Psychedelika in der Psychotherapie: Experteninterview mit Dr. med. Susanne Prinz

Bei Patient:innen mit schweren psychischen Störungen führen First-Line-Behandlungen manchmal nicht zu einer nachhaltigen Besserung, sodass in diesen Fällen immer wieder alternative Therapieverfahren zum Einsatz kommen. In diesem Zusammenhang wird derzeit intensiv die Psychedelika-augmentierte Therapie (PAT) erforscht. Psychedelika, die auch als Halluzinogene bezeichnet werden, sind Substanzen, die das Bewusstsein, die Wahrnehmung sowie das emotionale Erleben beeinflussen. Sie sollen neue Erfahrungsräume eröffnen und so therapeutisch wirksame Veränderungsprozesse anstoßen. Ein zentrales Merkmal dieser Wirkstoffe ist ihre Fähigkeit, festgefahrene Denk- und Verhaltensmuster zu durchbrechen. Dabei wirken sie nicht nur auf das subjektive Erleben, sondern entfalten auch nachweisbare Effekte auf neurobiologischer Ebene. Neben dem Anästhetikum Ketamin, das mittlerweile in niedrigen Dosen als wirksame Behandlungsoption bei Depressionen eingesetzt wird, rücken zunehmend Substanzen mit primär psychedelischer Wirkung in den Fokus, beispielsweise LSD, Psilocybin und Mescalin. Auch MDMA, besser bekannt als Wirkstoff der Partydroge Ecstasy, wird in klinischen Studien hinsichtlich seines therapeutischen Potenzials u.a. bei Traumafolgestörungen erforscht. Auch wenn das wissenschaftliche (und auch mediale) Interesse stetig wächst, gibt es noch viel Skepsis unter ambulant und stationär arbeitenden Behandler:innen. Deshalb bedarf es viel Aufklärung über die Möglichkeiten, aber auch Grenzen dieser Substanzen. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken? Und wie sieht überhaupt eine sichere Durchführung einer psychedelikagestützten Therapie aus?
Darüber sprechen wir heute mit Dr. med. Susanne Prinz, die auf eine langjährige klinische Erfahrung in der Behandlung therapieresistenter psychischer Störungen mit psychedelischen Substanzen zurückblicken kann.


 

Sehr geehrte Frau Prinz, welche Chancen sehen Sie im psychotherapeutischen Einsatz von Substanzen wie Psilocybin, MDMA oder Ketamin?

Susanne Prinz: »Diese Substanzen können dabei helfen, tief wurzelnde dysfunktionale Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster zu durchbrechen, neue Sichtweisen und Erfahrungen zu ermöglichen und so psychotherapeutische Prozesse zu unterstützen oder erst zu ermöglichen, die sonst nur schwer erreichbar wären. Teilweise über viele Jahre erlerntes Vermeidungsverhalten kann reduziert werden, Grundüberzeugungen können infrage gestellt und Emotionen und Erfahrungen umbewertet werden. Wir setzen also mit der Psychedelika-augmentierten Therapie (PAT) an den grundlegenden psychischen Mechanismen an, die Wahrnehmung und Erleben beeinträchtigen. Wichtig ist die Bereitschaft, sich auf diesen – teilweise sehr anstrengenden und schmerzhaften – Prozess einzulassen und dabei in einem sicheren Rahmen therapeutisch begleitet zu werden.«

Welche Erfahrungen haben Sie schon selbst klinisch mit psychoedelika-gestützter Therapie gemacht und in welchen Indikationsbereichen halten Sie den Einsatz von Psychoedelika für besonders erfolgversprechend?

Susanne Prinz: »An der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich verfügen wir über langjährige Erfahrung in der Erforschung der Wirkung von Psychedelika. Seit etwa zwei Jahren wenden wir diese auch klinisch an, Esketamin, das ja kein Psychedelikum im engeren Sinne ist, sondern ein Dissoziativum, sogar noch länger. Die Schweiz hat ja ohnehin eine lange Geschichte mit Psychedelika, nicht zuletzt berücksichtigend, dass der Chemiker Albert Hoffmann hier seine wegbereitenden Erfahrungen mit LSD im Jahr 1943 machte. Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre war es vorübergehend möglich, bei entsprechender Indikation Psychedelika im engeren Sinne therapeutisch einzusetzen, sofern ein Antrag auf beschränkte medizinische Bewilligung vom Bundesamt für Gesundheit für die spezielle Person und spezielle Substanz bewilligt worden war. Dies wurde 2014 wieder aufgenommen. An der PUK Zürich wenden wir die Psychedelika-augmentierte Therapie (PAT) aktuell vor allem bei schwer behandelbaren depressiven Störungen an. Weitere Indikationen sind schwer behandelbare Posttraumatische Belastungsstörungen und Abhängigkeitserkrankungen. Daneben verwenden wir Esketamin in der PUK sehr häufig im Zentrum für Depressionen, Angststörungen und in der Psychotherapie bei therapieresistenten Depressionen. Mit Psychedelika habe ich vor allem Patient:innen behandelt, die uns von ambulanten Behandler:innen zugewiesen wurden, wenn gängige Therapieoptionen ausgeschöpft schienen. Wenn wir die Indikation sehen, führen wir über einen begrenzten Zeitraum eine Therapie durch, die neben den Substanzsitzungen selbst – oft sind es mehrere – sowohl die Vorbereitung, als auch die Integration beinhaltet. Mit zunehmender Erfahrung stelle ich immer mehr fest, dass es nicht eine ICD-10-Diagnose ist, die wir behandeln, sondern vielmehr Syndrome oder eben die bereits eingangs erwähnten dysfunktionalen Muster, die das Erleben und Verhalten beeinträchtigen. Derartige Muster, wie z.B. ein negatives Selbstkonzept oder schwere interaktionelle Probleme, sind teilweise sehr verhaftet und verhindern ein Umdenken odevr positive Erfahrungen, insbesondere wenn sie mit Vermeidungsverhalten einhergehen.«

Wie sieht eine sichere und verantwortungsvolle Durchführung einer psychedelikagestützten Therapie aus? Welche Besonderheiten gilt es zu beachten?

Antwort: »In der Schweiz gibt es bereits Behandlungsempfehlungen sowohl von der Schweizer Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT) als auch von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP). Derzeit wird zudem an einem Fähigkeitsausweis für die PAT gearbeitet, um die Behandlungsqualität und -sicherheit zu gewährleisten. Einig sind sich die verschiedenen Fachgesellschaften darin, dass bei der PAT besondere Sorgfalt geboten sein muss. Das BAG prüft einen Antrag auf beschränkte medizinische Anwendung nicht nur daraufhin, ob die Voraussetzungen auf Seiten des Patienten erfüllt sind, sondern auch, ob die antragstellende Person die erforderlichen Kompetenzen mitbringt und Bedingungen für eine sichere und qualitativ hochwertige Behandlung gewährleisten kann. Auch verlangt das BAG Abschlussberichte und fordert zu einem Qualitätsmonitoring sowie Monitoring von unerwünschten Wirkungen auf. Dies bezieht sich auf die beschränkte medizinische Anwendung der nicht zugelassenen Substanzen, also nicht Esketamin.

Was ist besonders? Natürlich braucht es wie bei anderen Therapien in der Psychiatrie medizinische und psychotherapeutische Expertise. Besonders ist bei der PAT allerdings, dass bei so einer disruptiven Therapieform uns Therapeut:innen eine besondere Verantwortung zukommt. Die Patient:innen sind besonders vulnerabel, teilweise sehr suggestibel, und aufgrund der erhöhten Neuroplastizität ist es wichtig, was die Personen während und nach der Substanzsitzung erfahren. Durch die Hemmung der Top-Down-Prozesse im Gehirn verändern sich Wahrnehmung und Erleben so maßgeblich, wie es viele Patient:innen noch nie erlebt haben. Dies kann sehr herausfordernd und teilweise erschreckend sein. Auch schwierige Erfahrungen müssen therapeutisch gut begleitet werden. Der therapeutischen Beziehung kommt daher noch mal eine größere Bedeutung zu als ohnehin schon in der Psychotherapie. Sogenannte Horrortrips, wie sie aus dem nicht-therapeutischen Gebrauch bekannt sind, können schwerwiegende Spuren hinterlassen. Auf jeden Fall darf man sich durch den aktuellen Hype nicht zu Unvorsichtigkeit verleiten lassen und sollten demütig bleiben. Immerhin sind wir noch dabei, besser zu verstehen, was die genauen Wirkmechanismen sind, wie die Wirkung optimiert werden kann, welchen Spielraum es in Bezug auf Rahmenbedingungen gibt und wie man besser das individuelle Ansprechen von Patient:innen prädizieren kann.«

Gehen Sie davon aus, dass sich psychedelische Therapieformen in den nächsten 10 Jahren etablieren werden und zu einer festen Ergänzung der klassischen Psychotherapie werden?

Susanne Prinz: »Aktuell gehe ich nicht davon aus, dass sie zeitnah zu einer allgemein üblichen Therapieform wird und schon gar nicht eine feste Ergänzung der klassischen Psychotherapie. Die PAT ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht für jeden geeignet und es sollte sorgfältig abgewogen werden, ob und wie sie bei den Betroffenen angewandt wird. Dass die Zahlen weiter zunehmen und auch in anderen Ländern die Möglichkeiten der PAT erweitert werden, davon bin ich überzeugt. Und ich hoffe auch, dass die Therapien mit klassischen Psychedelika und MDMA noch mehr aus der Schmuddelecke herauskommen und von den Krankenkassen anerkannt werden. Nur so haben auch Personen mit sehr geringen Einkünften die gleiche Chance, sie ambulant zu erhalten. Ohne die Möglichkeit, die Therapie adäquat abzurechnen, kann nicht gewährleistet werden, dass kompetente Therapeut:innen die Therapie weiterhin anbieten können.«

Vielen Dank, Frau Dr. Prinz, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um uns diese spannenden Einblicke in die psychedelische Therapie zu geben!

 

Exklusiver Live-Vortrag

Erleben Sie Dr. med. Susanne Prinz am Dienstag, den 03. Juni 2025, in einem exklusiven Live-Vortrag zum Thema »Psychedelika und Psychotherapie – wie geht das zusammen?« im Rahmen unserer akkreditierten Webinar-Reihe.

 

Die Expertin

Portrait Susanne Prinz

Dr. med. Susanne Prinz ist als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Stellvertretende Zentrumsleitung des Zentrums für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) Zürich. Susanne Prinz hat Medizin und Psychologie studiert, an der Charité promoviert und nach einer Grundausbildung in kognitiver Verhaltenstherapie verschiedene Psychotherapiemethoden erlernt, wie Traumatherapie-Methoden, Achtsamkeits-orientierte Methoden, Dialektisch-Behaviorale Therapie und Schematherapie. An der PUK Zürich beschäftigt sich mit den Wirkmechanismen der Psychedelika-augmentierten Therapie und entwickelt Therapie-Konzepte derselben weiter. Sie gibt Vorträge und Symposien zu dem Thema und bringt sich in Arbeitsgruppen zur Förderung der PAT ein.