Von dysfunktionalen Bewältigungsmodi zum gesunden Erwachsenmodus: Schematherapie einfach erklärt

Die Schematherapie nach Jeffrey Young bzw. Arnoud Arntz ist eine Weiterentwicklung der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Sie wurde gezielt für Nonresponder auf KVT entwickelt und integriert auch Techniken humanistischer Therapien wie der Gestalttherapie. Schematherapie wurde ursprünglich als störungsübergreifender Ansatz entwickelt. Darüber hinaus wurden mittlerweile für viele Persönlichkeitsstörungen (PS) störungsspezifische Modelle erarbeitet. Im Vergleich zur KVT sind folgende vier Merkmale bedeutsam:

  1. Der Veränderung des emotionalen Erlebens kommt ein zentraler Stellenwert zu, dazu werden emotionsfokussierende Interventionen wie Imaginationsübungen und Stuhldialoge eingesetzt.
  2. Die Therapiebeziehung wird konzeptualisiert als begrenzte elterliche Fürsorge (limited reparenting) in dem Sinne, dass der Therapeut einen aktiven, fürsorglichen und teilweise elternartigen Beziehungsstil gegenüber dem Patienten einnimmt.
  3. Den Erfahrungen aus Kindheit und Jugend wird ein zentraler Stellenwert für die Entstehung von chronischen psychischen Problemen eingeräumt.
  4. Handlungsleitend ist das Konzept der Bedürfnisorientierung; als Schemata werden solche Muster definiert, die aus früher Bedürfnisfrustration herrühren und heute eine angemessene Erfüllung der eigenen Bedürfnisse verhindern.

Maladaptive Schemata

Ein Schema ist eine mentale Struktur, die der automatischen Informationsverarbeitung dient und die sowohl Kognitionen, Emotionen, Erinnerungen, Wahrnehmungen als auch interpersonelle Muster beinhaltet. Es wird davon ausgegangen, dass Schemata während der Kindheit angelegt wurden und durch Coping-Mechanismen und das interpersonelle Verhalten des Patienten während seines Lebensaufrechterhalten werden. Wenn ein bestehendes Schema aktualisiert wird, treten typischerweise intensive Gefühle auf, beispielsweise Angst, Traurigkeit oder Verlassenheit. Young et al. (2008) definierten auf der Grundlage klinischer Beobachtung 18 maladaptive Schemata, die untergliedert sind in insgesamt fünf sogenannte Schemadomänen. Jede Schemadomäne wird mit der Nichterfüllung bestimmter Grundbedürfnisse in der Kindheit in Verbindung gebracht. Grundsätzlich bestehen vermutlich bei den meisten oder allen Menschen in irgendeiner Form maladaptive Schemata. Zur psychischen Störung wird dies dann, wenn die Schemata so stark ausgeprägt sind, dass sie mit gestörtem emotionalen Erleben und entsprechenden Symptomen oder Funktionsproblemen einhergehen. […]

Schema-Coping

Ein gegebenes Schema geht nicht unbedingt mit einem ganz bestimmten Problemverhalten einher. Wie sich ein Schema in Beziehungen zeigt, hängt wesentlich vom jeweiligen Bewältigungsstil ab. In der Schematherapie werden drei verschiedene Copingstile unterschieden.

  1. Von Unterwerfung wird gesprochen, wenn sich der Betroffene dem Schema »ergibt« und sich so verhält, als sei das Schema wahr. Er lässt damit zu, dass andere ihn schlecht behandeln (bis hin zu Missbrauch), selbst wenn es prinzipiell in seiner Macht läge, Grenzen zu ziehen.
  2. Vermeidung liegt dann vor, wenn soziale Situationen und/oder Emotionen durch Rückzug oder andere Mechanismen wie etwa Substanzgebrauch umgangen werden. Auch Stimulation oder stark beruhigende oder besänftigende Tätigkeiten können der Vermeidung dienen.
  3. Überkompensation liegt vor, wenn sich der Betroffene extrem dominant und selbstbewusst verhält, als sei das Gegenteil des Schemas wahr. Das bedeutet, sich beispielsweise bei Vorliegen eines Versagensschemas »aufzublasen« und eigene Erfolge stark zu betonen, oder bei einem Missbrauchsschema anderen gegenüber übermäßig selbstbewusst und aggressiv aufzutreten und eher andere zu missbrauchen, als weiteren Missbrauch zuzulassen.

Das Schema-Modus-Konzept

Mit einem einzigen Schema können sehr unterschiedliche Verhaltens- und Erlebensmuster verbunden sein. So kann sich eine Patientin mit starkem Versagensschema einerseits traurig, verzweifelt und hilflos fühlen, wenn ihr nur ein geringfügiger Fehler unterläuft. Andererseits kann sie möglicherweise in überkompensierender Weise extreme Leistungsfähigkeit zur Schau stellen und eigene Fehler negieren. Möglicherweise vermeidet sie Leistungssituationen aber auch, um nicht mit den damit verbundenen Gefühlen in Verbindung zu treten. Diese situativ wechselnden Zustände werden als unterschiedliche Schemamodi bezeichnet. Damit sind Schemata gewissermaßen Eigenschaften oder Traits, die den Modi zugrunde liegen. Schemamodi sind demgegenüber eher schemaassoziierte States oder Zustände, die teilweise sehr wechselhaft sein können. Gerade bei Patienten mit vielen verschiedenen Schemata, in denen entweder wechselnde oder sehr verharrende schemaassoziierte Zustände auftreten, ist es einfacher, auf diese Zustände (Modi) einzugehen, als immer wieder auf Schemata zu rekurrieren.

Das Schema-Modus-Konzept beinhaltet einen störungsübergreifenden Ansatz sowie störungsspezifische Moduskonzepte.

Im störungsübergreifenden Ansatz werden vier verschiedene Modus-Kategorien unterschieden:

  1. Maladaptive Kindmodi, die sich entwickeln, wenn in der Kindheit wichtige Bedürfnisse, insbesondere Bindungsbedürfnisse, nicht angemessen erfüllt wurden. Kindmodi sind assoziiert mit intensiven negativen Gefühlen, z. B. große Angst vor Bedrohung oder Verlassenwerden, Hilflosigkeit, Traurigkeit (verletzliche Kindmodi), Wut oder Ärger (wütende Kindmodi).
  2. Dysfunktionale Elternmodi zeigen sich durch Selbstabwertung, Selbsthass oder extremen Druck auf sich selbst. Es wird davon ausgegangen, dass sie internalisierte negative Annahmen über das Selbst reflektieren, die der Patient in Kindheit und Jugend aufgrund des Verhaltens und der Reaktionen anderer Personen (Eltern, Lehrer, Peers) erworben hat.
  3. Dysfunktionale Bewältigungsmodi beschreiben einen übermäßigen Einsatz der Copingstile Vermeidung, Überkompensation oder Unterwerfung.
  4. Mit dem sogenannten Modus des gesunden Erwachsenen werden adäquates emotionales Erleben und funktionales Erleben und Handeln zusammengefasst.

Zu Beginn der Behandlung wird ein Fallkonzept erstellt, mit dem die Probleme und Symptome des Patienten, seine interpersonellen Schwierigkeiten, problematischen Emotionen und die dazugehörigen biografischen Informationen systematisch in einem Modus-Konzept zusammengefasst werden.

Therapeutische Interventionen

Das übergreifende Ziel in der Schematherapie besteht darin, mit dem Patienten zu erarbeiten, welche Bedürfnisse in seiner Biografie nicht erfüllt wurden, wie dysfunktionale Schemata und Modi sich entwickelt haben, wie diese den Patienten gegenwärtig einschränken, und wie eigene Bedürfnisse aktuell angemessener erfüllt werden können. Dazu wird gemeinsam ein individuelles Modusmodell erarbeitet. In der folgenden Behandlung werden alle auftretenden Probleme oder Symptome in diesem Moduskonzept konzeptualisiert und behandelt. Das heißt, es wird jeweils erarbeitet, welche Modi bei einem bestimmten Problem beteiligt sind, und dann modusspezifisch interveniert. Für jeden Modus-Typ werden damit jeweils spezifische Behandlungsziele verfolgt. Um diese Ziele zu erreichen, werden kognitive, emotionsorientierte sowie verhaltensorientierte Interventionen eingesetzt. Darüber hinaus wird die Therapiebeziehung gezielt konzeptualisiert als »begrenzte elterliche Fürsorge« (Limited Reparenting) in Verbindung mit dem Setzen von angemessenen Grenzen.

Leseprobe aus: Faßbinder, Schweiger, Jacob (2016): Therapie-Tools Schematherapie. Weinheim: Beltz.

Exklusiver Live-Vortrag

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Die Autorin


PD Dr. Eva Faßbinder, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Tätigkeit in eigener Praxis in Lübeck. Supervisorin für Verhaltenstherapie, Schematherapie und Gruppenschematherapie; Schematherapeutin für Einzel- und Gruppentherapie (ISST-zertifiziert).

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