»Das Spiel ist Ausdrucksmedium kindlicher Emotionen«: Experteninterview mit Silvia Höfer zum spieltherapeutischen Arbeiten

Für Kinder ist Spielen nicht nur Spaß und Zeitvertreib, sondern es ist ein essentieller Bestandteil ihrer Entwicklung. Im Spiel entfalten sie ihre Kreativität, lernen sich selbst und ihre Umwelt kennen und entwickeln soziale Fähigkeiten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Spieltherapie als wichtige Methode in der Kinderpsychotherapie angesehen wird. Denn Kinder nutzen das Spiel, um ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken, insbesondere dann, wenn ihnen die passenden Worte noch fehlen. In unserem Experteninterview mit der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Silvia Höfer erfahren Sie mehr darüber, wie sich spieltherapeutisches Arbeiten von herkömmlichen Spielen unterscheidet und wie es Kindern helfen kann, Gefühle auszudrücken und kindliche Problemlagen zu bewältigen.

Liebe Frau Höfer, von außen ist es für Laien manchmal gar nicht so einfach zu verstehen, wie »Spiel« und »Therapie« sinnvoll miteinander kombiniert werden können. Wie unterscheidet sich z.B. eine spieltherapeutische Sitzung von den Spieleinheiten, die Erzieher:innen im Kindergarten mit den Kindern verbringen?

Silvia Höfer: Das kindliche Spiel ist ein zentrales Ausdrucks-, aber auch Lernmedium für Kinder. Erzieher:innen haben die Aufgabe, den Kindern über das Spiel zu vermitteln, wie man mit Gegenständen umgeht (z.B. wie Bauklötze gestapelt werden), aber auch wie man Alltagsaufgaben bewältigt und welche Handlungsabläufe dazu gehören (z.B. Puppen bemuttern, Autos in die Werkstatt bringen). Darüber hinaus vermittelt das Kindergarten- und Hortpersonal, wie man ein Rollenspiel gestaltet und wie man mit anderen Kindern zusammen spielen kann. In der Kindergartenpädagogik geht es also beim Spiel vor allem um Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie um grundlegendes soziales Lernen.

In der Kinderpsychotherapie hingegen setzen wir das Spiel ausschließlich psychotherapeutisch ein –  sowohl diagnostisch als wichtiges Ausdrucksmedium kindlicher Emotionen und Anliegen, als auch in seiner Funktion als Verarbeitungsmedium für kindliche Problemlagen und Belastungen. Im spieltherapeutischen Gespräch intervenieren wir infolgedessen mit ähnlichen kommunikativen Methoden wie bei Jugendlichen, allerdings sind diese in altersgerechter Sprache ins Spielgeschehen und in das Verhalten der Rollenträger eingebettet. Das macht das therapeutische Spiel anspruchsvoll und erfordert von den Therapeut:innen viel Einfühlungsvermögen, Flexibilität, einen guten diagnostischen Blick und einiges an Übung – die von mir angebotenen Spielseminare sind dafür ein guter Einstieg.

Ist eine spieltherapeutische Sitzung zeitlich aufwändiger vorzubereiten als eine »normale« psychotherapeutische Sitzung?

Silvia Höfer: Nein, eine spieltherapeutische Sitzung kann quasi nicht explizit vorbereitet werden, da die Therapiekinder selbst entscheiden, ob sie überhaupt spielen wollen und was sie spielen. Wir als Therapeut:innen bestimmen lediglich den zeitlichen Rahmen und die Grundregeln im Spiel und mit den Materialien. Bei der Spielauswahl und den Spielinhalten schauen wir, was vom Kind kommt und arbeiten prozessorientiert, also mit dem Thema, Verhalten bzw. der Emotion, die vom Kind aktuell im Hier und Jetzt präsentiert wird. Wir sind also sehr flexibel – sowohl in der Bereitschaft, auf kindliche Inhalte einzugehen, als auch im »diagnostischen Blick«, also im Erfassen von Belastungsthemen, Verhalten und Emotionen des Kindes. Hinsichtlich situations- und spieladäquater therapeutischer Interventionen sollten wir einigermaßen sattelfest sein.

Gibt es auch Kinder, die in der Therapie gar nicht spielen möchten?

Silvia Höfer: Ja, es gibt immer wieder Kinder, die nicht oder nicht jedes Mal spielen möchten. Dann gestalten wir die Zeit, in der das Kind die Aktivität bestimmen darf, anders. Da therapeutisches Spiel nur dann hilfreich ist, wenn es freiwillig geschieht (nur dann kommen die Kinder in den therapeutisch hochwirksamen Flow), kann es von Therapeut:innenseite aus nicht »verordnet« werden. Genauso wenig geben wir vor, womit das Kind spielen soll. Wir sagen auch nicht, wie es spielen soll. In dem Moment, in dem wir vorgeben, wie ein Kind spielen soll und was es spielen soll, nähern wir uns dem strukturierten Rollenspiel an, das in der Verhaltenstherapie oft und auch sinnvoll eingesetzt wird. Das ist aber keine Spieltherapie und findet deshalb konsequenterweise auch im ersten, von der Therapeutin geplanten Teil der Behandlungsstunde als »Programm des/der Therapeut:in«, statt.

Werden in der Spieltherapie auch klassische Brettspiele gespielt oder geht es eher um Rollenspiele oder Basteln bzw. Malen?

Silvia Höfer: Wenn sich ein Kind ein Brettspiel in der Spielzeit aussucht, spielen wir das selbstverständlich. Auch bei Brettspielen können wir therapeutische Interventionen setzen. Wichtig ist dabei immer, dass wir im Spiel Situationen oder Problemlagen erkennen, die symptomrelevant sind (z.B. unangemessen hohe Affekte oder inadäquates Verhalten bei Frustration). Darauf reagieren wir dann lösungsorientiert (z.B. produzieren für uns selbst während des Spiels einen Misserfolg, verbalisieren dann als Verhaltensmodell »unsere« Frustrations-Emotion, um danach hilfreiche Gedanken zur Bewältigung der Situation zu suchen und danach zu handeln). Damit kann das Kind konkret sehen und direkt nachvollziehen, wie man mit heftigen Emotionen umgehen kann. Eine lösungsorientierte und im Sinne von Grawe an den Bedürfnissen des Kindes ausgerichtete therapeutische Haltung ist immer zentral.

Basteln und Malen hingegen gehören nicht zur Spieltherapie. Dies sind andere Medien des Ausdrucks wie sie z.B. in der Kunsttherapie verwendet werden. Die Kolleg:innen haben auch eine spezielle Ausbildung. Im spieltherapeutischen Arbeiten ist das Spielen das Medium. Dabei kann es sein, dass wir mit dem Kind mitspielen dürfen, es kann aber auch sein, dass wir uns darauf beschränken, das zu verbalisieren, was wir im Spiel und beim Kind wahrnehmen und was zur Auflösung der kindlichen Belastung beitragen kann.

Bei welchen Problemen hilft Spieltherapie besonders gut?

Silvia Höfer: Spieltherapie eignet sich besonders zur Bewältigung emotionaler Probleme wie Traurigkeit oder Depression, Unsicherheit oder Angst, Ärger, Frustration oder Aggression, die symptomatischem Verhalten zugrunde liegen. Zudem werden soziale Kompetenzen erworben und im gemeinsamen spielerischen Gestalten wichtige Beziehungs-, Bindungs- und Kontrollerfahrungen gemacht. Für die Bewältigung komplexer Traumata eignet sich das therapeutische Sandspiel als eine besondere Form des spielerischen Gestaltens und Umgehens mit starken emotionalen Belastungen.

Vielen Dank, Frau Höfer, für diesen spannenden Einblick in die spieltherapeutische Arbeit mit Kindern!

Exklusiver Live-Workshop unserer Expertin

Erleben Sie unsere Expertin Silvia Höfer am 16.06.2023 in einem exklusiven Online-Workshop zum Thema »Spieltherapeutisches Arbeiten mit Kindern« im Rahmen unserer akkreditierten Webinar-Reihe!

Die Expertin

Silvia Höfer ist eine Diplompädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (VT). Nach langjähriger Tätigkeit im psychologisch-therapeutischen Fachdienst einer Jugendhilfeeinrichtung, ließ sie sich 2000 in ihre eigene Praxis nieder. Sie hat zahlreiche Weiterbildungen absolviert, u.a. in personenzentrierter Therapie, Hypnosystemischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, EMDR, PITT und Somatic Experiencing. Sie ist zertifizierte Traumatherapeutin (DeGPT). Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Sandspieltherapie. Neben ihrer Tätigkeit als Therapeutin ist Silvia Höfer auch als Supervisorin, Dozentin und Selbsterfahrungsleiterin an verschiedenen Ausbildungsinstituten tätig. Sie ist Autorin des Fachbuches »Spieltherapie - Geleitetes individuelles Spiel in der Verhaltenstherapie«

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