»Wie können wir helfen?« – Eltern als Partner im therapeutischen Prozess

Wenn sich Kinder oder Jugendliche in psychotherapeutischer Behandlung befinden, fragen sich ihre Eltern oder Bezugspersonen oft, ob und was sie in der Erziehung »falsch« gemacht haben könnten. Aber auch Aussagen wie »Der macht das mit Absicht« oder »Die will mich nur ärgern« werden in Elterngesprächen manchmal geäußert.
In der Therapie geht es aber nicht um Schuld. Oftmals treten eine Reihe von starken Gefühlen auf (z.B. Trauer, Wut, Angst), die im Behandlungsprozess ausgehalten und begleitet werden müssen.

»Warum macht unser Kind das?«

Die Verhaltensauffälligkeiten, die Kinder und Jugendliche in eine therapeutische Behandlung führen, mögen für Außenstehende durchaus irritierend sein. Aus der Innensicht der betroffenen Kinder und Jugendlichen machen sie jedoch Sinn und sind zum jetzigen Zeitpunkt die bestmögliche Lösungsstrategie, um mit der momentanen Situation umzugehen. Erlebt sich ein Kind z.B. als wertlos und ungesehen, nutzt es vielleicht ungünstige Verhaltensweisen, um Aufmerksamkeit von seinem Umfeld zu erhalten. Dabei nimmt es (unbewusst) sogar in Kauf, dass es sich hier um negative Zuwendung wie Schimpfen handelt, die mit unangenehm empfundenen Gefühlen verbunden ist.

Eltern wollen in den allermeisten Fällen das Beste für ihr Kind und zu seiner gesunden Entwicklung beitragen. Gleichzeitig sind sie aber auch durch ihre eigene (Lebens-)Geschichte geprägt und haben ihre eigene kognitive Triade (Gedanken, Gefühle, Verhalten). Um also ein Verständnis der Eltern für ihre Kinder und somit den Boden für Veränderungen im häuslichen Umfeld herbeizuführen, ist es neben Psychoedukation und der Vermittlung von Erklärungsmodellen hilfreich, auch einmal wertfrei die Perspektive der Eltern/Bezugspersonen einzunehmen.

Dabei lohnt sich u.a. ein Blick auf

  • den Erziehungsstil der Eltern und die damit einhergehenden Erwartungen an ihr Kind,
  • die Kommunikationsmuster in der Familie, die vorherrschenden Emotionsregulationsstrategien, die Nähe-Distanz-Regulierung,
  • die Biographie der Eltern, besondere (Lebens-)Ereignisse, Sorgen und Wünsche,
  • Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit, Flexibilität sowie
  • günstige und ungünstige Erziehungsstrategien, Kongruenz, Empathiefähigkeit und Konsequenz.

Widerstände in der Elternarbeit

Eltern wollen sich in der Regel beteiligen und ihre Kinder in der therapeutischen Behandlung unterstützen. Zeitliche Ressourcenknappheit, Erschöpfung, Alltagsbelastungen, Konflikte, Vorwürfe aus dem Umfeld und eigene Ängste erschweren aber oftmals diesen Prozess. Die Therapie soll dann möglichst schnell anschlagen, das Kind wieder »normal« werden und keine Probleme mehr bereiten.

Die Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft der Eltern ist eine wichtige Säule im Behandlungsprozess. Die Eltern müssen dafür »gewonnen« werden. Erziehungserfahrungen aus der eigenen Kindheit, die gesellschaftliche Erwartungshaltung, der Druck in den sozialen Medien, alles das beeinflusst sie in ihrer Erziehungshaltung. Viele zeigen sich mutlos und verunsichert, vertrauen nicht mehr ihrem Gespür und äußern die Sorge, etwas falsch machen zu können.

Die Aufgaben bestehen also:

Erster Schritt. Zunächst gilt es die Eltern in ihren eigenen Fähigkeiten zu bestärken. Dabei helfen Fragen wie z.B.

  • »Was ist Ihnen gut in der Erziehung gelungen?«,
  • »Welche Werte haben Sie Ihrem Kind vermittelt?« oder
  • »Wie haben Sie das gemacht?«


Wenn Bezugspersonen verstehen, was sie Positives zu der Entwicklung ihres Kindes beigetragen haben, können sie auch leichter wieder auf diese Mechanismen zurückgreifen.

Zweiter Schritt. Anschließend kann man den Blick auf Unterstützungsmöglichkeiten richten.

  • »Gab es helfende Hände oder eine Vertrauensperson?«
  • »Können Sie das Helfersystem reaktivieren?«
  • »Was können Sie für sich tun, um mit Ihren Kräften besser haushalten können?«
  • »Wo können Sie Zeit für sich selbst einbauen, wer könnte Sie dabei unterstützen?«
  • »Was würde Ihnen guttun?«


Dritter Schritt.
Eltern und andere Bezugspersonen sollten darauf vorbereitet werden, dass es in der therapeutischen Behandlung immer mal wieder zu Krisen oder Rückschritten kommen kann. Das kann Frust, Enttäuschung, Ärger oder Traurigkeit erzeugen. Deshalb lohnen sich hier auch Fragen nach dem Umgang mit der eigenen Gefühlswelt.

  •  »Welche Gefühle kennen Sie?«
  • »Welche Funktion hat dieses Gefühl?«
  • »Sprechen Sie darüber oder machen Sie diese eher mit sich selbst aus?«
  • »Was hilft Ihnen beim Umgang mit starken, insbesondere unangenehmen Gefühlen?«
  • »Welche Strategien empfinden Sie als hilfreich und welche eher nicht?«


Wenn Eltern sich im Prozess ebenfalls gesehen fühlen und gestärkt werden, wächst die Compliance für die therapeutischen Behandlung des Kindes bzw. Jugendlichen. Nachhaltige Veränderungen bedürfen Geduld und langem Atem, sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern und Jugendlichen. Jedes Kind hat sein eigenes Entwicklungstempo und auch die Eltern dürfen nicht dauerhaft in ein Gefühl der Überforderung geraten. Sie müssen darauf vertrauen können, dass das Band zwischen ihnen und ihrem Kind stark genug ist, auch Durststrecken auf dem therapeutischen Weg durchzuhalten.

Nimmt man Eltern die Angst und die Schuldfrage, zeigt sich ihnen gegenüber wertschätzend und zuversichtlich, fühlen sich die meisten ermutigt, Veränderungen im Familiensystem vorzunehmen und auch Misserfolge zu überwinden. Das schafft Vertrauen und öffnet unter Umständen auch Türen für Hilfen von außen (z.B. Unterstützung durch Ämter).

»Wie können wir unser Kind unterstützen?«

Eltern helfen konkrete Vorschläge, wie sie ihr Kind unterstützen können. Oftmals geht es dabei zunächst »nur« um kleine Veränderungen im Alltag, die aber eine große Auswirkung für alle haben können.

Aus meiner Sicht können die folgenden acht Strategien sehr hilfreich für Eltern sein:

  1. Interesse bekunden. Interesse am therapeutischen Prozess zeigen, ohne neugierig nachzufragen. Wenn das Kind nichts aus der Therapiestunde erzählen möchte, sollten Eltern dies selbstverständlich akzeptieren (im Zweifelsfall können sie aber in Elterngesprächen beim Psychotherapeuten nachfragen). Je nach Entwicklungsalter können sie sich von ihren Kindern erzählen lassen, was in der Therapiestunde passiert ist, sich Therapiematerialien zeigen lassen und therapeutische Übungen unterstützen. Hilfreich ist es hier auch mit therapeutischen Materialien zu arbeiten, bei denen Eltern direkt eingebunden werden können.
  2. Übungsfeld bieten. Sie können außerhalb des geschützten therapeutischen Rahmens ein Übungsfeld zum Ausprobieren neu erlernter Verhaltensweisen bieten. Was wird dafür benötigt?
  3. Positive Veränderungen wertschätzend anerkennen. Es ist wichtig, dass Eltern positive Veränderungen bei ihrem Kind bewusst wahrnehmen, diese wertschätzend anerkennen und konkret benennen, um das Selbstbewusstsein und die Motivation zu stärken. Auch bei Misserfolgen gilt es das Kind zu ermutigen.
  4. Vorbild sein. Was trage ich zu einer guten Bindung bei? Wie gehe ich mit Frustrationen um? Gebe ich Gefühlen Worte und vermittele, dass alle Gefühle in Ordnung sind?
  5. Umsetzung gemeinsam entwickelter Maßnahmen im familiären Alltag. Die aus den Elterngesprächen abgeleiteten Maßnahmen sollten zu Hause umgesetzt werden (Familienkonferenz, Verstärkerpläne, konsequenteres Erziehungsverhalten usw.).
  6. Gemeinsame Zeit als Basis für eine starke Bindung. Empfehlenswert für Eltern ist, regelmäßig schöne und bewusste Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, um die Bindung zu stärken und das Vertrauen zu fördern. Dies kann beispielsweise durch gemeinsames Spielen, Vorlesen oder das Gestalten von liebevollen Abendritualen geschehen. Solche gemeinsamen Momente tragen wesentlich zu einer positiven Eltern-Kind-Beziehung bei.
  7. Selbstfürsorge. Eltern sollten auch auf ihre eigene Selbstfürsorge achten, um ausreichend Kraft und innere Balance für den Alltag sowie die Bedürfnisse ihres Kindes zu haben. Sich regelmäßig Pausen gönnen, Raum für eigenen Interessen schaffen und auf die eigene körperliche und emotionale Gesundheit zu achten, zählen dazu. Nur wenn Eltern selbst gestärkt sind, können Sie ihrem Kind die Unterstützung geben, die es braucht.
  8. Offen für Hilfen von außen sein. Eltern ermutigen, offen für Hilfen von außen zu sein, um die Entwicklung ihres Kindes zu fördern, ist der letztliche wichtige Punkt. Professionelle Unterstützung, wie beispielsweise Beratungsangebote, pädagogische Hilfestellungen usw. können wertvolle Impulse geben und dabei helfen, Herausforderungen im Team zu bewältigen.

Wir professionellen Begleiter wissen, dass der Weg einer Psychotherapie oft lang und herausfordernd sein kann – sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für die Eltern. Umso wichtiger ist es, auch Eltern in ihrer Unsicherheit abzuholen, ihre Ängste zu verstehen und mit ihnen gemeinsam Lösungswege zu erarbeiten. Die Kommunikation zwischen Therapeut:innen und Eltern kann wegweisend für eine wirksame Behandlung sein. Indem wir Eltern ermutigen, sich selbst zu reflektieren, ihre eigenen Erziehungsstärken und Bewältigungsmöglichkeiten zu erkennen, schaffen wir eine vertrauensvolle Basis für Veränderung.

Die Autorin

Barbara Baumgarten ist seit über 25 Jahren als Dipl.-Sozialpädagogin (FH) in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (ambulant, teil- und vollstationär) tätig, sie ist systemische Therapeutin (SG) und systemische Paartherapeutin (IGST).

Sie ist Autorin des Fachbuchs »Waldelf Loki und sein Gefühlsabenteuer« sowie zahlreicher Kartensets (u.a. »Mein Lebensrollen-Mosaik«, »Social Hero«) bei Beltz.
www.barbarabaumgarten.de

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