Durch den Körper Selbstbehauptungskraft aktivieren
Sicher kennen Sie ähnliche Situationen, wie die folgende Szene aus meiner Therapiepraxis: Meine Patientin möchte in der Therapie lernen, sich besser gegenüber anderen abzugrenzen. Gemeinsam haben wir das Wording hierfür vorbereitet. Jetzt sitzt sie einem leeren Stuhl gegenüber und möchte üben, die erarbeiteten Formulierungen auch einem imaginären Gegenüber zu sagen. Mir fällt auf, wie sie beide Handflächen zwischen die Knie klemmt, die Fersen sind – genauso wie die Schultern – hochgezogen, der Kopf nach vorne geneigt. Ihre Stimme klingt leise. Sie bestätigt, dass sie sich unsicher und kraftlos fühlt. Ich lade sie ein, eine andere Körperhaltung auszuprobieren und leite sie an, die Füße hüftbreit fest auf den Boden aufzustellen, den Oberkörper aufzurichten, die Schultern nach hinten zu rollen, den Kopf aufrecht und den Blick horizontal zu halten, die Hände kraftvoll auf den Oberschenkeln aufzustützen. Schon diese Anleitungen verändern ihr Empfinden. Die Patientin fühlt sich stabiler. Aber sie spürt auch noch eine Hemmung in der Kehle, traut sich noch nicht richtig, die vorbereiteten Sätze auszusprechen. Ich ermutige sie, mit der Atmung zu experimentieren und durch die Nase in kraftvollen Stößen auszuatmen. Dabei soll sie den Stuhl gegenüber mit den Augen fixieren und die Zähne und Lippen leicht aufeinanderpressen. Nach wenigen Atemzyklen berichtet sie von mehr Energie und Kraft. Nach weiteren Atemzyklen spricht sie spontan ihren Satz aus: »Ich will das so nicht mehr!« Ich ermutige sie, diesen noch lauter auszusprechen. Ihre ganze Körperhaltung und Tonlage wirken jetzt klar, bestimmt und kraftvoll. Sie bestätigt, dass sie sich sehr viel sicherer fühle und über sich selber staune, dass sie so viel Energie aufbringen könne.
Achten Sie bei einer nächsten Gelegenheit einmal darauf, ob nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Körpersprache Ihrer Patient:innen dazu beiträgt, ihre Position anderen gegenüber deutlich zu machen. Wenn Sie eine Diskrepanz wahrnehmen, bitten Sie Ihre Patient:innen um Erlaubnis, ihnen eine Rückmeldung geben zu dürfen. Laden Sie Ihre Patient:innen ein, zu experimentieren mit verschiedenen Körperhaltungen und Tonlagen, bis sich sprachlicher Inhalt und Körper zusammen stimmig anfühlen. Dabei können Sie Vorschläge machen, nach Vorbildern fragen (»Wie würde sich eine selbstbewusste Person jetzt hinstellen?«) oder nachspüren lassen, ob Patient:innen in sich Handlungsimpulse spüren, wenn sie sich auf ihren Ärger/ihr Abgrenzungsbedürfnis fokussieren. Das Experimentieren mit einer stimmigen Haltung und das körperliche Nachspüren führen zu einer vertieften Verarbeitung und Verankerung. Dadurch wird das neue Muster in der realen Situation leichter abrufbar oder wie es eine meiner Patienten sagte: »Zuerst hatte ich keinen Mut, aber dann habe ich mich aufgerichtet, einen Fuß vorgesetzt und tief durchgeatmet – und dann ging es!«
Spielerisches Erproben von Selbstbehauptung
Auch spielerisch lässt sich Selbstbehauptung gut im therapeutischen Setting erproben. Schon ein Schal oder Seil auf dem Boden kann das »Revier« der Patient:innen abstecken. Während Sie als Therapeut:in sich langsam der Grenze nähern, haben die Patient:innen die Aufgabe, ihr »Revier« zu verteidigen. Das kann verbal geschehen (»Stopp!«), durch abwehrende Handbewegungen oder auch mit dem Auftrag, nur durch die Körpersprache ein »Nein« deutlich zu machen. Sie als Therapeut:in prüfen, ob Sie das Signal deutlich wahrnehmen können und dann sofort die Annäherung stoppen. Dieses zuverlässige Stoppen ist ein wichtiges Element für das Vertrauen in der therapeutischen Beziehung, aber auch für das Erleben von Selbstwirksamkeit aufseiten des/der Patient:in. Auch hier können Sie kontinuierlich Rückmeldung geben, zum Experimentieren mit Körperhaltungen und Tonlage einladen, bis ihre Patient:innen kraftvoll und überzeugend ihre Reviergrenze verteidigen können.