Jedes Jahr sind mindestens 200.000 Kinder in Deutschland von der Trennung ihrer Eltern betroffen, das entspricht etwa 550 Kindern pro Tag. Etwa 10% der Kinder leben nach der Trennung mit hochstrittigen Eltern und etwa ein Drittel aller verlieren den Kontakt zu ihrem Vater. Damit sind Kinder von getrenntlebenden Eltern einem deutlichen höheren Entwicklungsrisiko ausgesetzt als Kinder von zusammenlebenden Elternpaaren.
Sichere Bindung als protektiver Faktor
Kinder, die in den ersten Lebensjahren eine stabile Bindung zu mindestens einem Elternteil aufbauen konnten, zeigen in der Regel deutlich weniger emotionale oder auch Verhaltensauffälligkeiten als Kinder, die unsicher gebunden sind. Denn bei diesen Kindern werden Gefühle und auch Verhaltensmuster (re-)aktiviert, welche es noch deutlich schwieriger für sie machen, mit der für sie so oft schon bedrohlichen Situation umzugehen.
Generell lässt sich feststellen, dass es einen großen Einschnitt in das Leben eines Kindes bedeutet, wenn seine Eltern die Entscheidung treffen, dass sich ihre Wege als (Liebes-)Paar trennen. Viele Kinder leiden (zeitweise) an Verlustängsten sowie Gefühlen von Hilflosigkeit und Überforderung, Schuldgefühlen sowie einem verminderten Selbstwertempfinden. Oft geraten diese Kinder auch in Loyalitätskonflikte, denn sie bekommen die – oft mit einer Trennung verbundenen – Konflikte mit und versuchen dann, dem einen oder anderen Elternteil beizustehen, merken aber gleichzeitig, dass sie sich damit gegen die Interessen des anderen stellen. Damit verstärkt sich die Angst, den Vater oder die Mutter gänzlich zu verlieren.
Und doch ist es keine gute Lösung, dass Eltern in einer gemeinsamen Beziehung verbleiben, wenn diese überdauernd nicht mehr glücklich miteinander sind, sich oft und zum Teil auch heftig streiten oder es zu immer wiederkehrenden Drohungen kommt, dass einer den gemeinsamen Haushalt verlässt. Allerdings kommt es in Bezug auf die kindliche Entwicklung nicht primär darauf an, ob ein Elternpaar sich zu einer Trennung entscheidet, sondern vielmehr wie die Trennung und auch die Zeit, die darauf folgt, verläuft.
Gemeinsam als Eltern für Kinder präsent sein
Entscheiden sich zwei Menschen mit Kindern, die in einer Beziehung leben, sich zu trennen und damit unterschiedliche Wege zu gehen, sollte dies im besten Fall nur bedeuten, dass sie in der Zukunft kein Paar mehr sind, aber weiterhin für ihr(e) Kind(er) gemeinsam als Eltern bestehen bleiben. So stehen getrenntlebende Eltern in der gemeinsamen Verantwortung, ihre Konflikte im Sinne ihrer Kinder zu lösen.
Für diesen Prozess kann es durchaus hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung zu suchen, wie z.B. durch Familienberater:innen, Mediator:innen oder Coaches. Mögliche Ergebnisse einer gemeinsamen Lösungsfindung können konkrete Vereinbarungen sein, die den Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen, die Bring- und Abholsituationen, Absprachen bzgl. besonderer Ereignisse und Ferien, aber auch gemeinsame Erziehungsvorstellungen regeln. Ein Ziel dieses Prozesses und dem Ausarbeiten dieser Vereinbarungen ist es, das Konfliktrisiko auf Elternebene deutlich zu senken und eine Verbindlichkeit für beide Elternteile herzustellen, ihre Rolle als Mutter bzw. Vater auch nach einer Trennung weiterhin ausführen zu können.
Leseprobe aus: Borg-Laufs ∙ Breithaupt-Peters ∙ Jankowski: Therapie-Tools Bindung und Bindungsstörungen. Beltz, 2021.