Viel mehr als Psychoedukation: Elternarbeit in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

Die psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine ebenso anspruchsvolle wie bereichernde Aufgabe. Kinder und Jugendliche befinden sich in einer dynamischen Entwicklungsphase. Ihre psychischen Herausforderungen betreffen jedoch selten nur sie allein, sondern stehen stets in Wechselwirkung mit ihrem familiären Umfeld. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Eltern bzw. bedeutsamen Bezugspersonen ein unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen Kinder- und Jugendpsychotherapie. Doch wie können Eltern im Verlauf einer Psychotherapie ihres Kindes als Co-Therapeut:innen, Unterstützer:innen und Wegbegleiter:innen am besten von Psychotherapeut:innen in den therapeutischen Prozess miteinbezogen werden? Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen über psychische Störungen oder Erziehungsstrategien, sondern vor allem um das Verstehen und Bearbeiten der elterlichen und familiären Dynamiken. Durch gezielte Elternarbeit können familiäre Beziehungen gestärkt und dysfunktionale Interaktionsmuster verändert werden. Dies trägt zur langfristigen psychischen Gesundheit des Kindes bei.

Die Herausforderung von Elternarbeit

Viele Therapeut:innen stehen vor der Herausforderung, Eltern angemessen in den therapeutischen Prozess einzubeziehen. Dabei jonglieren sie zwischen den Bedürfnissen des Kindes, den Sorgen der Eltern und den therapeutischen Zielen. Das erfordert Fingerspitzengefühl, eine klare Kommunikation und eine stabile therapeutische Haltung. Begleitende Elternarbeit beinhaltet die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, Barrieren und Widerstände zu überwinden, Perspektiven zu integrieren und gemeinsame Ziele zu formulieren, oft unter herausfordernden Bedingungen.

In der Elternarbeit sollten Psychotherapeut:innen stets vier Ebenen berücksichtigen:

  1. Gemeinsam mit den wichtigen Bezugspersonen des Therapiekindes ein Verständnis für die Genese und die aufrechterhaltenden Bedingungen des Störungsbildes zu erarbeiten.
  2. Die Eltern darin anzuleiten und zu unterstützen, einen angemessenen Umgang mit den Verhaltensauffälligkeiten ihres Kindes zu finden.
  3. Achtsam die elterlichen, inneren Dynamiken in Konfliktsituationen mit dem Kind verstehen und regulieren zu lernen.
  4. Als Therapeut:innen die Aktivierung von eigenen Mustern des Erlebens und Handelns aus biografischen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Eltern zu erkennen und zu bewältigen.

Grundlagen und therapeutische Haltung in der Elternarbeit

Kinderpsychotherapie ist ohne begleitende Elternarbeit nicht denkbar. Doch für eine nachhaltige Wirksamkeit einer miteinander verknüpften psychotherapeutischen Behandlung der wichtigsten Subsysteme ist eine sensible und achtsame Planung und Gestaltung der Einbeziehung bedeutsamer Bezugspersonen unerlässlich.

Die Komplexität begleitender Elternarbeit erfordert oftmals zunächst eine Auseinandersetzung mit Grundlagen und der eigenen therapeutischen Haltung. Bereits zu Beginn der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen bildet die Abwägung juristischer, formeller und motivationaler Gründe eine wichtige Basis für den gelingenden Einbezug von Eltern. In Abhängigkeit vom theoretischen Hintergrund und der therapeutischen Ausrichtung innerhalb der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie werden dann unterschiedliche Schwerpunkte bei der begleitenden Elternarbeit gesetzt. Störungsübergreifende Ansatzpunkte für begleitende Elternarbeit sowie problem- und zielorientierte Konzepte bieten Strukturierungshilfen. Eine adäquate Unterstützung der Eltern von verhaltensauffälligen Kindern erfordert die Auseinandersetzung mit familiären Entwicklungsaufgaben im jeweiligen Familienzyklus. Dabei werden auch individuelle und familiäre Risikofaktoren bereits in der Diagnostik und später in der Behandlungsplanung berücksichtigt. Sie tragen oftmals entscheidend zur Klärung der Symptomatik bei. Das Wissen um Schutzfaktoren unterstützt die Ressourcenarbeit mit Eltern sowie den Aufbau von deren Resilienz in störungsbedingten Konfliktsituationen. Auch die gemeinsame Reflexion von Erziehungsstilen der Bezugspersonen ist wichtig, denn sie können sich als kontraproduktiv für eine nachhaltige Veränderung von Problemverhalten erweisen.

Die Bedeutung der eigenen Biografie

Therapeut:innen sollten sich darüber hinaus immer selbstreflexiv hinterfragen, welche Phasen der Elternarbeit ihnen in der Umsetzung leichter bzw. schwerer fallen und wie sie sich dies auf der Basis eigener biografischer Erfahrungen erklären können. Eigene biografische Anker können eine angemessene Kontaktaufnahme zu Eltern erschweren oder regelrechte Barrieren für einen achtsamen Beziehungsaufbau mit Eltern darstellen. Die Reflexion der eigenen Biografie kann hilfreich für die Vorbereitung auf die konkrete begleitende Elternarbeit sein und die Gestaltung der Zusammenarbeit erleichtern.

Zusätzliche Herausforderungen

Wenn Eltern selbst physisch oder psychisch krank sind, kann das große Auswirkungen auf das Kind haben – sei es durch emotionale Belastung, unsichere Bindung oder die Übernahme von Rollen, die nicht altersgerecht sind. Eltern mit einem anderen kulturellen Hintergrund, getrennte Eltern, hochkonflikthafte Elternbeziehungen oder Patchworkfamilien führen häufig zu schwierigen Herausforderungen in der Kinderpsychotherapie und erfordern zusätzliches fundiertes Wissen.

Verschiedene therapeutische Ansätze in der Elternarbeit

Neben der Psychoedukation gibt es verschiedene evidenzbasierte Methoden für die Elternarbeit, z. B. aus der Verhaltenstherapie, der psychodynamischen Kindertherapie, der systemischen Familientherapie und der Schematherapie, um mit den oft komplexen Problemen der Familie umzugehen. Die Wahl des Ansatzes hängt von der spezifischen Familiensituation ab. Manche Eltern brauchen vor allem Wissen über das Störungsbild, andere eine intensive Reflexion oder konkrete Erziehungshilfen. Oft ist eine Kombination aus mehreren Methoden sinnvoll.

Lernen an praktischen Beispielen zur Elternarbeit

Fallbeispiele helfen Therapeut:innen, theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen, diagnostische Fähigkeiten zu schärfen und ihre therapeutische Haltung zu reflektieren. Therapieplanung und eine gezielte Wahl der Interventionen können durch praktische Beispiele gezielt vermittelt werden. Der Umgang mit Widerstand und schwierigen Situationen und die Reflexion der eigenen Haltung und Beziehungsgestaltung werden so konkret vermittelt.

Nicht nur Kinderpsychotherapeut:innen oder Kinderpsychiater:innen, sondern auch Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen und andere Fachkräfte im psychosozialen Bereich profitieren vom Wissen über begleitende Elternarbeit.

Die Autorinnen

Dr. phil. Leokadia Brüderl, Psychologische Psychotherapeutin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis in Sindelfingen. Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin für Verhaltenstherapie (DVT) und Schematherapie (ISST).

Dr. med. Ulrike Detzner-Reiter, Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, besitzt eine Lehrpraxis für Verhaltenstherapie. Sie ist in eigener Praxis in Tübingen und als Dozentin und Supervisorin tätig.

2025 ist von den Autorinnen bei Beltz das »Therapie-Basics Elternarbeit« erschienen.

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