(K)ein Mensch zum Verlieben: Wenn Patient:innen Gefühle für ihre Therapeut:innen entwickeln

Die therapeutische Beziehung ist von vielen besonderen Merkmalen geprägt, die manchmal den Umstand begünstigen, dass sich Klient:innen in ihre Therapeut:innen verlieben. Obwohl sich diese Situation überraschend für den Behandelnden anfühlt, ist sie nicht selten. Außerdem ist sie mit der richtigen Herangehensweise auch in den meisten Fällen zu bewältigen, ohne die Therapie beenden zu müssen. Eine Zurückweisung und ein Darstellen der Grenzen der Therapiebeziehung ist unumgänglich, dabei den richtigen Ton und die richtigen Worte zu finden, stellt jedoch viele Psychotherapeut:innen vor eine Herausforderung. Wie diese gemeistert werden kann, lesen Sie im vierten Beitrag unserer Reihe »Schwierige Therapiesituationen«.

Ein Fallbeispiel

In der Behandlung bei Ihnen ist Peter F., 33 Jahre, sichtlich aufgeblüht: Von seinem depressiven Verhalten ist nicht mehr viel übriggeblieben, und seit vier Stunden fällt Ihnen auch auf, dass er sich zunehmend schicker und modischer kleidet. In den Sitzungen ist er inzwischen regelrecht beschwingt, lebendig und hat sichtlich wieder Freude am Leben. Ein neues Licht fällt auf diese Verhaltensweisen, als er zur heutigen Stunde mit einem Bund roter Rosen erscheint, Ihnen diese noch in der Tür bei der Begrüßung entgegenhält und sagt: »Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr Sie mir in den letzten Monaten geholfen haben. Sie sind einfach ein solch besonderer Mensch, und noch nie hat mich jemand so verstanden wie Sie. Schon lange wollte ich Ihnen das sagen, und heute finde ich endlich den Mut dazu. Ich habe mich in Sie verliebt, und ich will das nicht mehr unterdrücken.«

Zum Hintergrund

Es ist keine Seltenheit, dass sich Klienten in ihre Behandler verlieben (…). Sehr viele Merkmale an der beraterischen oder therapeutischen Situation sind dazu geeignet, die Wahrscheinlichkeit hierfür zu erhöhen. (…) Je intensiver ein Behandlungskontakt ist, desto größer ist häufig die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Verliebtheit entwickeln kann. Denn gerade bei sehr intensiven Behandlungen machen die Klienten mit ihren Behandlern sehr viele positive Erfahrungen, die ihnen im »normalen« Leben unter Umständen oft fehlen: Ihnen hört jemand zu, fühlt mit ihnen mit, leistet direkte Hilfe, entlastet sie, ist verlässlich, lacht mit ihnen usw. Durch diese Erfahrungen kann es zu einer Verklärung der Person des Behandlers kommen, die der Entstehung romantischer Gefühle Vorschub leistet. Da es sich bei all diesen Merkmalen um günstige Faktoren einer gelungenen therapeutischen Beziehung handelt, ist die Entstehung von Verliebtheit somit gewissermaßen ein »Berufsrisiko« und nicht prinzipiell zu vermeiden. Das möchten wir in dieser Form auch deutlich hervorheben, da gerade unerfahrenere Therapeuten und Berater sich mitunter Vorwürfe machen, wenn sich Klienten in sie verlieben: »Das hätte nicht passieren dürfen, ich muss etwas falsch gemacht haben.« Die Realität besteht vielmehr darin, dass so gut wie jeder Berater oder Therapeut mit mehrjähriger Berufserfahrung bereits mindestens einmal erlebt hat, dass sich ein Klient bzw. eine Klientin verliebt hat. (…)

Doch natürlich kann Verliebtheit bei Klienten auch ein Hinweis darauf sein, dass sich der Behandler unprofessionell verhalten hat. Ähnlich wie bei persönlichen Einladungen durch Klienten sollte sich ein Behandler selbstkritisch darauf prüfen, ob er sich unprofessionell verhalten hat und dadurch die Entstehung von Verliebtheit gefördert hat, z.B. durch flirtendes Verhalten oder das Übersehen von »Frühwarnzeichen«. Sollte dies der Fall sein, so ist neben der weiteren Arbeit mit dem Klienten in jedem Falle eine selbsterfahrungsorientierte Supervision angemessen, um zu ermitteln, welche Motive diesem Verhalten zugrunde liegen und wie damit umgegangen werden kann. Sollten jedoch keine solchen Faktoren eine Rolle spielen, sondern sich die Verliebtheit aus einer professionell geführten Beziehung heraus ergeben haben, so hat sich der Behandler nichts vorzuwerfen, sondern muss im Folgenden nur einen weiterhin professionellen Umgang mit dieser Situation zeigen.

Der professionelle Umgang mit Verliebtheitsbekundungen

Die akute Reaktion auf das Verliebtheitsgeständnis eines Klienten sollte zuerst der Ausdruck von Wertschätzung über die Offenheit des Klienten sein: »Ich bin froh, dass Sie das jetzt gesagt haben, denn so können wir nun darüber sprechen, was das bedeutet. Das ist viel besser, als wenn Sie Ihre Gefühle versteckt hätten.« Wir halten es für günstiger, in den Dialog auf diese positive Weise einzusteigen, als sofort mit dem nun kommenden »Nein« zu antworten, weil das Äußern an sich nicht bestraft werden sollte. Doch in der Tat muss unmittelbar nach der Offenheitsanerkennung die Absage-Botschaft kommen. Dies ist natürlich einer der diffizilsten Teile des Dialogs, weil das »Nein« des Behandlers immer frustrierend, beschämend und unerwünscht ist. In jedem Falle sollten diese rücksichtsvoll, wertschätzend und freundlich gegeben werden. Doch lässt sich auch bei umsichtigster Formulierung natürlich nicht der harte Charakter einer Grenzziehung vermeiden. Wir geben nun einige Formulierungsvorschläge, die sich der obigen Offenheitswürdigung anschließen können:

  • »Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt sehr schwer ist für Sie zu hören, aber ich möchte Ihnen sagen, dass ich nicht in Sie verliebt bin, und dass es zwischen uns keine andere Beziehung geben wird als die therapeutische.«
  • »Sie haben es in dem, was Sie sagten, ja schon angedeutet, dass Ihnen klar ist, dass wir keine Beziehung eingehen werden. Ich möchte das noch mal bestätigen, das ist so. Wir werden in unserer beraterischen Beziehung bleiben.«
  • »Ich möchte Sie nicht verletzen, aber wahrscheinlich tue ich genau das, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ich nicht in Sie verliebt bin, und ich deshalb möchte, dass wir bei unserer therapeutischen Beziehung bleiben. Diese will ich Ihnen auch weiter anbieten, eine andere nicht.«

Wie diese Formulierungen deutlich machen, sollte die Position zwar mitfühlend, aber klar und ohne Ausreden erfolgen.

Was in den Modellformulierungen auch anklingt, ist die deutliche Botschaft der Möglichkeit der Aufrechterhaltung der beraterischen oder therapeutischen Beziehung: Verliebtheit von Klienten ist kein Grund, die Behandlung abzubrechen! Hiermit soll auch Katastrophisierungen vorgebeugt werden. Natürlich kann Verliebtheit zum Störfaktor werden, aber das ist nicht zwangsläufig der Fall, deshalb sollten Behandler erst einmal ihr Angebot aufrechterhalten und im Weiteren mit den Klienten gemeinsam prüfen, welche Bedeutung die Verliebtheit genau für die Behandlung hat und wie weiterhin damit umzugehen ist.

 Diese Vorschläge verdeutlichen, dass es in der weiteren Arbeit mit dem Klienten darum geht, die Gründe für sein Verliebtsein zu ermitteln, da hierdurch die Bedürfnisse des Klienten weiter verdeutlicht werden können. Daraus können sich für die weitere therapeutische Arbeit wichtige Impulse ergeben, nämlich im Sinne einer Verwirklichung dieser Bedürfnisse im Alltagsleben. 

  • »Was denken Sie, welche Bedeutung hat Ihr Verliebtsein für unsere Behandlung? Wie wollen Sie damit in der nächsten Zeit umgehen?«
  • »Mein Behandlungsangebot bleibt bestehen. Aber wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie sich Ihr Verliebtsein auswirken könnte. Wenn Sie noch mal an die Ziele denken, die Sie hier in der Therapie verfolgen … Wie ist es mit diesen? Was müssen wir berücksichtigen?«
  • »Wie kann ich Ihnen dabei helfen, dass Ihre Gefühle für mich nicht in Konflikt kommen mit unserer Arbeit hier?«
  • »Sind Sie einverstanden, wenn ich in unserer weiteren Zusammenarbeit konkret anspreche, wenn ich bei irgendetwas die Vermutung habe, dass Ihre heute für mich geäußerten Gefühle von Bedeutung sein könnten?«

Dos und Don’ts

Dos

  • Klare Botschaften setzen: Würdigung der Selbstöffnung, Erklärung der Unveränderbarkeit der therapeutischen Beziehung, Klärung der Bedeutung für die weitere Arbeit
  • Reflexion der eigenen Professionalität (»Habe ich unangemessen zur Entstehung dieser Gefühle beigetragen?«)
  • Freundlich, rücksichtsvoll, unterstützend bleiben

Don’ts

  • Katastrophisieren (»Oh Gott, furchtbar, er hat sich verliebt, jetzt ist alles ganz schwierig!«)
  • So tun »als wäre nichts« (»Ich spreche es lieber mal nicht an, vielleicht passiert ja nichts.«)
  • Brüsk, harsch, empört reagieren (»Es sollte Ihnen doch klar sein, dass es zwischen uns nichts geben wird!«)
  • Identifikation mit dem Verliebtsein (»Ich muss ein toller Mensch sein, wenn andere sich in mich verlieben.«)

Leseprobe aus: Noyon ∙ Heidenreich: Schwierige Situationen in Therapie und Beratung - 34 Probleme und Lösungsvorschläge. Beltz, 2020.

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