Psychotherapeut:innen gehen häufig an jede neue Behandlung mit der Haltung heran, dass sie ihren Patient:innen sicher werden helfen können. Das ist jedoch ehrlicherweise nicht zutreffend – in Studien zur Behandlung von Depressionen etwa profitiert nur knapp jede:r zweite Patient:in von Psychotherapie. Dabei handelt es sich hier häufig um handverlesene, motivierte Patientengruppen. Gut die Hälfte unserer Patient:innen profitiert also eher nicht von einer Psychotherapie.
Erlebt man einen solchen Verlauf, herrscht bei vielen Kolleg:innen die Meinung vor, dass in diesem Fall einfach entweder man selbst oder der eigene therapeutische Ansatz für diesen Patienten nicht passend sei. Daher wird dem/der Patient:in häufig empfohlen, eine:n Kolleg:in mit anderer therapeutischer Ausrichtung aufzusuchen.
Welche Faktoren sagen Therapie-(Non)Response vorher?
Diese Vorstellung der »differentiellen Indikation« (eine bestimmte Behandlung oder ein bestimmter Therapeutentyp passt besonders gut zu einem bestimmten Patienten) ist jedoch falsch. Einen viel stärkeren Einfluss auf die Therapieresponse haben Merkmale der Patienten selbst: Früheres Nicht-Profitieren von Psychotherapie; keine rasche Besserung zu Beginn der laufenden Therapie; schwere, chronische Störungen, die womöglich noch früh im Leben begonnen haben; geringe biopsychosoziale Ressourcen; ein passiv-aggressiver, schwieriger Interaktionsstil – diese Faktoren sind prognostische Warnhinweise, dass auch eine aktuelle Behandlung nicht viel bringen könnte. Dazu kommen selbstverständlich bekanntere Faktoren wie ein mangelnder Therapieauftrag oder der Krankheitsgewinn, etwa ein laufendes Rentenbegehren wegen psychischer Probleme.
Therapeutenseitig ist hier nicht das ausgeübte Verfahren relevant, sondern vielmehr interpersonelle Skills, die eine Verhaltensänderung unterstützen. Dazu gehört die Fähigkeit, den Patient:innen ein für sie überzeugendes (!) Konzept zu vermitteln, wie sie sich ändern können; und insbesondere auch die Fertigkeit, Probleme und Spannungen in der therapeutischen Beziehung konstruktiv anzusprechen und aufzulösen.
Was kann das für Sie und Ihre therapeutische Praxis bedeuten?
Zunächst ist es sinnvoll, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass viele Patient:innen nicht von Psychotherapie profitieren und dass es möglich ist, zumindest einige Risikofaktoren für Nonresponse zu identifizieren. Wenn Sie im Hinterkopf haben, dass z.B. eine Patientin mit hohem Krankheitsgewinn und schlechten prognostischen Faktoren vor Ihnen sitzt, werden Sie die Therapie etwas verhaltener angehen. Dann sollten Sie auch frühzeitig mit der Patientin diskutieren, was passieren muss, damit die Therapie angesichts etwa früherer Misserfolge oder ungünstiger motivationaler Bedingungen dennoch erfolgreich sein kann. Lassen Sie sich dabei nicht davon beirren, dass eine Patientin Sie als »ihre letzte Rettung« bezeichnet oder bei Fragen nach der Zukunft in Tränen ausbricht – ohne ein Sie beide überzeugendes Veränderungskonzept kann Ihre Therapie einfach nur wenig bringen.
Wenn Sie zu der Überzeugung gelangen, dass wenig Veränderung möglich scheint, geben Sie nicht der Versuchung nach, die Patientin zu einer Kollegin mit anderer therapeutischer Ausrichtung »wegzuloben«. Vermutlich wird eine Patientin mit erfolglosen Vortherapien, hohem Krankheitsgewinn und passiv-aggressiv-narzisstischen Zügen von einem anderen Ansatz ebenso wenig profitieren wie von Ihrem. Sie belegt jedoch einen Therapieplatz, auf dem womöglich mehreren anderen Patient:innen in der gleichen Zeit gut geholfen werden könnte. Und Sie schüren womöglich eine Hoffnung bei der Patientin, die diese besser ablegen sollte, um sich ggf. anderen Lebensbereichen zuzuwenden, wo Entwicklung möglich ist. Möglicherweise können Sie mit Ihrer Patientin dann noch überlegen, ob sie im Versorgungssystem eine Art von eher supportiver Unterstützung finden kann. Vielleicht kann auch eine Beratungsstelle, ein Hobby oder Angebot der sozialpsychiatrischen Versorgung eine gewisse Unterstützung bieten.
Falls diese Gedanken für Sie bedrückend sind, ist es vielleicht auch wichtig, dass Sie sich mit Ihren eigenen Erwartungen an sich und Ihre Therapie kritisch auseinandersetzen. Viele Therapeut:innen kennen ein gewisses »Rettersyndrom«, in dessen Rahmen sie enorme Verantwortung für das Wohlergehen von Patient:innen erleben, auf das sie realistischerweise wenig Einfluss haben. Dieses sich einzugestehen und loszulassen kann schmerzlich sein, aber auch sehr entlastend!
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Die Autorin
PD Dr. Gitta Jacob ist Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin für Verhaltenstherapie und Schematherapie. Nach langjähriger Tätigkeit an der Uniklinik und Universität in Freiburg ist sie seit 2013 leitende Psychotherapeutin bei GAIA in Hamburg. Sie hat verschiedene Bücher und andere Medien herausgegeben, ihre bei Beltz erschienenen Bücher zur Schematherapie wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt.