Gewalt kann Beziehungen nachhaltig zerstören und oft lassen sich die Scherben nicht mehr zusammenfügen. Dennoch lohnt sich in vielen Fällen eine Paartherapie. Besonders dann, wenn erste Anzeichen von Gewalt frühzeitig bearbeitet und stärkere Gewalt verhindert werden kann. Aber auch bei einer Trennung kann es sinnvoll sein, die Gewalterfahrungen gemeinsam aufzuarbeiten und den Weg für ein konstruktives Auseinandergehen zu ebnen.
Häufigkeit von Gewalt bei Paaren nicht unterschätzen
Gewalt in Paarbeziehungen hat viele Gesichter – verbale Gewalt, körperliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, ökonomische Gewalt, Vernachlässigung. Und leider tritt sie in Partnerschaften relativ häufig auf. Zum Glück meist nicht in Form von brutaler physischer oder psychischer Gewalt. Aber dass hitzige Konflikte aus dem Ruder laufen und es zu psychischer Gewalt (Beleidigungen, Herabsetzungen) oder Tätlichkeiten kommt, ist leider Realität bei vielen Paaren. Die Gründe dafür können situativ sein (z.B. hohe Stressbelastung) oder weil die Beziehung in eine Schieflage geraten ist. Meist schaukeln sich Streitgespräche immer mehr auf, der verbale Schlagabtausch wird hitziger oder gemeiner, es kommt zu Abwertungen, Provokationen, Feindseligkeiten – zu psychischer Gewalt. Oder man kommt sich gefährlich nahe, es wird geschubst, der oder die Partner:in wird weggestoßen, angespuckt. Oder man wirft im Zorn einen Gegenstand nach ihm oder ihr.
Studien zeigen, dass in den meisten Fällen Gewalt bei Paaren ein dyadisches Phänomen ist, zu dem beide Partner beitragen. Das eine Wort ergibt das andere, jeder gießt weiteres Öl ins Feuer. Dass der Streit aus dem Ruder läuft, könnten beide verhindern. Doch keiner ist daran interessiert, stattdessen werden die Schwächen des Partner bzw. der Partnerin ausgenutzt, es wird gestichelt, provoziert, ein Machtkampf ausgetragen, der von einer starken physiologischen Erregung (Adrenalin) und intensiven negativen Gefühlen (Ärger, Wut, Empörung, Verzweiflung) angepeitscht wird. Da in diesen Fällen die Paardynamik für die Gewalt verantwortlich ist, eignet sich eine Paartherapie gut zur Behandlung der Problematik.
Es gibt aber auch eine Reihe von Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, wo eine Person gewalttätig ist und wo klarer zwischen Opfer und Täter unterschieden werden kann. Diese Fälle von Gewalt, meist aufgrund einer Persönlichkeitsstörung, eines problematischen Alkohol- oder Drogenkonsums oder kultureller, gewaltbejahender Einstellungen, sind ein anderes Paar Schuhe. In diesen Fällen ist Paartherapie in der Regel nicht angezeigt. Eine individuelle Behandlung hat Vorrang.
Was kann bei Gewalt in Paarbeziehungen therapeutisch getan werden?
Wenn die Gewalt das Ergebnis einer destruktiven Kommunikation ist (was häufig der Fall ist), lohnt es sich, bei dieser anzusetzen. Gelingt es die Paarbeziehung zu verbessern und auf einen konstruktiven Boden zu stellen, kann auch wirksam gegen Gewalt vorgegangen werden. Die Verbesserung der Kommunikation ist daher ein erster wichtiger Schritt, flankiert durch andere Maßnahmen (z.B. Anti-Gewalt-Vertrag, Aufbau von Respekt und Positivität in der Beziehung, Bearbeitung der Gründe für Gewalt).
Besonders eignet sich die SENF-Methode. Diese beinhaltet die folgenden Schritte:
Stopp: Bei einer starken physiologischen Überflutung (rasender Puls, Schwitzen, starke Wutgefühle oder Empörung) geht es darum, die Situation möglichst rasch zu verlassen und das Gespräch vorübergehend zu unterbrechen, um einer Eskalation vorzubeugen. Die Partner:innen legen im Vorfeld fest, dass jede:r bei einer zu starken Erregung »Stopp« sagt und dieser Stopp von beiden respektiert wird. Stopp heißt, an dieser Stelle wird das Gespräch ausgesetzt.
Entspannen: Zur Entspannung gehen die beiden Partner:innen einander aus dem Weg. In diesem Time-out versuchen beide, sich mithilfe einer Entspannungsübung (z.B. Progressive Muskelentspannungsübung) so gut wie möglich zu beruhigen. Während des Beruhigungsversuchs darf der andere nicht gestört oder bei der Übung behindert werden. Das Time-Out ist von beiden vollumfänglich zu respektieren.
Nachdenken: Während der Beruhigungspause sollen beide in Ruhe nachdenken, warum sie emotional so heftig reagiert haben und was diese starken Emotionen ausgelöst hat. Die Gefühle sollen geordnet und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche erforscht werden (Warum-Frage). Erst wenn sich beide beruhigt haben und genügend Zeit zum Nachdenken hatten, wird das Gespräch wieder aufgenommen. Die Partner:innen vereinbaren ein Signal, wann dies der Fall ist (z.B. eine kurze Handynachricht, eine Glocke)
Formulieren: Wenn die beiden Partner: innen wieder zusammenkommen, gehen sie nach der SaGeBe-Methode vor (kurze Schilderung der Sachlage, explorieren von Gefühlen und Bedürfnissen) und halten sich an die Regeln für eine konstruktive Kommunikation (Sprecher:innen-Regeln: Ich-Botschaften, konkretes Verhalten ansprechen, Gefühle und Bedürfnisse mitteilen; Zuhörer:innen-Regeln: aktives, interessiertes Zuhören, Verstandenes zusammenfassen, offene Fragen stellen, wenn etwas unklar ist). Beide versuchen, die Kommunikationsregeln strikt umzusetzen, damit eine konstruktive Kommunikation gelingen kann. Beide Partner:innen werden angeleitet, auf ihre Gefühle zu achten und bei aufkommenden externalisierenden Gefühlen (Frustration, Ärger, Wut) mittels der SaGeBe-Methode nachzuspüren, was ihnen diese Gefühle sagen wollen, woher die Unzufriedenheit kommt und was verändert werden sollte.
Wichtig ist, dem Paar Hilfestellungen zu geben, wie es in Zukunft Gewalt verhindern kann. Zentral ist dabei der Ansatzpunkt der physiologischen und emotionalen Beruhigung und der dyadischen Kommunikation.
Zusätzlich werden häufig sogenannte Repair-Gespräche geführt, um die entstandenen emotionalen Verletzungen zu bearbeiten. Nach dem Konflikt, wenn sich die Gemüter beruhigt haben, sollen die Partner:innen aufeinander zugehen, sich erklären (nicht defensiv rechtfertigen) und sich für ihr Verhalten entschuldigen (»Es tut mir leid, dass ich vorhin grobe Ausdrücke verwendet habe«). Repair-Gespräche könne prophylaktisch verbale oder körperliche Gewalt verhindern, da sie helfen, wieder reinen Tisch zu machen. Auch Handlungen zur Wiedergutmachung können hilfreich sein, um die eigene Reue und den Willen zur Besserung zu unterstreichen. Wichtig dabei ist, dass der Schritt zur Wiedergutmachung von beiden ausgeht und nicht darauf gewartet wird, bis der andere ihn macht.
Sinnvoll kann auch ein Versöhnungsritual sein. Beide sollen dabei ihre Anteile am Gewaltprozess anerkennen und sich dafür aufrichtig und authentisch entschuldigen. Sie werden gebeten, für das angerichtete Leid Verantwortung zu übernehmen und ihre Motivation glaubhaft zu bekunden, künftig auf Gewalt zu verzichten. Durch das Versöhnungsritual kann das Paar die Gewalterfahrung als kritisches Ereignis in der Paarbiographie häufig emotional besser abschließen.
Autoren

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Ordinarius für Klinische Psychologie an der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stress und Partnerschaft, dyadisches Coping, Partnerschaftsstörungen und kindliche Entwicklung sowie die Prävention von Beziehungsstörungen und Paartherapie. Er ist Paartherapeut, Ausbildner und Supervisor. Mit Paarlife hat Bodenmann ein evidenzbasiertes Programm zur Stärkung von Paarbeziehungen entwickelt.
Dr. Corinne Bodenmann-Kehl, Paartherapeutin und Ausbildnerin, Dozentin an der Universität Zürich. Ihre Praxis- und Forschungsinteressen beziehen sich auf Paar- und Familienkompetenzen sowie familiäre Resilienzfaktoren. Sie unterstützt Paare in der Paartherapie auch gezielt in Bezug auf Erziehungsfragen. Mit dem Programm KIO (»Konflikte sind okay«) bietet sie Eltern evidenzbasierte Hilfestellungen im Umgang mit Streiten an.
Beide zusammen haben bei Beltz das Kartenset »Paartherapie. 75 Therapiekarten«, erschienen am 06.03.2024, veröffentlicht.