: Bei der Umstellung auf die Sommerzeit (die Uhr wird »vorgestellt«) wird uns eine Stunde »abgezwackt«. Wenn wir nun normalerweise um 22:00 Uhr zu Bett gehen, sind wir unmittelbar nach der Zeitumstellung erst um 23:00 Uhr müde, weil alle körperlichen Prozesse noch nach der alten Zeit ablaufen. Bei der sogenannten »Rückstellung« auf die Normalzeit (auch als »Winterzeit« bezeichnet) wird uns wiederum eine Stunde »geschenkt«: War unsere Zubettgehzeit vor der Zeitumstellung 22:00 Uhr, so entspricht das nach der Umstellung 21:00 Uhr, d.h., wir sind direkt nach der Umstellung abends bereits um 21:00 Uhr müde, da das Gehirn noch nach der Sommerzeit die Synchronisation der Uhren und somit die erwähnten Stoffwechselvorgänge steuert. Gleichzeitig werden wir morgens auch eine Stunde früher wach. Die Umstellung unseres Gehirns dauert ca. 1 Woche. In dieser Zeit zeigen wir tagsüber vermehrt Symptome von Müdigkeit, Gereiztheit, schlechter Stimmung, Konzentrationsbeeinträchtigungen, Verdauungsprobleme und natürlich Schlafstörungen. Insgesamt wird die Umstellung auf die »Winterzeit« aber in aller Regel deutlich besser bewerkstelligt als die Umstellung im Frühjahr auf die Sommerzeit, weil sie unserem endogenen Rhythmus von ca. 25 Stunden näher kommt.
Welche Auswirkungen hat die Zeitumstellung auf Menschen, die ohnehin schon an einer Schlafstörung leiden? Mit welchen Techniken können Therapeut:innen betroffene Patient:innen bei der Umstellung auf die Winterzeit unterstützen?
Dr. Ralf Binder: Menschen mit Schlafstörungen zeigen in der Regel eine erhöhte Sensibilität gegenüber schlafstörenden Faktoren. Hinzu kommt, dass sie ängstlicher auf Veränderungen reagieren, die den Schlaf betreffen. Durch diese innere physiologische Erregung wird das Schlafvermögen nochmals – mitunter sogar stärker als durch die reinen zirkadianen Prozesse der Umstellung – negativ beeinträchtigt. Für uns Psychotherapeut:innen ist es wichtig, eine Entkatastrophisierung zu erreichen und die psychophysiologische Erregung zu reduzieren: Erst die Akzeptanz des Nicht-kontrollieren-Könnens des Schlafes führt zu einer Reduktion der Aktivierung und erlaubt somit den Schlafeintritt und eine schnellere Umstellung an die neue Zeit.
Welche 5 Tipps können Sie uns als Experte für den Schlaf geben, damit wir möglichst gut mit der Zeitumstellung zurechtkommen?
Dr. Ralf Binder: Folgende Tipps können helfen, den Körper langsam an die neue Zeit zu gewöhnen:
- Schrittweise umstellen: In der Woche (oder 6 Tage) vor der Umstellung jeden Tag sukzessive 10 Minuten später zu Bett gehen. Beispiel: Sie gehen normalerweise gegen 22:00 Uhr zu Bett. Dann gehen Sie an Tag 1 um 22:10 Uhr, an Tag 2 um 22:20 Uhr usw. zu Bett.
- Später aufstehen: In dieser Woche jeden Tag – wenn möglich – 10 Minuten später aufstehen.
- Last-Minute-Tipp: Wenn das so nicht durchgeführt werden kann, dann am Vorabend der Umstellung etwas später zu Bett gehen, am Morgen der Umstellung etwas früher aufstehen und am Abend der Umstellung frühestens zur »neuen Zeit« ins Bett gehen, auch wenn Sie bereits eine 1 Stunde vorher müde sind.
- Der frühe Vogel: Wachen Sie morgens nun früher auf (bspw. um 5:00 Uhr, was der Aufstehzeit nach der »alten« Sommerzeit entspricht), bleiben Sie im Bett entspannt und versuchen nicht, willentlich den Schlaf herbeizuführen. Bei innerer Unruhe und Frustration über den fehlenden Schlaf verlassen Sie besser das Bett und beginnen den Tag etwas früher.
- Tageslicht: Verbringen Sie, wenn möglich, tagsüber viel Zeit an der frischen Luft, sodass sich Ihre innere Uhr bei nun erhöhter Tageslichtexposition rascher umstellen kann.
Und wie können wir die Kleinsten in unserer Gesellschaft – Babys und kleine Kinder – auf die Zeitumstellung vorbereiten und diese bei der Bewältigung der Zeitumstellung unterstützen?
Dr. Ralf Binder: Die Zeitumstellung ist besonders störend für Säuglinge, die gerade einen stabilen Schlaf-wach-Rhythmus entwickelt haben. Im späteren Kindesalter sind die Beeinträchtigungen dann mit denen von Erwachsenen vergleichbar und halten in der Regel eine Woche, selten länger, an. Auch hier wird eine langsame Zeitumstellung generell empfohlen: In den 6 Tagen vor der Zeitumstellung auf Normal-(Winter-)zeit werden die Kinder einfach sukzessive etwas später zu Bett gebracht, ca. 10 Minuten, sodass am Umstellungstag die gewünschte Zubettgehzeit erreicht ist. Parallel hierzu werden die Mahlzeiten jeden Tag ebenfalls ca. 10 Minuten später eingenommen. Am Tag der Umstellung lässt man das Kind morgens nicht länger schlafen und es sollte auch kein zu langes Mittagsschläfchen halten, damit es abends auch wirklich müde ist. Und nicht zu vergessen: Auch bei Kindern stellt sich die innere Uhr leichter um, wenn sie tagsüber draußen an der frischen Luft toben können.
Den letzten goldenen Oktobertag dieses Jahres draußen genießen – ein schöner Appell zum Abschluss unseres Interviews! Wir danken Ihnen, Herr Binder, vielmals für Ihre wertvollen Tipps und wünschen Ihnen einen guten Start in die Winterzeit!
Der Experte
Dr. Ralf Binder, Dipl.-Psych., ist Psychologischer Psychotherapeut am Schlafzentrum des Pfalzklinikums Klingenmünster und Dozent an der Akademie für Schlafmedizin.