Behutsam begleiten: Therapieabschluss bei »anhänglichen« Klienten

Der Abschluss eines Psychotherapie- oder Beratungsprozesses sollte sorgfältig geplant und durchgeführt werden, gilt es doch in dieser Phase sowohl die für die Klienten häufig sehr wichtige Beziehung wieder behutsam zu lösen, als auch abschließend noch einmal den Alltagstransfer in den Mittelpunkt zu stellen und für die Stabilität der erzielten Therapieergebnisse zu sorgen (Borg-Laufs & Hungerige, 2016).

Eines der zentralen Themen der letzten Stunden muss daher der Alltagstransfer sein. (…) Selbstverständlich muss die Arbeit auch vorher schon alltagsnah gewesen sein und die familiären Rahmenbedingungen mit einbezogen haben, aber zum Ende der Behandlung, wenn die Veränderungen beim Indexpatienten so weit sind, dass der Abschluss bevorsteht, muss das Thema der familiären Bedingungen als Schutzfaktor für langfristigen Erfolg in den Vordergrund gerückt werden. In diesem Zusammenhang sollte auch explizit eine Rückfallprophylaxe thematisiert werden (vgl. ausführlich Borg- Laufs & Hungerige, 2016).

Fallbeispiel

Claudia, ein fünfzehnjähriges Mädchen, kommt gern zur Therapie. Sie fühlt sich wohl und erzählt von allen wichtigen Begebenheiten in ihrem Leben. Die Behandlung ist hinsichtlich Claudias wichtigster Probleme erfolgreich verlaufen, und eigentlich gibt es aus Therapeutensicht gar kein »richtiges« Thema mehr. Darauf angesprochen sagt Claudia aber, die Termine würden ihr »so gut« tun, und sie glaube, es wäre gut, wenn sie noch eine ganze Weile käme. Die Suche nach konkreten neuen Therapiezielen fällt allerdings schwer.

Die therapeutische Beziehung – und ihr Ende

Wichtigkeit der Beziehung nicht unterschätzen. In jedem Fall bedeutet die Beendigung einer Therapie auch das Ende einer Beziehung. Dass die therapeutische Beziehung von herausragender Bedeutung für gelungene Beratungs- und Therapieprozesse ist, ist allgemein anerkannt und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Klar ist: Für einen von vorneherein begrenzten Zeitraum nimmt die Therapeutin oder der Berater einen wichtigen Platz im Beziehungsgefüge der Klienten ein. Ihm oder ihr wird Vertrauen geschenkt, geheime, tabuisierte, peinliche Inhalte werden im Rahmen dieser Beziehung besprochen und die Klientin erhofft sich Hilfe und Unterstützung. Wenn es gut läuft, erhält sie diese auch. Das Ganze ist nicht nur ein technisches Vorgehen, sondern auch und in weiten Teilen vor allem eine persönliche Begegnung. Gerade für Kinder, Jugendliche und auch Eltern mit einer schmerzvollen, möglicherweise von Beziehungsabbrüchen geprägten, sozialen Vorgeschichte ist es zentral, dass diese Beziehung, insbesondere, wenn sie sich dem Ende zuneigt, nicht durch einen Abbruch ein erneutes Beziehungstrauma hinterlassen darf. De facto handelt es sich aber nur um eine Beziehung auf Zeit. Zu einem bestimmten Zeitpunkt endet dieses für die Klienten bedeutsame Verhältnis. Dafür braucht es eine bewusste Gestaltung der Abschlussphase.

Gründe für das »Klammern«. Wenn eine Klientin wie Claudia nicht »loslassen« kann, gilt es natürlich zunächst, nach möglichen Ursachen zu suchen.

  • Gibt es noch wichtige unbearbeitete Probleme, die sie sich bislang nicht anzusprechen traute?
  • Oder ist der Therapiebesuch einfach eine liebgewonnene Gewohnheit?
  • Versucht Claudia die Therapie zu verlängern, weil sie sie in eine private Beziehung überführen möchte?
  • Ist Claudia, obwohl die klinische Störung erfolgreich behandelt wurde, weiterhin unsicher und traut sich nicht, zukünftige Herausforderungen alleine zu bewältigen, und möchte ihren Helfer aus Vorsorge behalten?

Wenn Patient:innen nicht loslassen wollen

Zusammenfassen und Besprechen des Therapieverlaufes, Erarbeiten von rückfallprophylaktischen Ideen. In vielen Fällen ist es sinnvoll und hilfreich, sich Zeit dafür zu nehmen, zum Ausgangspunkt der Behandlung zurückzukehren.

  • Wie sahen die Probleme zu Beginn der Beratung oder Therapie aus?
  • Was war eigentlich der ursprüngliche Behandlungsanlass, und was ist daraus geworden?
  • Unterstützend kann es sehr illustrativ und beruhigend sein, sich die Fortschritte auch »schwarz auf weiß« anzusehen.
  • Wie haben sich die Ergebnisse der regelmäßigen Evaluation verändert?
  • Wo stehen wir bei der Zielerreichungsskala (vgl. Borg-Laufs & Hungerige, 2016)?


Dabei sollte intensiv besprochen werden, was die Klientin aktiv verändert hat, um die Verbesserungen zu erreichen. Darauf aufbauend können zukünftige Rückfallmaßnahmen überlegt werden und z. B. eine »Notfallbox« gepackt oder eine »Erste-Hilfs- Liste« erstellt werden. In diesem Zusammenhang ist es durchaus sinnvoll, die Klienten katastrophisieren zu lassen:

  • Welche Hindernisse und Schwierigkeiten können in der näheren und weiteren Zukunft auf mich warten?
  • Was von dem, was ich in der Therapie erfahren habe, wird mir dann helfen können?
  • Welche Strategien, Techniken, habe ich entwickelt?
  • Auf welche Personen werde ich mich verlassen können?
  • Wie kann ich erneut, falls nötig, professionelle Hilfe erhalten?


Allmähliches Ausblenden der Kontakte.
Fanden die Termine bislang z. B. wöchentlich statt, so können sie zum Ende der Therapie mit größerer zeitlicher Distanz erfolgen, zunächst vierzehntägig, dann monatlich. Für viele Klienten bleibt dadurch für eine längere Zeit noch die Sicherheit bestehen; sie erleben, dass sie nicht plötzlich »verstoßen « werden, und vor allem machen sie in den meisten Fällen die Erfahrung, dass sie auch mit weniger Unterstützung ihr Leben meistern können, und verlieren dadurch die Angst vor dem endgültigen Therapieende. Im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie ist dieses Vorgehen im Rahmen der »Rezidivprophylaxe« vorgesehen. Auch fest vereinbarte Telefonkontakte stellen eine Form des Ausblendens dar. Damit wird sowohl die Frequenz als auch die Qualität der Hilfe verändert, und für die Klienten wird umso deutlicher, dass sie ihr Leben eigenständig meistern können.

Vereinbarung eines Nachbesprechungs- oder Auffrischungstermins mit größerem Abstand. Das Angebot eines katamnestischen Gesprächs etwa nach einem halben Jahr sollte ohnehin ein Standardangebot am Therapieende sein. Abgesehen von der dadurch gegebenen verbesserten Evaluationsmöglichkeit für unsere Arbeit kann auch die Sicherheit eines solchen Termins für die Klienten sehr beruhigend sein. Zu berücksichtigen ist dabei das Alter der Klienten und damit ihr subjektives Zeiterleben. Während für ein sechsjähriges Kind bereits ein Abstand von zwei Monaten sehr lang ist, kann bei einem Jugendlichen besser ein Termin nach vier Monaten vereinbart werden und mit einem jungen Erwachsenen möglicherweise nach einem halben Jahr. Im Rahmen der vertragspsychotherapeutischen Versorgung ist eine Unterbrechung von bis zu einem halben Jahr problemlos möglich. Eine Unterbrechung »von mehr als einem halben Jahr ist nur zulässig, wenn sie gegenüber der Krankenkasse formlos begründet wird« (Psychotherapie-Vereinbarung, § 11, Abs. 13).

Einen Brief schreiben oder ein kleines, bedeutungsvolles Geschenk machen. In einem Abschlussbrief könnte die Beraterin darstellen, welche Wandlung sie bei dem Kind im Laufe der Zeit erlebt hat und dabei insbesondere selbstwertstärkend darauf eingehen, wie das Kind/der Jugendliche das geschafft hat. Darüber hinaus könnten Zukunftswünsche und/oder Strategien für die Zukunft niedergeschrieben werden.

Ein »Event« zum Schluss? Häufig wird die Arbeit mit einem Kind oder Jugendlichen mit einem »besonderen« Termin abgeschlossen. Gemeinsam kochen (falls die Räume der Praxis oder der Beratungsstelle dies möglich machen), gemeinsam Eis essen gehen oder Ähnliches. Dies kann ein schöner Abschluss sein, den die Kinder in guter Erinnerung behalten. Falls man dies tut, so sollte das nicht bei dem Nachbesprechungs- oder Auffrischungstermin passieren, sondern tatsächlich bei dem letzten geplanten Beratungs- oder Therapietermin. Vorsicht ist aber auch hier geboten, wenn die Grenze zwischen professionellem und privatem Kontakt labil ist.

Do’s

  • Die Therapiefortschritte im Vergleich zur Ausgangssituation und den aktiven Anteil der Klientin in den Mittelpunkt stellen
  • Rückfallprophylaxe erarbeiten: »Notfallkoffer« oder »Notfall-Listen« erstellen. Herausarbeiten, was von dem bisher Gelernten in der Zukunft in welchen schwierigen Situationen angewendet werden kann
  • Die Abstände zwischen den Terminen vergrößern und/oder einen Nachfolgetermin nach längerer Zeit vereinbaren
  • Einen Abschlussbrief mit Fokus auf den Therapiefortschritten und Zukunftsstrategien schreiben oder ein Symbol für ein wichtiges bearbeitetes Therapiethema schenken

Don‘ts

  • Abruptes Abbrechen nach dem Motto: Sonst lernt er/sie ja nie, alleine klarzukommen
  • Sich als permanent verfügbar zeigen, etwa indem regelmäßiger (hochfrequenter) Mail-Austausch angeboten wird
  • Die therapeutische Beziehung in eine private überführen, etwa durch »adden« in einem sozialen Online-Netzwerk

Literatur

Borg-Laufs, M. & Hungerige, H. (2016). Selbstmanagementtherapie mit Kindern (3., unveränd. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.

Leseprobe aus: Borg-Laufs •Gahleitner •Hungerige (2018): Schwierige Situationen in Therapie und Beratung mit Kindern und Jugendlichen. Weinheim: Beltz.

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