Herausforderungen der Beziehungsgestaltung bei Patient:innen mit Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen sind Interaktionsstörungen. Im Gegensatz zu Störungen wie z. B. Depressionen oder Angsterkrankungen weist bei Persönlichkeitsstörungen die überwiegende Anzahl der diagnostischen Kriterien auf interaktionelle Problematiken hin.

Hier eine Auswahl nach ICD-10 (Dilling et al., 2000):

  • Patienten mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung sind misstrauisch und streitsüchtig.
  • Schizoid gestörte Patienten sind im Kontakt distanziert und gleichgültig gegenüber Lob und Kritik anderer.
  • Narzisstische Patienten zeigen einen Mangel an Empathie und verhalten sich gegenüber anderen Menschen distanziert, arrogant und abwertend.
  • Borderline-Patienten sind in zwischenmenschlichen Kontakten instabil und neigen zu Wutausbrüchen und impulsiven Handlungen.
  • Dependente Patienten zeigen sich abhängig von anderen Menschen und ordnen sich deren Bedürfnissen unter.


Persönlichkeitsgestörte Patienten zeigen ihre problematischen Verhaltensweisen unweigerlich auch in der Beziehung zu ihrer Therapeutin, sodass die Gestaltung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung und die problem- und zielorientierte Zusammenarbeit eine große Herausforderung für beide Seiten darstellt.

Beispiele

  • Die Borderline-Patientin reagiert ärgerlich, als die Therapeutin sie nach ihren Aufgaben zu dieser Stunde fragt, und wirft ihr vor, sie eigentlich nur loswerden zu wollen.
  • Der narzisstisch gestörte Patient begegnet der Therapeutin distanziert und arrogant und zeigt wenig Bereitschaft, sich zu öffnen bzw. von seinen Problemen zu berichten.
  • Der histrionische Patient redet während der Therapiestunden nahezu ununterbrochen und reagiert auf konkrete Fragen der Therapeutin mit langanhaltendem Weinen und Klagen über seine Partnerin.
  • Der dependente Patient hängt förmlich an den Lippen seiner Therapeutin, ohne sich ernsthaft auf die Therapieinhalte einzulassen.


Nicht immer ist die interaktionelle Störung so offensichtlich, wie es z. B. bei einer Borderline-Patientin der Fall ist. Vielmehr kann sich das Problemverhalten des Patienten auch in einem überangepassten und die Therapeutin idealisierenden Verhalten zeigen, welches zunächst für eine oberflächlich positive Atmosphäre in der therapeutischen Beziehung sorgt. Häufig dauert es eine gewisse Zeit, bis die Therapeutin bemerkt, dass es sich hierbei aber um ein Problemverhalten handelt, mit dem der Patient eine stabile Beziehung zu ihr unter Vermeidung seiner problematischen Themen zu gestalten versucht.

Praktischer Hinweis

In der Therapie mit persönlichkeitsgestörten Patienten muss die Therapeutin sich fortlaufend mit der Frage beschäftigen, welche Erlebnis- und Verhaltensweisen des Patienten ihr gegenüber Ausdruck von dessen Problematik sind. Sachse (2002) beschreibt den Unterschied zwischen Patienten mit einer Achse-I-Störung (z. B. Depression oder Angststörung) und persönlichkeitsgestörten Patienten folgendermaßen:

  • Der Achse-I-Störungs-Patient ist weniger beziehungsmotiviert, sondern eher veränderungsmotiviert. Er will mit der Therapeutin an seinen Problemen arbeiten und keine spezielle Beziehung zu ihr aufbauen.
  • Der persönlichkeitsgestörte Patient ist weniger änderungsmotiviert, sondern beziehungsmotiviert. Er will von der Therapeutin eine bestimmte Art der Beziehung haben, die er im Alltag vermisst. Gleichzeitig ist er weniger bereit, sich zu öffnen, aktiv mitzuarbeiten und veränderungsorientierte Techniken durchzuführen.

[…]

Wenn die Therapeutin nicht über hinreichende Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, Selbstreflektion und Verhaltensregulation verfügt, kann das Problemverhalten des Patienten bei ihr Reaktionen wie z. B. Unverständnis, Frustration, Ärger und entsprechende dysfunktionale Verhaltensweisen hervorrufen. Beispiele hierfür sind:

  • Weil die Patientin immer wieder von Suizidgedanken spricht, gibt die Therapeutin ihr immer wieder zusätzliche Abendtermine.
  • Als der Patient zum wiederholten Mal die vereinbarten Aufgaben nicht gemacht hat und sich in Ausflüchten ergeht, wirft ihm die Therapeutin im gereizten Tonfall vor, dass er unmotiviert sei.
  • Wegen der ständigen Vorwürfe, nicht genügend von der Therapeutin verstanden und unterstützt zu werden, antwortet diese: »Was wollen Sie eigentlich bei mir, wenn Sie mit mir unzufrieden sind?«
  • Der Patient veranlasst die Therapeutin durch sein dependentes und anhängliches Verhalten dazu, im Anschluss an die Therapiestunde mit ihm ein Eis essen zu gehen.
  • Die Therapeutin stellt einem zwanghaften Patienten keine Fragen mehr, weil sie befürchtet, wieder stundenlang mit ihm diskutieren zu müssen.


Insbesondere in der Arbeit mit persönlichkeitsgestörten Patienten besteht deshalb die Gefahr eines negativen therapeutischen Prozesses, da die Therapeutin auf den Patienten u. a. mit Hilflosigkeit, Ärger, Ablehnung, Schuldgefühlen, Langeweile reagiert. Hierauf wiederum antwortet der Patient mit einer Zunahme seines Problemverhaltens, sodass der entstehende negative therapeutische Prozess nur noch schwer zu überwinden ist (Binder & Strupp, 1997).

Die Herausforderung in der therapeutischen Beziehungsgestaltung mit persönlichkeitsgestörten Patienten ist eine dreifache:

  • Zum einen muss die Therapeutin dem Patienten eine spezifische Beziehung anbieten, welche ihm trotz seiner interaktionellen Störungen eine Motivation und Mitarbeit in der Therapie ermöglicht.
  • Zum anderen ist die therapeutische Beziehung ein Lern- und Experimentfeld für den Patienten, welches ihm eine Erweiterung seines Erlebnis- und Verhaltensrepertoires ermöglichen sollte (S2-Leitlinien für Persönlichkeitsstörungen; DGPPN, 2008).
  • Mehr als bei anderen Patienten muss die Therapeutin sich fortwährend mit ihren eigenen Reaktionen auf den Patienten selbstregulatorisch, diagnostisch als auch therapeutisch (insbesondere im Sinne der kontingenten persönlichen Rückmeldung) beschäftigen

Literatur:

Binder, J. L. & Strupp, H. H. (1997). Negative Process: A recurrently discovered and underestimated facet of therapeutic process and outcome in the individual psychotherapy of adults. Clinical Psychology: Science and Practice, 4, 121–139.
Dilling, H., Mombour, W. & Schmidt, M.H. (2000). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. Bern: Huber.
Sachse, R. (2002). Histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Leseprobe aus: Lammers, C.-H. (2017). Therapeutische Beziehung und Gesprächsführung. Techniken der Verhaltenstherapie. Weinheim: Beltz.

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