Mut zu anderen Wegen: Weiterbehandlung und alternative Hilfsangebote bei ausbleibendem Behandlungserfolg

Viele Menschen profitieren in einer ambulanten Psychotherapie sehr von der angebotenen Hilfe. Oft zeigen sie sich von Beginn an engagiert, motiviert und lassen sich auf die Behandlung sowie die eigene Veränderung ein. Natürlich verläuft dies nicht immer reibungslos, aber oft gelingt es Menschen, sich auch mit schwierigen persönlichen Themen auseinanderzusetzen und ihr Leben zu verändern. Doch immer wieder kommen auch Patient:innen in die Behandlung, bei denen es von Anfang an oder nach einigen Sitzungen hakt. In einigen Fällen lohnt es sich, die Behandlung fortzuführen, dabei jedoch die Ziele und therapeutische Haltung anzupassen. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, den Patient:innen ein alternatives und für sie individuell passenderes Hilfsangebot zu vermitteln.
Ich möchte Ihnen zwei Fallbeispiele nahe bringen, die genau solche Situationen verdeutlichen und unterschiedliche Herangehensweisen aufzeigen.

Begleitung anstelle veränderungsorientierter Psychotherapie: Fallbeispiel 1*

Frau X., eine freundliche Seniorin im hohen Alter, meldete sich auf Anraten ihres Psychiaters. Symptomatisch lag seit mehreren Jahrzehnten eine Rezidivierende depressive Störung vor. Frau X. lebte in einer Seniorenresidenz, hatte keine Angehörigen mehr und es wurde schnell klar, dass die Ursache der vorliegenden Depression vor allem die Einsamkeit war. Die Ressourcen der Patientin waren eher gering, vor allem aufgrund diverser somatischer Vorerkrankungen, die Frau X. dazu zwangen, in einem sehr kleinen Radius zu leben. In den Sitzungen zeigte sie sich äußerst therapiemotiviert, freute sich auf jeden Termin. Eine wirkliche Veränderung im Alltag war dagegen kaum umzusetzen und irgendwie waren die Menschen in ihrem Umfeld einfach nicht »die Richtigen« für sie. Ein Verstärkeraufbau konnte nur in sehr kleinem Rahmen umgesetzt werden, da die Patientin unter diversen körperlichen Einschränkungen litt und auch einfach nicht wirklich etwas verändern wollte. Ihr Ziel war es, einen ruhigen Lebensabend mit möglichst wenig depressiven Symptomen zu verbringen. Fachlich gesehen hätte ich die Behandlung vermutlich abbrechen müssen. Stattdessen begleitete ich die Patientin über mehrere Monate bis zu ihrem unerwarteten Tod. Die therapeutische Beziehung war wahrscheinlich ein aufrechterhaltender Faktor und diente großteils als Ersatz für enge Freunde oder Familie. Zeitgleich führte die Therapie jedoch auch dazu, dass die Patientin nicht erneut (teil-)stationär behandelt werden musste. Sie konnte mit Hilfe der Sitzungen ihren Alltag ganz gut über die Bühne bringen und sich gelegentlich kleine schöne Momente erarbeiten. Begleitung bedeutete in diesem Kontext die Erwartungen an die Behandlung stark zurückzuschrauben und sich um die Bedürfnisse der Patientin zu kümmern. Tiefgreifende Einsicht in die Biographie, einen klaren Behandlungsplan oder klassische Interventionen werden demgegenüber oft zurückgestellt. Entlastung, Unterstützung und kleine Schritte – ähnlich dem Vorgehen, welches unter dem Begriff »Supportive Psychotherapie« oft in stationären Einrichtungen zu finden ist und kaum in der Literatur und Forschung auftaucht.

Anderweitige Hilfsangebote anstelle einer Psychotherapie: Fallbeispiel 2

Auch bei Herrn Y. handelte es sich um einen Patienten mit Bedarf an besondere Maßnahmen. Er kam motiviert zum Erstgespräch und berichtete von diversen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, die mit einer Kündigung endeten. Daraus resultierten massive finanzielle Sorgen und ein Verlust der Tagesstruktur. Depressive Symptome, sowie starke Schlafstörungen waren die Folgen. Sein Freundeskreis habe ihm aus Sorge geraten, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nach einigen Sitzungen wurde klar, dass sich die Symptomatik nahezu vollständig auf den Verlust des Arbeitsplatzes, die schlechten Arbeitsbedingungen im letzten Job und die reale finanzielle Bedrohung bezog. Der Patient hatte einen soliden Freundeskreis, in dem er auch entlastende Gespräche über die Kündigung führte. Ein kurzer Verstärkeraufbau war schnell integriert, doch die Grübelzirkel, die Perspektivlosigkeit und die Schlafstörungen blieben. Somit vermittelte ich den Patienten an eine Beratungsstelle für »Arbeit und Gesundheit« mit dem Schwerpunkt auf psychische Erkrankungen. Natürlich mit dem Angebot, sich zu melden, sollte weiterer psychotherapeutischer Bedarf bestehen. Einige Monate später schrieb Herr Y. eine E.Mail. Durch die Beratungsstelle habe er einen neuen Arbeitsplatz mit passenden Arbeitsbedingungen gefunden. Er habe dort vorher mit einem Sozialpädagogen erarbeitet, was für ihn persönlich wichtige Voraussetzungen seien, um im Beruf nicht krank zu werden. Jetzt gehe es ihm wieder gut.

Reflexion im Therapieprozess: Wann alternative Unterstützungssysteme berücksichtigen?

Im psychotherapeutischen Arbeitsalltag ist es natürlich oft nicht so einfach wie in diesen beiden Fällen. Dennoch lohnt es sich, gerade bei ausbleibendem, gelegentlich gezielt das eigene Vorgehen zu hinterfragen: Ist eine Therapie sinnvoll? Sollte sie eher als Begleitung stattfinden? Oder könnte eine Alternative zur Psychotherapie die passendere Hilfe sein? Neben Beratungsstellen für verschiedenste Themen sind Angebote wie Soziotherapie, Ambulante Sozialpsychiatrie (ASP), Ergotherapie, Selbsthilfegruppen und andere Hilfeleistungen in manchen Fällen ergänzende oder alternative Unterstützung zur Psychotherapie.

(*Im Sinne der Schweigepflicht wurden die Fallbeispiele stark verfremdet.)

Exklusiver Live-Vortrag

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Die Autorin


Ruth Kohlhas ist Psychologische Psychotherapeutin (VT) und Dozentin am MoVA Institut HH. Während Ihrer langjährigen Arbeit in einer stationär betreuten Wohneinrichtung sammelte sie umfassende Erfahrungen zu den Grenzen von Psychotherapie und komplexen Therapieverläufen. Aktuell ist sie angestellte Psychotherapeutin im Altomed MVZ, welches durch seinen Träger (Nussknacker e.V.) in ein starkes sozialpsychiatrisches Netzwerk integriert ist.

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