»Mama sagt, Papa sei böse« – Herausforderungen bei hochstrittiger Elternschaft

Eine herausfordernde Situation, der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen häufig gegenüberstehen, ist die hochstrittige Elternschaft. Der Begriff beschreibt eine Form der elterlichen Konfliktdynamik, die von starken Spannungen, emotionalen Aufladungen und häufigem Streit zwischen den getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern geprägt ist.

In diesem Blogbeitrag möchten wir uns mit der Komplexität dieser Thematik auseinandersetzen, Strategien zur Unterstützung von hochstrittigen Eltern sowie deren Kinder diskutieren und Wege aufzeigen, wie Sie als Psychotherapeut:innen diese Familien in schwierigen Zeiten begleiten können.

Ein Fallbeispiel

Im Erstgespräch berichtete die Mutter des 8-jährigen Felix davon, wie ungern dieser die Umgangskontakte mit dem Vater wahrnehme: »Sie müssten das mal sehen, wenn er zu seinem Erzeuger muss, wie er dann leidet.« Das sei auch wirklich verständlich. Der Vater, den sie nie »Felix’ Vater« oder »mein Ex-Mann« nennt, sondern regelmäßig mit abwertenden Worten umschreibt, verhält sich nach den Schilderungen der Mutter vernachlässigend, ohne Rücksicht auf Felix’ Gefühle (so sei er schon immer gewesen), könne sich nicht auf ihn einlassen. Im Anschluss an die Besuche sei Felix stets mehrere Tage emotional aufgewühlt und zeige starke Verhaltensauffälligkeiten. Zum Ende der diagnostischen Termine informiert die Mutter den Berater, dass sie nun zum Gericht gegangen sei, um die für Felix so schädlichen Umgangskontakte aussetzen zu lassen. Sie fragt den Berater, ob er wohl eine kurze Stellungnahme für das Gericht schreiben könne?

Felix wirkt während der Diagnostik in sich gekehrt und mag zunächst wenig über seine Gefühle und die häusliche Situation sprechen. Schließlich macht auch er deutlich, dass er seinen Vater nicht mehr besuchen möchte. Nach den Gründen befragt, beschreibt er mit ähnlichen Worten wie seine Mutter das väterliche Fehlverhalten. Er wirkt auf den Berater niedergestimmt und belastet.

Das macht hochstrittige Elternschaft mit den Kindern

Die andauernden und erheblichen Konflikte führen bei [den Kindern] zu einem emotionalen Ausnahmezustand, sie fühlen sich hilflos einer extrem belastenden Situation ausgesetzt. Nicht selten versuchen sie, mit ihrem eigenen Verhalten wieder mehr Kontrolle über die Situation zu erlangen. Wenn sie z. B. den Kontakt zu dem nicht mit ihnen zusammenlebenden Elternteil aussetzen, hoffen sie, dadurch weniger mit dem Elternkonflikt konfrontiert zu werden. Kinder im Grundschulalter neigen besonders dazu, die Position desjenigen Elternteils einzunehmen, bei dem sie leben. Besonders belastend ist für sie, wenn die Eltern ihre Befindlichkeiten mit ihnen teilen und sie so massiv in Loyalitätskonflikte stürzen. Die betroffenen Kinder konzentrieren sich in unangemessener Weise auf die Bedürfnisse der Eltern und stellen eigene Bedürfnisse zurück. Häufig sind auch Selbstwertprobleme zu beobachten […]. Auch das Selbstwirksamkeitserleben wird negativ beeinflusst […].

Interventionsmöglichkeiten in der Beratung der Eltern

Die mit den Eltern arbeitenden professionellen Helfer stehen vor der Aufgabe, einerseits empathisches Verstehen für die Elternteile zu zeigen und zu ihnen eine wertschätzende Beziehung aufzubauen, andererseits aber mit ungewöhnlich intensiver Direktivität und Strukturierung zu arbeiten.

  1. Verständnis für alle Beteiligten. Auch wenn Eltern oder Elternteile ein im Sinne des Kindeswohls unerwünschtes Verhalten zeigen, gilt: Nur wenn es gelingt, den Eltern Verständnis entgegen zu bringen, können die Eltern sich auf die Beratungsbeziehung einlassen. Dazu ist es hilfreich, sich vertieft auf das Erleben der Eltern einzulassen, ihre selbst wahrgenommenen Verletzungen zu erfragen und ernst zu nehmen. Dafür muss (in Einzelsitzungen mit den Eltern) genügend Raum für die Thematisierung dieser Verletzungen gegeben werden. Im Anschluss an diese Phase der Einzelberatung ist es sinnvoll, vorsichtig dahingehend zu arbeiten, auch dem Ex-Partner wieder ein Mindestmaß an Wertschätzung entgegenzubringen. Hierzu bietet es sich an, unter Bezugnahme auf das Kennenlernen und die erste Verliebtheit des Paares zu fragen, was man früher an dem Ex-Partner bzw. der Ex-Partnerin geschätzt hat, um im Anschluss zu besprechen, welche dieser positiven Verhaltensweisen/Eigenschaften auch in der Jetzt-Zeit noch vorhanden sein könnten.
  2. Kinder in den Mittelpunkt rücken. Im Rahmen der Elternberatung sollte die Stärkung des Wohlergehens der Kinder besondere Wichtigkeit haben. Im Einzelfall sind direkte Erfahrungen mit der emotionalen Situation der Kinder wichtig. Falls das Kind sein Einverständnis dazu erklärt hat, können den Eltern in der Beratung wörtliche Zitate aus den Terminen mit dem Kind mitgeteilt werden, etwa: »Wissen Sie, als ich kürzlich mit Tom gespielt aber, sagte er ohne jeden Anlass ganz traurig ›Ich will einfach nur, dass Mama und Papa nicht mehr streiten, alles andere ist mir egal‹.« Wenn die Eltern die Not ihres Kindes so deutlich und nachvollziehbar erfahren, kann dies dazu führen, dass sie diesem Erleben ihres Kindes wieder mehr Aufmerksamkeit schenken.
  3. Strukturierung und Grenzsetzung. Beraterinnen und Therapeuten müssen sowohl inhaltlich als auch formal Vorgaben machen, da die Eltern in einer Hochkonfliktkonstellation nicht mehr zu konstruktiver Zusammenarbeit zum Wohle des Kindes in der Lage sind. Sofern eine gerichtliche Anordnung Grundlage der Beratungstermine ist, muss genau mit den Klientinnen und Klienten abgesprochen werden, welche Regeln hinsichtlich Teilnahme, Pünktlichkeit und auch Informationsweitergabe zu beachten sind. Innerhalb der Beratungssituation muss insbesondere bei den gemeinsamen Terminen mit beiden Elternteilen regulierend eingegriffen werden, wenn die Elternteile in ihre üblichen Streitmuster verfallen. Gegebenenfalls müssen dezidierte Gesprächsregeln aufgestellt werden, Beleidigungen und Beschimpfungen müssen unterbunden werden. Im Einzelfall kann es notwendig sein, dass keine direkte Kommunikation zwischen den Eltern stattfindet, sondern dass die Kommunikation stets über die Beraterin läuft, auch wenn die Ex-Partner zusammen mit der Beraterin in einem Raum sitzen. Zurückhaltung ist geboten, wenn vom Berater oder der Therapeutin Stellungnahmen erbeten werden, die die Position eines Elternteils stützen […].

Interventionsmöglichkeiten in der Arbeit mit den Kindern

Die betroffenen Kinder benötigen Hilfe durch eine Therapeutin oder einen Berater, die bzw. der nicht in den Elternkonflikt involviert ist. Damit sie sich darauf einlassen können, ihre oft hoch belastenden und sie in Loyalitätskonflikte stürzenden Erfahrungen zu berichten, muss ein besonderer Wert auf Verschwiegenheit gelegt werden. Die Kinder benötigen die Sicherheit, dass ihre Äußerungen weder den Eltern noch dem Gericht zugetragen werden, damit sie offen reden können. Sie benötigen Gelegenheit, ihre Sorgen und Gefühle offen anzusprechen. Die mögliche Ablehnung eines Elternteils sollte erst dann näher hinterfragt werden, wenn eine hinreichende therapeutische Beziehung aufgebaut wurde. Die Entwicklungsgefährdungen der Kinder müssen sorgfältig erfasst werden und auch eventuelle Kindeswohlgefährdungen sind zu prüfen.

Ressourcen stärken

Zwar ist das Ziel der Kindertherapie in solchen Fällen in der Regel auch, eine gute Beziehung zu beiden Eltern zu ermöglichen, die Beratung/ Therapie der Kinder sollte sich aber nicht ausschließlich oder vorrangig auf die familiären Konflikte zentrieren. Stattdessen sollte ein Fokus darauf gelegt werden, die Kinder zu stärken und ihnen selbstwertdienliche und aufbauende Erfahrungen zu ermöglichen.

[Bei der Gestaltung des Umgangs] scheint [es] die bestmögliche Vorgehensweise zu sein, dem Kindeswillen weitgehend zu folgen, gleichzeitig aber nach Möglichkeiten zu suchen, eine auch aus Kindessicht vertretbare Form des Umgangs zu finden (etwa Telefonkontakte, Briefe, begleiteter Umgang), bevor endgültige Lösungen gefunden werden.

Dos und Don‘ts

Do’s

  • Hinweise auf Verletzung des Kindeswohls prüfen
  • Verständnis für die Verletzungen der Beteiligten entwickeln und zeigen, ohne das Verhalten zu billigen
  • Strukturen geben, Grenzen setzen, direktiv vorgehen
  • Kinder in den Mittelpunkt rücken
  • Kooperationen mit allen Beteiligten herstellen und pflegen
  • In besonderer Weise auf die eigene »Psychohygiene« achten


Don’ts

  • Elternteile wegen ihrer Zentrierung auf sich statt auf die Kinder persönlich ablehnen
  • Wie üblich möglichst viel Verantwortung an die Klientinnen und Klienten geben
  • Der Faszination erliegen, die von den eindringlichen Schilderungen ausgehen kann und sich (voreilig) auf eine Seite schlagen
  • Umgangskontakte »um jeden Preis«, wenn dadurch die Belastungen des Kindes verstärkt werden
  • Die Familien bzw. die Kinder nach einer ersten »Lösung« sich selbst überlassen


Leseprobe aus: Borg-Laufs •Gahleitner •Hungerige (2018): Schwierige Situationen in Therapie und Beratung mit Kindern und Jugendlichen. Weinheim: Beltz

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