Unter Depressionen leiden auch Kinder und Jugendliche. Ihre Symptome können sich, je nach Alter, leicht unterscheiden, aber prinzipiell sind die Auswirkungen dieselben wie bei Erwachsenen. Die Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen sind jedoch breiter, als viele Psychotherapeut:innen zunächst annehmen. Immer noch sind die klassisch kognitiven Methoden die, die am häufigsten gelehrt werden, weil sie gut erforscht sind. Wir möchten Ihnen gerne zeigen, welche anderen Methoden und Übungen hilfreich sein können, um in der Depressionsbehandlung bei Kindern und Jugendlichen voranzukommen, wenn die Veränderungsprozesse stocken.
Ein typischer Fall aus der Praxis
Kim ist seit einiger Zeit in verhaltenstherapeutischer Behandlung. In der heutigen Sitzung soll es darum gehen, mit klassisch-kognitiven Methoden (sokratischer Dialog, Disputationstechniken, ABC-Schema etc.) an ihren dysfunktionalen Gedanken zu arbeiten. Irgendwie kann sich Kim aber nicht auf die geplanten Übungen einlassen. Sie sträubt sich gegen jedes Hinterfragen der Gedanken und hält immer mehr an den Gedanken fest, obwohl diese gemeinsam mit ihrer Therapeutin bereits als schädlich (weil störungsaufrechterhaltend) herausgearbeitet wurden.
Kennen Sie derartige Komplikationen, schwierige Therapiesituationen und stockende Veränderungsprozesse?
Die Grenzen der klassischen kognitiven Interventionen
Die klassische Kognitive Verhaltenstherapie, mit Methoden der Verhaltensaktivierung und kognitiven Umstrukturierung, gilt bei der Behandlung von Kindern und vor allem Jugendlichen mit depressiven Störungen als vergleichsweise gut erforscht und wirksam. Folgerichtig wird sie in verschiedenen Leitlinien als Mittel der Wahl empfohlen.
Gerade im Hinblick auf das klassische Vorgehen bei der Modifikation depressiver Denkmuster gibt es allerdings immer wieder junge Menschen, die auf derartige kognitive Verfahren nur bedingt gut ansprechen. Als Erweiterung hierzu kommen im Rahmen der »dritten Welle« der Verhaltenstherapie vermehrt akzeptanz- und achtsamkeitsbasierte, schematherapeutische sowie metakognitive Konzepte und Methoden zum Einsatz. Hier finden sich interessante alternative Zugänge, um depressive Gedanken zu entmachten. Folgende beispielhafte Schritte und Übungen bieten sich besonders für Kinder und Jugendliche an.
Sechs abwechslungsreiche Übungen und Methoden für Kinder und Jugendliche
(1) Erlebnisorientierte Übungen: So können Sie die Auswirkungen von wenig hilfreichen Gedanken und ständigem Grübeln auf die Stimmung verdeutlichen und erlebbar machen: Der Blick durch unterschiedlich gefärbte Brillen, oder eine Klarsichtfolie, die mit eigenen selbstabwertenden Gedanken beschrieben ist, die Vorstellung, in eine saure Zitrone zu beißen oder der Einsatz eines Luftballons als depressiven Gedanken, der aufgeblasen (bzw. besonders fokussiert) viel größer wird.
(2) Achtsamkeitsübungen: Wiederholt helfen Achtsamkeitsübungen dabei, das eigene Befinden wahrzunehmen, zu beschreiben und zu benennen. »Depressive« Gedanken können zunehmend als solche etikettiert werden. Die Vorstellung, gelassen am Bahnhof seiner eigenen Empfindungen zu sitzen, kann dabei unterstützen, sich aus dem Sog abwertender Gedanken zu befreien. Der einfahrende »Depri-Zug« mit negativen Zuschreibungen und Erwartungen wird bemerkt, begrüßt und zur Weiterfahrt durchgewunken.
(3) Defusions-Übungen: Defusions-Übungen wie das exemplarische schnelle und häufige Aussprechen des Wortes »Milch« (und später Begriffen wie z.B. »Versager«), können die Verschmelzung mit einseitigen, dysfunktionalen Gedankeninhalten weiter auflösen.
(4) Klärung eigener Interessen und Werte: Als Erweiterung dieser metakognitiven Zugänge bieten sich Übungen zur Klärung eigener Interessen und Werte an. Zum Beispiel zu der Frage, was man den eigenen Kindern später eigentlich erzählen möchte, was man aus seiner Jugend gemacht hat.
(5) Mein typisches Denkmuster: Bei einer vertieften Auseinandersetzung mit der bisherigen Lebensgeschichte können die Ursprünge eigener typischer Denkmuster, z.B. im Hinblick auf die Frustration von Grundbedürfnissen, betrachtet werden. Das Erkennen dieser biographischen Hintergründe kann die Selbst-Akzeptanz verbessern.
(6) Selbstfürsorge: Ergänzend können, z.B. im Stuhldialog mit abwertenden inneren Stimmen, selbstfürsorgliche Anteile und Strategien entwickelt und etabliert werden.
Das beschriebene Vorgehen kann Abwechslung und Bewegung in den therapeutischen Prozess bringen. Es kann depressiven Jugendlichen helfen, sich leichter von festgefahrenen Einstellungen, Wahrnehmungen und Verhaltensmustern zu lösen und Schritt für Schritt neue Wege einzuschlagen und nach vorne zu schauen. Sie als Kolleg:innen können diese oder ähnliche Methoden und Übungen ausprobieren und prüfen, ob Sie diese als hilfreich erleben und diese zu Ihrem Arbeitsstil passen. Gegebenenfalls können die Impulse Ihr therapeutisches Repertoire bereichern und auch zu Abwechslung und zur Bewegung des eigenen therapeutischen Arbeitens beitragen.
Die Autoren
Dr. Alexander Tewes, Dipl.-Psych., ist Leiter des Lüneburger Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenverhaltenstherapie (LAKIJU-VT) an der Psychiatrischen Klinik Lüneburg (PKL).
Prof. Dr. Gunter Groen, Dipl.-Psych., ist Professor für Psychologie im Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Zu seinen Schwerpunktthemen gehört die Klinische Kinderpsychologie und Psychotherapie.