Wie der Aufbau von Emotionsregulationsfähigkeiten gelingt: Strategien und Tipps für den Praxisalltag mit Kindern und Jugendlichen

Das Erleben von Gefühlen und der Umgang mit ihnen kann für Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung darstellen. Als Psychotherapeut:innen wissen wir, wie wichtig es ist, Emotionsregulationsstrategien zu fördern. In der Psychotherapie können Kinder und Jugendliche ihre Kompetenzen im Umgang mit Emotionen reflektieren und weiterentwickeln. Dieser Blogbeitrag liefert Strategien und Tipps für den Praxisalltag. Es werden Möglichkeiten vorgestellt, um Kinder und Jugendliche beim Aufbau von flexibel einsetzbaren Emotionsregulationsfähigkeiten zu unterstützen.

Was bedeutet Emotionsregulation?

Unter Emotionsregulation wird der Einsatz kompetenter Strategien im Umgang mit den eigenen Emotionen verstanden. Kurz gesagt (und nach einer gängigen Definition nach James Gross (2014)) geht es darum, Einfluss darauf zu nehmen, welche Emotionen erlebt werden, wann und wie stark sie auftreten und wie sie zum Ausdruck gebracht werden. Emotionsregulation bezieht sich dabei einerseits auf Bestrebungen, belastende und unerwünschte Emotionen zu verringern oder zu verändern, und andererseits auf die Intention, angenehme Emotionen auszulösen oder aufrechtzuerhalten. Kinder und Jugendliche lernen diese Strategien im Laufe ihrer Entwicklung über Erfahrungen, die sie mit den selbst eingesetzten Strategien machen, sowie über die Anleitung, Rückmeldung und Anregung, die sie aus ihrem Umfeld erhalten und die sie bei anderen in ihrem Umfeld beobachten. Unter Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs der Emotionsentstehung wird zwischen antezendent-fokussierten und reaktions-fokussierten Regulationsstrategien differenziert. Erstgenannte kommen relativ früh im Prozess der Emotionsentstehung zum Einsatz, bevor eine Emotion oder ein Gefühl vollumfänglich entstanden ist. Reaktions-fokussierte Strategien, werden angewandt, wenn bereits aufgetretene emotionale Reaktionen beeinflusst werden sollen.

Gefühle im Griff: Warum Emotionsregulation wichtig ist

Emotionen und Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken und dem Kontext angemessen zu regulieren, gehört zu den zentralen Entwicklungsaufgaben. Die Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Ausdruck von Emotionen und zur selbstbestimmten Emotionsregulation verändern sich im Kindes- und Jugendalter rasant. Genauso schnell verändern sich auch die an Kinder und Jugendliche gestellten Erwartungen, in verschiedenen Lebenskontexten kompetent mit den eigenen Emotionen umzugehen. Über Freude, Stolz und Begeisterung, hin zu Scham, Angst und Traurigkeit: Kinder und Jugendliche erleben täglich eine Vielzahl von Emotionen in unterschiedlicher Intensität und Valenz. Es ist wichtig, dass sie lernen, ihre Gefühle zu akzeptieren und Wege zu finden, diese so zu regulieren, dass sie mit ihren eigenen Zielen und Werten übereinstimmen. Kinder und Jugendliche, die mit ihren Gefühlen und Emotionen angemessen umgehen können, sind besser dazu in der Lage, sich ihren Entwicklungsaufgaben adaptiv zu stellen und Herausforderungen im sozialen Kontext zu bewältigen. Störungen der Emotionsregulation erhöhen hingegen das Risiko für die Entstehung von psychischen Störungen bzw. halten sie aufrecht.

Wie lassen sich Emotionsregulationsfähigkeiten in der Psychotherapie aufbauen und verbessern?

Indem wir eine positive Einstellung zu Emotionen und zur Regulation von Emotionen vermitteln, tragen wir dazu bei, dass Kinder und Jugendliche ein gesundes Verhältnis zu ihren eigenen Gefühlen aufbauen. Egal ob es sich um unangenehme oder angenehme Emotionen handelt, wir sollten ihnen vermitteln, dass Emotionen normal und wichtig sind. Und auch, dass es in Ordnung ist, Hilfe anzunehmen, wenn sie im Umgang mit ihren Gefühlen Schwierigkeiten haben. Nachfolgend finden Sie Anregungen und Impulse für die alltägliche therapeutische Arbeit, die dabei zum Einsatz kommen können.

  • Was ist eigentlich »Emotionsregulation«?: Erarbeiten Sie psychoedukativ gemeinsam mit ihren jungen Patient:innen, was Emotionsregulation bedeutet und welche verschiedenen Möglichkeiten es dafür gibt. Bauen sie in der Therapie Grundlagenwissen zum Thema Emotionen und Emotionsregulation auf. Je mehr Kenntnisse Kinder und Jugendliche darüber haben, wie Gefühle entstehen und welche wichtigen Funktionen sie übernehmen, desto leichter können Fähigkeiten zur Regulation verbessert werden.
  • Wünsche und Ziele für das Erleben eigener Gefühle entwickeln: Emotionsregulation beginnt damit, Wünsche und Ziele in Bezug auf bestimmte Emotionen zu entwickeln. Besprechen Sie welche Ziele in Bezug auf welche Emotionen und Gefühle vorliegen, z.B. »Ich möchte mich nicht mehr so stark schämen, wenn mir etwas Peinliches passiert ist«. Finden Sie heraus, in welchem der nachfolgend genannten Bereiche der Emotionsregulation, der/die junge Patient:in Fortschritte als erstrebenswert erachtet.
  • Die achtsame Wahrnehmung von Gefühlen schulen: Bereits die bewusste Wahrnehmung von Emotionen ist eine günstige Strategie, um mit diesen umzugehen und zufriedener zu sein. Emotionen, Gedanken und Körperempfindungen achtsam wahrzunehmen, wird als eine Kernkompetenz der adaptiven Emotionsregulation angesehen.
  • Aktiv Situationen verändern und angenehme Gefühle hervorrufen: Versuchen Sie mit den Kindern und Jugendlichen Situationen zu erkennen, die mit angenehmen Emotionen verbunden sind. Unterstützen Sie ihre junge Patient:innen dabei, diese Situationen häufiger und gezielt aufzusuchen. Besprechen Sie gemeinsam Situationen, in denen unangenehme Emotionen wiederholt auftreten. Erarbeiten Sie Möglichkeiten, um diese Situationen erfolgreich bewältigen zu können (z.B. »Überlege, ob du deine Aufmerksamkeit in einer Situation auf etwas Hilfreiches ausrichten kannst, um die Situation zu bewältigen«).  
  • Selbstmitgefühl fördern: Selbstkritik und Unzufriedenheit mit sich selbst lösen häufig negative Gefühle aus und erhalten sie aufrecht. Der Aufbau von Strategien, die dabei helfen, sich selbst mitfühlend zu begegnen, stellt daher eine wichtige Regulationsfähigkeit für Kinder und Jugendliche dar. Leiten Sie Kinder und Jugendliche darin an, sich selbst mitfühlende Worte und Gedanken zu schenken. Hierzu bietet sich z.B. an, sie aufzufordern, dieselben mitfühlenden Worte, die sie einem Freund oder einer Freundin in einer belastenden Situation sagen würden, an sich selbst zu richten.
  • Hilfreichere Gedanken finden: Erarbeiten Sie mit den jungen Patient:innen Strategien, um Emotionen und Gefühle durch hilfreiche Gedanken und alternative Bewertungen zu beeinflussen. Identifizieren Sie typische Denkfehler und ersetzen Sie diese.
  • Das Erleben von Emotionen akzeptieren und tolerieren lernen: Zeigen Sie durch akzeptanzbasierte Interventionen auf, wie sich Kinder und Jugendliche von belastenden Gedanken befreien können. Vermitteln Sie, dass Gedanken nur Gedanken sind, und Gedanken bleiben. So kann die Verschmelzung (Fusion) mit negativen Gedanken aufgelöst werden. Üben Sie mit den Patienten, belastende Gedanken weiterziehen zu lassen. 
  • Starke Gefühle abschwächen lernen: Vermitteln Sie Kompetenzen, um die innere Anspannung im Zusammenhang mit starken Gefühlen einzuschätzen, z.B. indem Anspannungszustände bildlich veranschaulicht werden und individuelle Warnsignale erarbeitet werden. Finden und erproben Sie gemeinsam passende Strategien für das Herunterregulieren und den Umgang mit starken Emotionen, z.B. indem Möglichkeiten für entgegengesetztes Handeln erarbeitet werden.  
  • Soziale Kompetenzen steigern: Helfen Sie den Heranwachsenden dabei, Gefühle gegenüber anderen kompetent auszudrücken, um einen funktionalen Umgang mit den eigenen Gefühlen im sozialen Kontext zu ermöglichen und so zwischenmenschliche Probleme zu reduzieren.
  • Problemlösen trainieren: Erarbeiten Sie in der Therapie schrittweise Problemlösungsstrategien, um den Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Problemen, die zu belastenden Gefühlen führen, zu erleichtern und Gefühle positiv zu beeinflussen.
  • Wertearbeit, Ressourcenaktivierung und Prävention: Sensibilisieren Sie die Kinder und Jugendlichen für ihre eigenen Werte und Ressourcen. Der Umgang mit belastenden Emotionen wird dadurch erleichtert. Emotionsregulation ist anstrengend und kostet Energie! Vermitteln Sie Gewohnheiten, um durch Schlaf, Ernährung und Aktivitäten die notwendige Energie dafür aufzubauen.

Emotionsregulation üben

Wir sollten Kinder und Jugendliche ermutigen, alternative Wege im Umgang mit Emotionen zu entdecken und auszuprobieren. Um eine flexible Anwendung verschiedener Regulationsstrategien im Umgang mit Emotionen zu erreichen, sollten die besprochenen Inhalte unbedingt in der Therapie geübt werden. Entscheidend ist auch, die Anwendung im Alltag zu begleiten und die individuellen Erfahrungen zu besprechen.  

Eltern und Bezugspersonen einbeziehen

Der Erwerb von Kompetenzen, die Kindern und Jugendlichen dabei helfen, eigene Emotionen zu regulieren, wird stark von der Interaktion zwischen Eltern und Kind beeinflusst. Diesem Einfluss sollte durch die Einbindung der Eltern oder der primären Bezugspersonen Rechnung getragen werden. Gerade für die Integration der neu aufgebauten Strategien in den Alltag ist deren Einbezug besonders wichtig. Schließlich sollten Eltern lernen, auch den eigenen Umgang mit den Gefühlen ihres Kindes zu reflektieren.

Literatur

Gross, J.J. (Hrsg.). (2014). Handbook of emotion regulation (2nd ed.). The Guilford Press.

Der Autor

© privat

Dr. phil. Felix Euler, Dipl.-Psych., ist klinischer Psychologe und Forschungsgruppenleiter am Zentrum für Kinder- und Jugendforensik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

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