Wenn die Wellen hochschlagen: Sieben wirksame Interventionen für die Paartherapie

Die Arbeit mit Paaren in Konfliktsituationen gehört zu den herausforderndsten, aber auch faszinierendsten Bereichen der Beratung. Häufig geht es darum, festgefahrene Kommunikationsmuster zu verflüssigen, emotionale Verletzungen zu verarbeiten und die Beziehungsdynamik wieder in Bewegung zu bringen.

In diesem Beitrag werden sieben erprobte Interventionen vorgestellt, die dabei helfen, Paare durch Krisen zu begleiten. Die systemische Perspektive spielt dabei eine zentrale Rolle: Konflikte bieten nicht nur Herausforderungen, sondern auch Entwicklungschancen. Das Ziel besteht darin, dass Paare wieder in echten Kontakt treten, ihre Verbundenheit neu entdecken und gemeinsam wachsen.

Warum Konflikte in Beziehungen unvermeidlich – und wertvoll – sind

Eine Partnerschaft bedeutet nicht, dass zwei Menschen zu einer Einheit verschmelzen. Beide bleiben Individuen mit eigenen Interessen, Bedürfnissen und Werten. Genau diese Unterschiede üben oft eine starke Anziehungskraft aus. Mit der Zeit können sie aber auch zur Herausforderung werden. Was anfangs bewundert wurde, erscheint später als störend – vor allem, wenn der Wunsch entsteht, den anderen zu verändern.
Auch Bindungsmuster und Glaubenssätze beeinflussen die Dynamik einer Beziehung. Häufig ergänzen sich Paare auf eine Weise, die unbewusst Konfliktspiralen in Gang setzt – etwa, wenn Bindungsangst auf Bindungsvermeidung trifft oder wenn Glaubenssätze wie »Ich bin nicht wichtig« und »Ich bin nur richtig, wenn ich gebraucht werde« sich gegenseitig verstärken.
Viele Konflikte in Partnerschaften lassen sich nicht lösen, vor allem dann nicht, wenn ein Partner den anderen verändern will. Deshalb reicht es nicht, nur die Kommunikation zu verbessern. Ein wichtiger Schritt besteht darin, unlösbare Konflikte zu erkennen und als Teil der Beziehung anzunehmen. Meist geht es um die »zweitbeste Lösung«: Statt sich an unveränderbaren Aspekten aufzureiben, können Paare lernen, mit ihnen umzugehen.

Die systemische Perspektive: Konfliktdynamiken verstehen

Die systemische Paartherapie sucht keine Schuldigen, sondern entschlüsselt Muster und Dynamiken. Entscheidend ist, wie das Paar miteinander »tanzt«. Welche Themen tauchen immer wieder auf? Worum geht es wirklich? Und welchen verborgenen Nutzen hat der Streit für beide Partner, auch wenn er leidvoll erscheint?
In der Therapie geht es darum, Wechselwirkungen sichtbar zu machen, dahinterliegende Bedürfnisse zu erkennen und individuelle Ressourcen zu aktivieren. Unterschiede sind nicht das Problem – sie bieten Potenzial für Wachstum.
Ein zentrales Element der systemischen Arbeit ist nicht Neutralität, sondern »Allparteilichkeit«: Die Paardynamik abwechselnd aus der Sicht jeweils des einen und des anderen Partners zu betrachten und für die jeweilige Perspektive einzutreten. Dadurch entsteht beim Paar ein tieferes Verständnis für die Motive des anderen (was nicht zwingend Einverständnis bedeuten muss). Festgefahrene Konflikte lassen sich so leichter lösen.

Sieben effektive Interventionen für die Paartherapie

Diese sieben bewährten Techniken helfen Paaren, Konflikte besser zu bewältigen und ihre Beziehung nachhaltig zu stärken.

1. Ein gemeinsames Anliegen formulieren:

Ein klares gemeinsames Ziel bildet die Grundlage jeder Paartherapie. Worum geht es beiden? Was wollen sie gemeinsam verändern – statt nur am anderen? Ein geteiltes Anliegen stärkt Kooperation und Verbundenheit, anstatt Schuldzuweisungen in den Vordergrund zu rücken. Je konkreter dieses Ziel ausfällt, desto leichter lassen sich Handlungsschritte ableiten und Fortschritte überprüfen.

2. Genogrammarbeit: Beziehungsmuster erkennen

Ein Genogramm macht familiäre Prägungen sichtbar, die unbewusst Konfliktdynamiken beeinflussen. Häufig übernehmen Paare Muster aus ihren Herkunftsfamilien – entweder direkt oder durch bewusste Abgrenzung. Viele emotionale Reaktionen in einer Partnerschaft haben ihren Ursprung lange vor der Beziehung. Wer etwa das Gefühl hat, nicht wahrgenommen zu werden, trägt diese Erfahrung oft aus der Kindheit in sich. Sobald Paare diese Beziehungsmuster erkennen, können sie alte Automatismen hinterfragen, Glaubenssätze loslassen und neue, gesündere Verhaltensweisen entwickeln.

3. Eine Konfliktlandkarte zeichnen

Eine visuelle »Landkarte« der Konflikte hilft Paaren, Reaktionsmuster zu erkennen und konstruktive Lösungen zu finden. Wichtige Fragen dabei:

  • Was sind die typischen Auslöser unserer Konflikte?
  • Welche Gefühle entstehen dabei?
  • Welche alternativen Wege führen zur Lösung?
  • Welche verbindenden Rituale stärken uns trotz Konflikten?
  • Was würde sich ändern, wenn der Partner dem eigenen Ideal entspräche – und welche Herausforderungen kämen dann auf einen selbst zu?

 

Diese Übung eröffnet neue Perspektiven und hilft, sich bewusster auf Lösungen zu konzentrieren.

4. Das »Gute im Konflikt« finden

Hinter jedem Streit stecken oft berechtigte Bedürfnisse oder Werte beider Partner. Wer sie erkennt, kann Konflikte entemotionalisieren und leichter lösen. Welche Werte oder unerfüllten Bedürfnisse treiben den Streit an? Kartensets oder Listen mit Bedürfnissen und Werten können dabei unterstützen, diese Motive zu erfassen und zu benennen. Paare, die den konstruktiven Kern eines Konflikts verstehen, wechseln die Perspektive: Statt Schuldzuweisungen rückt die Frage in den Fokus, wie beide mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen umgehen können. 

5. Kommunikationsregeln etablieren

Damit Konflikte nicht eskalieren, sondern konstruktiv ausgetragen werden können, brauchen Paare klare Kommunikationsregeln. Dazu gehören:

  • »Ich-Botschaften«, um eigene Gefühle und Bedürfnisse klar auszudrücken
  • Vorwürfe in Wünsche verwandeln, um lösungsorientiert zu bleiben
  • Den anderen ausreden lassen, um echte Verständigung zu ermöglichen
  • Aktiv zuhören, um zu versuchen, klarer zu verstehen, worum es dem anderen geht

In der therapeutischen Praxis hat sich das Speaker-Listener-Modell  besonders bewährt: Während ein Partner spricht, hört der andere aktiv zu, wiederholt das Gesagte sinngemäß und fasst zusammen, was er verstanden hat, fragt gegebenenfalls nach, bevor er/sie selbst an der Reihe ist. Diese Technik verhindert Missverständnisse und sorgt dafür, dass sich beide wirklich gehört fühlen.

6. Das »emotionale Beziehungskonto« stärken

Das Konzept des emotionalen Beziehungskontos lenkt den Fokus auf positive Aspekte der Partnerschaft. Wertschätzung und Anerkennung füllen das Konto auf, während Kritik und Streit es belasten. Eine einfache Regel: Täglich mindestens eine positive Handlung füreinander tun – sei es ein Kompliment, eine liebevolle Geste oder ein Ausdruck von Dankbarkeit. Auch Erinnerungen an schöne Erlebnisse, gemeinsame Erfolge oder bewährte Strategien zur Konfliktlösung helfen, die Verbindung zu stärken und Ressourcen zu aktivieren. Besonders hilfreich ist die 5:1-Regel nach John Gottman: Auf jede negative Interaktion sollten mindestens fünf positive folgen. Wer bewusst darauf achtet, stärkt die emotionale Basis der Beziehung und schafft ein konstruktives Miteinander.

7. Der wöchentliche Beziehungs-Check

Ein regelmäßiger Beziehungs-Check hilft, die Beziehung aktiv zu reflektieren. Positive Entwicklungen können bewusst wahrgenommen, Herausforderungen angesprochen und gemeinsame Strategien erkannt und weiterentwickelt werden.

Dazu beantworten die Partner wöchentlich vier Fragen:

  1. Was lief in dieser Woche gut in unserer Beziehung?
  2. Was war herausfordernd?
  3. Wie sind wir damit umgegangen?
  4. Was möchten wir in der nächsten Woche anders machen?

Diese strukturierte Reflexion bietet Raum und den Rahmen, um Missverständnisse frühzeitig zu klären, Ressourcen bewusst zu nutzen und an der Beziehung zu arbeiten.

In den Konflikten die Entwicklungschancen sehen

Im therapeutischen Kontext empfiehlt es sich, Konflikte nicht als Störungen zu verstehen, sondern als wertvolle Wegweiser für zwischenmenschliche Entwicklungsprozesse. In ihnen zeigen sich unausgesprochene Bedürfnisse sowie tief verankerte Muster, die bewusst gemacht und bearbeitet werden können. Entscheidend ist nicht, ob Paare Konflikte vermeiden, sondern wie sie mit ihnen umgehen. Wenn sie als Paar neue Formen des Miteinanders erproben, erweitern sie ihre Handlungsspielräume und gestalten eine tragfähige Beziehung – nicht trotz, sondern gerade wegen der Herausforderungen, die sie gemeinsam bewältigen.

Die Autorin

Dipl.-Päd. Maren Sörensen ist Systemische Therapeutin (SG) und Systemische Supervisorin (SG). Seit 1999 begleitet sie Paare und Einzelpersonen in ihrer eigenen Praxis als erfahrene Beziehungs- und Paarberaterin, seit 2021 auch online. Darüber hinaus war sie viele Jahre als Supervisorin und Dozentin in der systemischen Beratung tätig und bildete Fachkräfte aus Pädagogik, Psychologie und dem Gesundheitswesen in diesem Bereich aus. Auf ihrer Website bietet sie fundierte und differenzierte Einblicke in Themen wie Beziehungspflege, das Auffrischen von Liebe und Wege, eine Partnerschaft zu retten. Bei Beltz hat sie gerade das Kartenset »Gemeinsam stark als Paar. 120 Impulse für Therapie und Beratung« veröffentlicht.

 
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