Anna und Richard sitzen zum ersten Mal bei Ihnen. Beide wirken sehr verzweifelt, Anna fängt direkt an zu weinen und Richard ergreift das Wort: »Ich habe richtig Mist gebaut und mich auf eine Affäre eingelassen. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, und es hat mir auch nichts bedeutet. Ich möchte Anna, meine Frau, auf keinen Fall verlieren, aber scheinbar spüre ich das zu spät.« Woraufhin Anna wütend hinzufügt: »Genau, DAS hättest du dir früher überlegen sollen. Wie soll ich dir jemals wieder vertrauen? Ich hätte nie von dir gedacht, dass du mich so hintergehst.« Und an Sie gerichtet: »Was meinen Sie? Kann man denn jemals als Paar nach SO einer Geschichte wieder glücklich werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ihm das je verzeihen kann. Auch meine Freundinnen sagen, ich sollte ihn rausschmeißen und vergessen. Aber ich kann das irgendwie nicht. Wir sind jetzt schon so lange zusammen und haben eigentlich gerade ans Kinderkriegen gedacht. Ach, es fühlt sich an, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggerissen, seitdem ich von der anderen Frau weiß.«
Wann immer möglich ist es in jeder Form von Therapie hilfreich, einem roten Faden folgen zu können, um die Arbeit miteinander zu strukturieren. Wir orientieren uns in unserer Arbeit an einem Phasenmodell von Jellouschek (2003), das wir im Folgenden angereichert um eigene Ideen und Ansatzpunkte vorstellen werden.
Grundüberlegungen noch vor Therapiebeginn
Es gibt verschiedene Fragen, mit denen sich Paartherapeuten auseinandersetzen sollten, noch bevor sie die Arbeit mit einem von einer Affäre betroffenen Paar beginnen, um sich hier eigene Standpunkte zu erarbeiten. Die wichtigsten dieser allgemeinen Fragen möchten wir hier vorstellen, bevor wir zum eigentlichen Phasenmodell der Behandlung übergehen.
Die Prüfung der eigenen Haltung. Ein erster wichtiger Aspekt, den Paartherapeuten vor Beginn einer Therapie mit einem Paar klären sollten, ist die eigene Haltung zu Affären. Wir [finden es wichtig] eine möglichst differenzierte und wertneutrale Haltung Affären gegenüber einzunehmen, weil wir davon überzeugt sind, dass nur bei einer größtmöglichen Offenheit und Unvoreingenommenheit auf Seiten des Therapeuten eine hilfreiche Therapie möglich ist. Dies ist deshalb notwendig, weil von vornherein völlig offen bleiben muss, zu welchem Ergebnis die Beratung oder Therapie für das Paar führen wird. […]
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Therapeut in irgendeiner Weise bereits selbst von dem Thema »Affäre« persönlich betroffen war oder ist und diese Erfahrung seine persönliche Einstellung und entsprechend auch seine Bewertung beeinflusst. Der Therapeut sollte hier ein höchstmögliches Maß an persönlicher Bewusstheit (Jellouscheck, 2011) haben, um nicht Gefahr zu laufen, eine einseitige Position einzunehmen, wozu gerade dieses Thema sehr einlädt.
Der Einbezug des oder der Geliebten. Sind die Grundbedingungen für die Arbeit beim Therapeuten gegeben, so stellen sich als nächstes einige weitere Grundfragen hinsichtlich der konkreten Arbeit mit dem Paar. Eine davon betrifft die Frage, ob die oder der »Geliebte« auch mit in die Behandlung einbezogen werden soll. Jellouschek (2003) äußert sich hierzu vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen positiv, betont aber, dass das Setting gut gewählt sein sollte. Sitzungen mit allen drei Beteiligten lehnt er ab, da für diese bei allen Anwesenden ein Belastungsgrad erwartet werden darf, der mit einer geordneten Therapiestunde vermutlich nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Demgegenüber können Einzelgespräche mit der oder dem Geliebten oder auch Gespräche gemeinsam mit dem »zugehörigen« Partner hilfreich sein, um weitere wesentliche Facetten der Gesamtsituation zu erfassen. […] Wir gehen deshalb mit der Position Jellouscheks konform und empfehlen, die Einbeziehbarkeit des oder der Geliebten sehr behutsam zu prüfen, sie aber nicht »durchzudrücken«: Wenn das für das Paar in Therapie eine zu belastende Vorstellung ist, dann sollte es auch nicht forciert werden. […]
Einzelarbeit versus Paararbeit. Eine weitere interessante Frage betrifft die Haltung zu Einzelsitzungen mit den Partnern (oder auch der oder dem Geliebten, worauf aber oben schon eingegangen wurde). Entsprechend der prinzipiellen Basis, dass die Behandlung eines von einer Affäre betroffenen Paares eine sorgfältige Untersuchung aller relevanten Perspektiven erfordert, sind Einzelgespräche immer dann zu empfehlen, wenn in ihnen besser als in einem Paargespräch die für eine bestimmte Person wichtigen Aspekte geklärt werden können. So ist zum Beispiel einleuchtend, dass der »Fremdgeher« in Abwesenheit seines Partners freier und ungehemmter über seine zugrundeliegenden Motive, Sehnsüchte, Fantasien etc. wird sprechen können, was dann auch eine Basis für die spätere gemeinsame Arbeit unter Einbezug dieser Aspekte sein kann.
Erste Phase: eine hilfreiche Ausgangsbasis schaffen
Meistens ist die Situation, in der ein von einer Affäre betroffenes Paar Beratung sucht, sehr verfahren und durch viele Widersprüche gekennzeichnet. Einer davon betrifft zum Beispiel die mögliche Konstellation, dass der »Betrogene« auf eine schnelle Auflösung der gesamten Situation und Entscheidung drängt, während der »Fremdgeher« – insbesondere natürlich dann, wenn die Affäre noch läuft – gar nicht weiß, was er tun soll und wo es ihn hinzieht. In einer solchen von Zerrissenheit und Druck gekennzeichneten Situation ist es so gut wie unmöglich, alle relevanten Aspekte in der nötigen Ruhe zu betrachten. Deshalb halten wir es mit Jellouschek (2003) für günstig, zum Behandlungsbeginn mit dem Paar einen Rahmen abzustecken, der als Basis für eine auch langfristig haltbare Bewältigung der gesamten Krise dienen kann.
Zweite Phase: das gegenwärtige Muster verstehen
Wir haben bereits ausführlich dargestellt, dass es in der Regel grob verkürzt ist und damit der Wirklichkeit nicht gerecht wird, eine Affäre eindimensional erklären zu wollen. Paare bringen in die Anfangsphase einer Therapie häufig aber genau solche eindimensionalen Erklärungsmuster zur Begründung des Geschehens mit: »Wie konnte ich mich nur so in dir täuschen! Du bist also doch einfach nur ein charakterschwaches Schwein, das jede Gelegenheit mitnimmt!« oder »Du bist selbst schuld. Wenn du mich nicht immer zurückweisen würdest, wenn ich Sex will, dann wäre das nie passiert!« sind nur zwei von unzähligen simplen und einseitigen Erklärungsversuchen, die Partner einander an den Kopf werfen und die der wahren Komplexität der Dynamik in aller Regel auch nicht annähernd gerecht werden. Es geht deshalb dann, wenn es in der ersten Phase gelungen ist, für die Untersuchung günstige Ausgangsbedingungen zu schaffen, darum, im weiteren therapeutischen Arbeiten das konkrete Muster, in dem sich die drei Beteiligten wiederfinden, zu verstehen, und das unter Berücksichtigung aller denkbaren Konstellationen, Motive und Bedürfnisse. Die in einer Affärensituation gelebten beiden laufenden Beziehungen sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in enger Wechselwirkung. Natürlich besteht in irgendeinem Sinne auch eine Beziehung zwischen dem »Treuen« und dem »Dritten«, aber in aller Regel wird diese nicht gelebt – selten aber sogar auch das –, sondern findet nur in den Köpfen der Beteiligten statt. Ein wirkliches Verständnis dessen, was abläuft, ist nur möglich, wenn diese Komplexität erfasst und betrachtet wird. »Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, […] dass die Intensität der Außenbeziehung jedenfalls zu einem guten Teil von der spezifischen Problematik der Ehebeziehung lebt« (Jellouschek, 2003, S. 154). Das sollte nicht dahingehend missverstanden werden, dass eine Affäre also doch ein Zeichen für eine misslungene Ehe ist. Vielmehr ist es so, dass der von Jellouschek mit »spezifische Problematik« bezeichnete Sachverhalt einfach in jeder Ehe – und sei sie noch so gut – besteht. Wie wir ausgeführt haben, kann kein einzelner Partner alle Bedürfnisse eines Menschen erfüllen. In diesem Sinne ist »Problem« hier gemeint – also nicht als etwas, das vermieden werden könnte, wenn die Beziehung nur »gut genug« wäre. Natürlich führt dieses quasi notwendig in Beziehungen eingebaute Manko nicht immer zu Affären; aber umgekehrt verweist eine Affäre zumeist auf den Teil der Dynamik, der in einer bestehenden Beziehung mit dem nicht lebbaren Anteil, dem Gemiedenen, dem Abgespaltenen usw. zusammenhängt. Deshalb kann ein Paar aus dem Verständnis einer Affäre einen großen Gewinn für das Verständnis der eigenen Paardynamik und der eigenen gelebten Muster ziehen. Und auch der Dritte kann aus seiner sich hierin zeigenden Funktion für das Paar viel lernen, was für sein eigenes Leben, seine Beziehungsgestaltung, seine Wünsche, seine Lebensträume von Bedeutung ist. Deshalb halten wir den Einbezug des oder der Geliebten für wechselseitig hilfreich – sowohl für das Paar als auch für den Dritten selbst. Wenn die ablaufenden Muster nach und nach deutlicher werden, dann kann das Paar in der Regel auch besser erkennen, an welchen Stellen ihm wesentliche Wirklichkeiten der eigenen Partnerbeziehung entgangen sind und sich Dinge in eine »Auseinander«-Richtung entwickelt haben. Daraus können völlig neue Erkenntnisse für die eigene Partnerschaft resultieren, die im Falle einer Fortsetzung der Beziehung letztlich sogar bedeuten, dass es eine ganz neue Beziehung sein wird: Es gibt kein »Zurück« in die Zeit und die Spielregeln vor der Affäre mehr. Ganz in diesem Sinne führt Perel in einem ihrer Vorträge aus, wie sie diese Bedeutung alter Muster und einen möglichen Neubeginn Partnern in ihrer ganzen Radikalität klar macht: »Wenn ein Paar nach einer Affäre zu mir kommt, dann sage ich ihnen häufig das – heute, in der westlichen Welt, werden die meisten von uns zwei oder drei Beziehungen oder Ehen haben, und manche von uns mit der gleichen Person. Ihre erste Ehe ist vorbei. Wollen Sie eine zweite miteinander aufbauen?« (Perel, 2015, online).
Dritte Phase: Paargeschichte und Lebenszyklus mit einbeziehen
Natürlich wird es schon im Verlauf der Analyse der aktuellen Beziehungsmuster immer wieder deutlich werden, dass das gegenwärtige Zusammenspiel sich im Verlauf der Partnerschaftsgeschichte entwickelt hat. Interessante Fragen, die in diesem Kontext die Untersuchung leiten können, sind zum Beispiel:
- »Was hat Sie damals als Paar zusammengeführt?«
- »Was hat Sie beide als Paar in der Anfangszeit Ihres Zusammenseins besonders ausgezeichnet? Was hätten Ihre Freunde gesagt, was Sie für ein Paar sind? Wie hat sich das im Laufe der Zeit verändert?«
- »Was würden Sie sagen, an welchen Stellen Sie als Paar ein besonders gutes Team waren?«
- »In allen Partnerschaften zeigen sich nach und nach Problempunkte, die mehr oder weniger konstant da bleiben, auch wenn man etwas zu ändern versucht. Was war das bei Ihnen beiden, und wann ist was wem zuerst aufgefallen?«
- »Wenn Sie einmal zurückdenken in die erste Zeit Ihres Zusammenseins: Welche besonderen Stärken haben Sie beim jeweils anderen wahrgenommen? Was davon hat sich wie in Ihrem partnerschaftlichen Zusammenspiel ausgewirkt?«
- »Welche Verletzungen haben Sie einander im Verlauf Ihrer Partnerschaft zugefügt? Über welche davon haben Sie möglicherweise noch nie gesprochen?«
An dieser Stelle wird auch deutlich, dass der paartherapeutische Verlauf in jedem Stadium durch Trennung zu einem abrupten Ende kommen kann, wenn für einen (oder beide) Partner durch die Klärung und neue (oder alte endlich eingestandene) Erkenntnisse deutlich wird, dass eine Fortsetzung hoffnungslos ist. Die Konfrontation mit der Vergangenheit, der persönlichen Lebensentwicklung, den einmal gehabten Lebensträumen und -plänen kann in dieser Phase dazu führen, dass für die Partner auch Fragen aufbrechen, die deutlich über den Rahmen der Partnerschaft hinausgehen und sehr existenziell das eigene Leben betreffen. Wie bin ich ins Erwachsenenleben gestartet, welche Vorstellungen hatte ich von meinem Leben, und was davon ist jetzt noch übrig? Wer bin ich überhaupt? Wo will ich hin? Was will ich in meinem Leben noch verwirklichen? Das alles können Fragen sein, die durch eine tiefe Auseinandersetzung mit der Partnerschaftsgeschichte plötzlich auftauchen und die Partner auch abseits der Paarkrise erschüttern. Das sollte nicht vermieden werden, auch wenn hierdurch eine zusätzliche emotionale Belastung entstehen kann. Jürg Willi (2012) bezeichnet die Partnerschaft als wichtigen Ort der Persönlichkeitsentwicklung. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar; insofern ist klar, dass jede tiefergehende Betrachtung der Partnerschaft den Blick auch auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung richten wird und umgekehrt. Damit ergibt sich auch, dass in dieser Phase möglicherweise einige Einzelsitzungen mit den Partnern hilfreich sein können, um sich den sehr individuellen Anteilen, die durch die Partnerschaftsproblematik »wachgerüttelt« wurden, angemessen zuwenden zu können.
Vierte Phase: die Vergangenheit integrieren
Wir alle lernen das Führen von Beziehungen in unseren Ursprungsfamilien. Insofern ist selbstverständlich, dass sich in unserer Beziehungsgestaltung familiäre Muster und Einflüsse wiedererkennen lassen (vgl. z. B. Knothe, 2003; Kaiser, 2003). Diese Einflüsse können sich in der unterschiedlichsten Art und Weise zeigen, z. B. in der Wiederholung von Verhalten in der eigenen Partnerschaft in Analogie zum Umgang der Eltern miteinander (z. B. starkes Harmoniebestreben, wenn die Eltern konfliktvermeidend waren) oder auch in der Partnerwahl und der Art und Weise, in der diese vom Erleben in der eigenen Familie beeinflusst wird (z. B. Partner wählen, die dem gegengeschlechtlichen Elternteil ähneln oder auch zu diesem in einem überzufälligen Kontrast stehen). In Fortführung des im vorangegangenen Abschnitt verdeutlichten Gedankens regulieren wir natürlich mit unserer gesamten Persönlichkeit unsere Beziehungen und damit auch die Partnerbeziehung. So können sich aus der durch die Affäre ans Tageslicht gebrachten und in der Therapie untersuchten Beziehungsmuster und einzelnen Verhaltenstendenzen der Partner viele Erkenntnisse über die Person selbst ergeben. Für Willi (2012) spielt das Zusammenspiel der individuellen Anteile im Kontext der Partnerschaftsentwicklung eine herausragende Rolle. Er geht davon aus, dass nicht gelöste Konflikte (Regressionen/Fixierungen) unbewusst bereits die Partnerwahl beeinflussen, und zwar dergestalt, dass sich Partner mit gleichartiger Grundstörung zusammenfinden, diese aber in verschiedenen Rollen austragen. So kommt es zu einem unbewussten partnerschaftlichen Arrangement, das Willi (2012) Kollusion nennt.
Im Rahmen einer tiefgreifenden Paartherapie, wie sie die Behandlung von Affärenpaaren in dieser vierten Phase auf jeden Fall ist, werden solche kollusiven Verstrickungen wahrscheinlich offenbar, und es wird den Partnern mitunter deutlich, an welcher Stelle sie durch ihre eigene Geschichte der Partnerschaft ihren Stempel aufgedrückt haben. Es kann sich daraus als Notwendigkeit ergeben, solche »alten Konflikte« anzugehen und sie damit nach Möglichkeit an der Stelle zu lösen, an der sie tatsächlich auch zu lösen sind – und eben nicht durch eine Fortsetzung möglicherweise dysfunktionaler Strategien und Muster in der Partnerschaft. Jellouschek führt aus, dass dieses Lösen häufig nicht in der äußeren Realität möglich ist (da z. B. beteiligte Eltern längst verstorben sind), sondern es sich um einen innerseelischen Vorgang handelt, »eine Neuordnung der von den einzelnen Beteiligten verinnerlichten Beziehungskonstellationen ihrer Herkunftsfamilien« (Jellouschek, 2003, S. 157). Als konkretes Beispiel sei eine noch nicht gelungene Ablösung zu einem Elternteil benannt, die möglicherweise starken Einfluss auf die bestehende Partnerbeziehung hat. Jellouschek (2003) benennt drei konkrete therapeutische Möglichkeiten, wie eine solche Aufarbeitung relevanter Vergangenheit geschehen kann:
- Bearbeitung der Konflikte in der Realität: Wenn es möglich ist, einen Sachverhalt tatsächlich in der Realität anzugehen, dann sollte das gründlich geprüft und gegebenenfalls therapeutisch begleitet werden. Dies ist zum Beispiel dann angezeigt, wenn sich im Therapieverlauf bestimmte Merkmale der Beziehung zu Mutter, Vater, Geschwistern etc. als hochrelevant erweisen (z. B. die oben bereits einmal angeführte fehlende Ablösung) und im »wirklichen Leben« die Chance besteht, dies real zu aktualisieren (z. B. weil die entsprechenden Personen noch leben und aufgesucht werden können).
- Symbolische Bearbeitung der Konflikte im sozialen Raum: In vielen Fällen wird eine reale Bearbeitung tieferliegender Konflikte aus unterschiedlichen Gründen nicht oder nur schwer möglich sein (z. B. weil die Eltern verstorben sind oder sie zwar noch leben, eine »Realkonfrontation« sie aber überlasten würde); dann kann ein Nachstellen der kritischen Konstellation beispielsweise in einer Gruppentherapie sehr kraftvoll sein (z. B. im Sinne einer behutsam begleiteten Familienaufstellung).
- Symbolische Bearbeitung der Konflikte im Einzel- oder Paarsetting: die sparsamste Methode, an familiär verwurzelten Konflikten in Partnerschaften zu arbeiten, ist die symbolische Bearbeitung ohne lebendige Mitspieler[, z.B. mit einem] Familienbrett. Auch auf diese Weise lässt sich beispielsweise eine konkrete kritische Familienkonstellation rekonstruieren und emotional bearbeiten.
Sicherlich sind noch weitere therapeutische Ansatzpunkte denkbar. So bietet unserer Ansicht nach gerade auch eine schematherapeutische Herangehensweise eine weitere Möglichkeit, um das Beziehungs- und auch das gesamte familiäre Muster nicht nur zu erhellen, sondern auch – gegebenenfalls unter Einbezug des Partners – zu bearbeiten. Mittels emotionsaktivierenden Interventionen wie Stühlearbeit oder einer Imagination können auf Basis des Modusmodells sowohl die intra- als auch die interpersonellen Konflikte sehr gut bearbeitet werden.
Fünfte Phase: Entscheidung treffen
In der Regel wird sich die Entscheidung, wie es mit einem Paar weitergeht, nicht schlagartig präsentieren, sondern im Verlauf der vorangegangenen vier Phasen nach und nach ergeben. In der Komplexität menschlicher Beziehungen gibt es nie ein vollständiges Wissen, nie eine allumfassende Klarheit, sondern letztlich immer nur ein Annähern daran. Irgendwann ist jedoch der Zeitpunkt gekommen, trotz der bestehenden Restunsicherheit, trotz noch offener und nicht mehr zu beantwortender Fragen zu einer Entscheidung zu gelangen. Wenn der Therapeut beobachtet, dass sich in der Therapie keine wesentlichen neuen Erkenntnisse mehr ergeben, wenn der Eindruck von Stillstand in der Klärungssuche entsteht, dann sollte er das Thema »Entscheidung« behutsam einbringen und dabei auch offen über Restunsicherheiten und die Möglichkeit zum Umgang damit sprechen.
Prinzipiell sind drei grundsätzliche Entscheidungslinien denkbar: Entweder das Paar trennt sich, weil im Verlauf der Therapie bei einem oder beiden die Erkenntnis gewachsen ist, dass für eine Fortsetzung der Partnerschaft keine Basis mehr gegeben ist. Die Außenbeziehung wird dann vielleicht zur »neuen« Beziehung für den einen der Partner, oder aber auch sie wird beendet, wenn der gesamte Erkenntnisprozess sehr tiefgreifende Änderungen bewirkt hat. Oder aber das Paar entschließt sich zu einem Neuanfang, was in der Regel dann auch gleichbedeutend mit einem Ende der Außenbeziehung ist. Der seltenste, aber nicht zu vernachlässigende dritte Fall besteht darin, dass das Paar sich entschließt, die Beziehung nach außen zu öffnen, entweder »komplett« oder für eine gewisse Zeit. Das heißt, dass letztlich beide Beziehungen – die bestehende Beziehung und die Affäre – neu aufgenommen werden. »Neu« deshalb, weil sich durch die Offenlegung und das von nun an »offizielle« Fortführen natürlich alle möglichen internen Spielregeln verändern und in aller Regel damit auch einhergeht, dass die Öffnung auch für die anderen beteiligten Partner gilt, am entscheidendsten natürlich für den bislang »betrogenen« Partner.
In allen genannten Fällen kann die Realisierung der Entscheidung durch den Therapeuten unterstützt und zum Beispiel durch die Einführung von markierenden Ritualen begleitet werden. So kann im Falle eines Neubeginns dieser vom Paar dadurch vertieft und herausgehoben werden, indem sich das Paar noch einmal ein neues Eheversprechen gibt und in dieses – durchaus auch schriftlich – sehr konkrete Erkenntnisse einbezieht, die sich aus der Aufarbeitung der Krise ergeben haben und im Sinne einer Vorsatzbildung für die Zukunft von großem Wert sind. Sollte das Paar demgegenüber zu der Entscheidung gelangen, die Beziehung zu beenden, so kann auch dieser Schritt durch ein Ritual – nun eines des Abschieds – eine solche Gestalt bekommen, dass die gemeinsame Vergangenheit eine Würdigung erfährt. Ein Abschiedsritual kann auch in die Außenbeziehung gebracht werden, wenn das Paar sich für ein Zusammenbleiben entschließt – die oder der Dritte hat eine wichtige Rolle gespielt, und er sollte nicht würdelos behandelt werden, nur weil er »nicht mehr gebraucht wird«. Wenn das gesamte System hingegen in einen »offenen Zustand« übergeht: Auch dann kann therapeutische Hilfe gefragt sein, beispielsweise hinsichtlich des Festlegens von Regeln (»Wer darf mit wem? Wo? Welche Fragen dürfen gestellt werden? Darf ohne Frage etwas von sich aus erzählt werden?« usw.).
Fazit
Die Arbeit mit Paaren, die von einer Affäre betroffen sind, gehört zum Anspruchsvollsten, was es im Bereich Paartherapie an Aufgabenstellungen gibt. Die Ausgangslage eines solchen Paares ist häufig sehr verwickelt, und die Bewältigung der Krise einer Affäre fordert häufig dem Paar, dem Dritten und auch dem Therapeuten alles ab. Dies liegt auch daran, dass in der Arbeit mit den hier besprochenen Paaren sozusagen »kein Stein auf dem anderen bleibt«: Sowohl die partnerschaftlichen als auch die individuellen Dimensionen müssen komplett in die Arbeit einbezogen werden, um der Komplexität der Entwicklung gerecht zu werden. Das ist für alle sehr herausfordernd; doch wenn es gelingt, dann kann sich daraus für das Paar – und auch den Dritten – eine Entwicklung ergeben, die das Leben aller bereichert, auch wenn auf diesem Weg viele Schmerzen ausgestanden werden müssen.
Dos
- wertfreie Haltung, balanciert, mit beiden im empathischen Kontakt
- gründliche Untersuchung aller relevanten Aspekte (»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei Affären sozusagen das ganze Leben von Bedeutung ist. Es gibt viele Fragen, die sowohl Sie als Paar als auch Sie als Individuen, sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart betreffen. Ich werde Ihnen dabei helfen, alles in Betracht zu ziehen, was beim Fällen der Entscheidung, die nun vor Ihnen steht, wichtig ist.«)
- Zeitrahmen vereinbaren (»Ich schlage vor, dass wir uns auf eine Zeit einigen, die Sie sich für die Untersuchung Ihrer Situation geben möchten, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Es gibt viel zu klären, und dafür sollten Sie sich Zeit und Ruhe nehmen.«)
- Paar- und Einzelgespräche im Wechsel zueinander sinnvoll einsetzen, aber Paargesprächen den Vorrang geben (»Es kann passieren, dass im Verlauf unserer Arbeit Themen auftauchen, die Sie besser alleine mit mir besprechen können. Dann sollten wir dazu Einzeltermine vereinbaren. Aber die Basis unserer Arbeit bleibt die Arbeit zu dritt.«)
Dont’s
- Wertung der Situation (»Na ja, Sie sind ja auch fremdgegangen und haben betrogen, Sie sind ganz klar schuld daran, dass es Ihrer Frau nun schlecht geht«; »Das ist gut, dass Sie eine freie Sexualität leben und sich da nicht einschränken lassen von überholten moralischen Ideen.«)
- Ende der Affäre verordnen (»Frau Müller, der erste Schritt noch vor der Therapie ist, dass Sie Ihre Affäre beenden. Wir können nicht arbeiten, wenn Sie den anderen Mann weiterhin sehen oder auch nur irgendwie in Kontakt stehen.«)
- Emotionale Ausbrüche wegbügeln (»Es hilft nicht, wenn Sie so wie jetzt irrational an die Sache herangehen. Sie müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren und sollten Ihre Gefühle besser kontrollieren.«)
- Moralisieren (»Sie haben sich einmal ein Eheversprechen gegeben, und diesen Ihren Schwur, Herr Müller, haben Sie gebrochen. Völlig klar, dass Sie sich nun zurecht schuldig fühlen.«)
Literatur
Jellouschek, H. (2003). Warum hast Du mir das angetan? Untreue als Chance. München: Piper.
Jellouschek, H. (2011). Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe: Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen. Freiburg im Breisgau: Herder Spektrum.
Kaiser, P. (2003). Transgenerationale Interaktionen und Partnerschaft. In I. Grau & H. W. Bierhoff (Hrsg.), Sozialpsychologie der Partnerschaft (S. 111–136). Heidelberg: Springer.
Knothe, H. (2003). Junge Frauen und Männer zwischen Herkunftsfamilie und eigener Lebensform. In W. Cornelißen, M. Gille, H. Knothe, P. Meier, H. H. Queisser&M. Stürzer (Hrsg.),
Junge Frauen – junge Männer (S. 89–134). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Perel, E. (2015). Rethinking infidelity … a talk for anyone who has ever loved. [Video file]. Heruntergeladen von https://www.ted.com/ talks/esther_perel_rethinking_infidelity_a_talk_for_anyone_who_has_ever_loved. [Abrufdatum: 9.10.2015].
Willi, J. (2008). Therapie der Zweierbeziehung: Einführung in die analytische Paartherapie – Anwendung des Kollusionskonzepts – Beziehungsgestaltung im therapeutischen Dreieck. Stuttgart: Klett-Cotta.
Willi, J. (2012). Die Zweierbeziehung: Das unbewusste Zusammenspiel von Partnern als Kollusion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Leseprobe aus: Frank-Noyon, Noyon (2016) Schwierige Situationen in der Arbeit mit Paaren. Weinheim: Beltz