Psychische Erkrankungen bei Paaren

Anna und Richard haben sich in einer psychosomatischen Klinik kennengelernt. Anna war dort wegen ihrer Essstörung in Behandlung, Richard wegen seiner Computerspielsucht. Kennengelernt haben sie sich in der Entspannungsgruppe und dann in der Folge viel Zeit zwischen den Therapieeinheiten zusammen verbracht. Sie fühlten sich gleich stark zueinander hingezogen und sind seit der Klinikzeit ein Paar. Die erste Zeit war wegen der Distanz ihrer Wohnorte besonders schwierig, weshalb Anna dann schließlich zu Richard gezogen ist. Aber auch seit sie zusammen wohnen, gibt es weiterhin immer wieder Probleme, weshalb sie nun Therapie aufsuchen. Anna erläutert: »Vielleicht war es nicht unbedingt die beste Idee, dass wir uns zusammengetan haben. Ich meine, wir haben ja eigentlich jeder genug mit uns selbst zu tun. Meine Essstörung ist noch lange nicht überwunden, wenn ich ehrlich bin, und Richard sitzt auch wieder stundenlang jeden Tag vor dem Computer. Ich weiß nicht …«. Richard steigt mit ein: »Ja, ich liebe Anna wirklich, das ist echt so, aber der Stress, den wir mit uns haben, der fällt dann auch auf die Beziehung. Wir wissen nicht, was wir da tun sollen. Wir wollen zusammenbleiben, aber im Moment haben wir Angst, dass wir uns gegenseitig runterziehen.«

Wie in klinischen Kreisen allgemein bekannt ist die Prävalenz psychischer Störungen in der Gesamtbevölkerung sehr hoch. Auch wenn die genaue Zahl aufgrund kaum lösbarer methodologischer Probleme gar nicht präzise zu bestimmen ist, kann grob doch festgehalten werden, dass die meisten epidemiologischen Studien im Hinblick auf Gesamtschätzungen aller psychischer Störungen in der Bevölkerung Werte von über 20 Prozent angeben (vgl. Jacobi & Barnikol, 2015). Bei dieser Häufigkeit psychischer Störungen ist es naheliegend, dass auch Partnerschaften von diesen betroffen sind und nicht wenige Paare, die Paartherapie nachsuchen, in irgendeiner Form vom Thema »psychische Störung« betroffen sind. Ohne Zweifel ist hierbei im Rahmen eines komplexen Vulnerabilitäts-Stress-Modells von einer Wechselwirkung zwischen psychischen Problemen und Partnerschaftsschwierigkeiten auszugehen: Individuelle Probleme können sich negativ auf die Partnerschaft auswirken, und Partnerschaftsprobleme können individuelle Symptome verstärken. Entsprechend zeigen Studien einen deutlichen Zusammenhang zwischen partnerschaftlichen Problemen und psychischen Störungen (z. B. Wishman, 2007). Solche Teufelskreise gilt es somit zu beachten, wenn man Paare behandelt, bei denen bei einem Partner oder beiden eine psychische Störung gegeben ist. Die Forschungslage zeigt, dass es eine Rolle spielt, ob nur ein oder beide Partner eine psychische Störung haben: Wenn beide betroffen sind, dann ist auch das zukünftige Scheidungsrisiko höher, als wenn nur einer betroffen ist (Butterworth & Rodgers, 2008). 

Ein Partner leidet unter einer psychischen Störung

Wie oben bereits angedeutet ist es für die Partnerschaftsqualität prognostisch günstig, wenn die einzelnen Partner möglichst »gesund« sind. Leidet einer der Partner unter einer psychischen Störung, so steigt die Wahrscheinlichkeit von Partnerschaftsproblemen je nach der entsprechenden Störung und der sich entwickelnden Dynamik an. Ein Grundproblem, das in jedem Falle bestehen kann, ist die Tatsache, dass sich die Partner nicht mehr auf Augenhöhe erleben – der Partner mit der psychischen Störung kann von sich selbst (und auch vom anderen) als »unterlegen«, »problematisch« oder anders negativ gelabelt werden. Gerade in einem solchen Kontext geschieht es häufig, dass alle Probleme, die ein Paar bei sich gegeben sieht, auf die psychische Störung des einen Partners attribuiert werden. Dieser wird in solchen Fällen somit zum »schwächsten Glied«, das evtl. selbst Schuldgefühle hat und auch vom Partner dafür »benutzt« wird, die verschiedensten Probleme zu erklären und damit auch von sich selbst als Mitverursachendem fernzuhalten. Ein konkretes Beispiel hierfür wäre ein Paar, bei dem der Mann unter einer Zwangsstörung leidet und seine Frau ihn wegen seiner bizarren Verhaltensweisen immer wieder angreift und sowohl ihre persönliche Zufriedenheit als auch die Partnerschaftsqualität als zentral durch die Zwangsstörung beeinträchtigt ansieht.

Eine andere Dynamik, die sich entwickeln kann, geht unter Umständen sogar mit einer gesteigerten oder mindestens soliden Partnerschaftsqualität und auch -stabilität einher. So kann es nämlich sein, dass die psychische Störung des einen Partners für das Paar sozusagen zum »gemeinsamen Projekt« wird. Auch bei solchen Paaren gibt es ein Gefälle zwischen den Partnern, aber der »gesunde« Partner (Wir verwenden diese Formulierung hier lediglich zur Vereinfachung der Darstellung. In der Arbeit mit einem Paar sollte der Begriff strikt gemieden werden!) fühlt sich wohl in der Rolle des Starken, während der psychisch kranke Partner gerne die Rolle des Schwachen ausfüllt. In einem solchen Fall spielen sich die Partner gut aufeinander ein und verändern sich als System so, dass beide sich komplementär zueinander verhalten. Ein Beispiel für eine solche Dynamik wäre ein Paar, bei welchem die Frau unter einer ausgeprägten Agoraphobie leidet und der Mann dies dadurch kompensiert, dass er alles übernimmt, was mit dem Verlassen des Hauses zu tun hat (z. B. Einkaufen gehen), sich dadurch stark und seine Frau »beschützend« fühlt und diese sich ihm dafür dankbar zuwendet. Wie diese beiden Beispielszenarien deutlich machen, kommt es bei Paaren, deren einer Partner unter einer psychischen Störung leidet, also auf den »Symptom-System-Fit« (Baucom et al., 2003) an. Wenn dieser gut ist, dann ist das partnerschaftliche Miteinander in den meisten Fällen weniger gestört, aber dafür wird die psychische Störung des einen Partners stabilisiert. Ist der Symptom-System-Fit hingegen schlecht, dann gibt es in der Beziehung häufig problematische Auseinandersetzungen und damit eine eher niedrige Partnerschaftsqualität, aber sowohl für den von der psychischen Störung betroffenen Partner als auch für das Paar als Ganzes ist der Anreiz höher, sich Hilfe zu suchen.

In der Therapie ist somit als Erstes zu klären, wie genau die Partnerschaftsdynamik sich darstellt, damit dann ein sowohl der individuellen als auch der partnerschaftlichen Problematik entsprechender Therapieplan entwickelt werden kann. Baucom et al. (2012) unterscheiden drei prinzipielle Fälle, wie ein Interventionskonzept bei der Behandlung von psychischen Störungen unter Einbezug des Partners aussehen können:

  • partnerassistierte Interventionen: Partner als »Co-Therapeut« z. B. bei Expositionssitzungen
  • störungsspezifische Interventionen auf Paarebene: Veränderung des Zusammenspiels eines Paares bezogen auf die festgestellte psychische Störung; z. B. Beenden von Schonverhalten seitens des Partners
  • Paartherapie: Behandlung der gesamten partnerschaftlichen Dynamik, nicht nur in ihrer Beschränkung auf die psychische Störung des einen Partners. Der vergleichsweise am wenigsten komplexe Fall ist dann gegeben, wenn keine großen Probleme in der Partnerschaft selbst gegeben sind, das Paar an sich also »gut funktioniert« und die wesentliche Aufgabe in der Bewältigung der psychischen Störung des einen Partners besteht. Die Dynamik in der Arbeit mit dem Paar wird sich dann auf partnerassistiertes Arbeiten sowie störungsspezifische Interventionen auf Paar-Ebene beschränken. Anders gestaltet sich die Situation, wenn die Partnerschaft des Paares sehr belastet ist und sich z. B. in der Vergangenheit Verletzungen angehäuft haben, die zusätzlich zur psychischen Problematik des einen Partners die Situation erschweren (»Auf was habe ich alles schon verzichten müssen wegen deiner Psycho-Kiste …«; »Wie oft du mich schon beleidigt hast, ohne jedes Verständnis für meine Erkrankung …«). Dann wird ein Arbeiten auf allen drei Ebenen notwendig sein. Wir geben im Folgenden Hinweise zur Behandlungsgestaltung in diesen beiden Fällen.

Der Partner ohne psychische Störung als »Co-Therapeut«

Wenn die diagnostischen Gespräche mit einem Paar zeigen, dass der Zusammenhalt und das Zusammenspiel eines Paares sehr gut sind und keine wesentlichen Beziehungsprobleme das Geschehen zusätzlich verschärfen, dann steht die psychische Störung des einen Partners im Mittelpunkt. Wir möchten direkt zu Beginn auf ein bedeutsames Problem dieses Settings hinweisen, weshalb es wirklich nur unter sehr speziellen Bedingungen überhaupt angestrebt werden sollte. Wenn der »gesunde« Partner in den Status eines »Co-Therapeuten« erhoben wird, dann kann das unmittelbar die erlebte Balance des Paares beeinflussen und damit unter Umständen erst Partnerschaftsprobleme heraufbeschwören. Therapeuten müssen somit sehr vorsichtig mit den jeweiligen Rollen der Partner umgehen und sollten hier beim Paar größtmögliche Transparenz herstellen und die Partnerschaftsdynamik beständig im Auge behalten, um gegebenenfalls einschreiten zu können. (…)

Ist das Paar auf die Risiken vorbereitet, dann kann je nach Störung, die vorliegt, ein konkreter Therapieplan erarbeitet werden. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass gegebenenfalls dem Paar auch statt einer Paartherapie eine Einzeltherapie mit dem betreffenden Partner vorgeschlagen werden kann, wenn dies aus fachlicher Sicht angemessener erscheint. Das partnerschaftliche Setting kann einen Mehrwert bringen, indem eben der Partner konkreter als Co-Therapeut einbezogen werden und der Therapeut auf dessen Verhalten unmittelbar Einfluss nehmen kann, aber dies geschieht immer um den Preis der gesteigerten Komplexität der Situation. Außerdem – wie schon mehrfach angeführt, aber der Punkt ist aus unserer Sicht außerordentlich wichtig – darf die Problematik der dynamischen Veränderung nicht vernachlässigt werden. Ein Zusammenspiel der Partner als »Patient« und »Co-Therapeut« ist aufgrund der prinzipiellen Unverträglichkeit mit den »normalen« Partnerschaftsrollen sehr riskant und darf wirklich nur dann empfohlen werden, wenn die partnerschaftliche Basis sehr intakt ist. Bei sich auch nur leise andeutenden Partnerschaftsproblemen sollte direkt eingeschritten oder aber der Co-Therapeuten-Ansatz erst gar nicht versucht werden.

Aufgrund der Fülle möglicher Störungen können wir hier nicht erschöpfend darauf eingehen, wie die weitere Arbeit mit dem Paar gewinnbringend aufgestellt werden kann. Letztlich ist hier der jeweilige störungsspezifische Ansatz zu empfehlen, von dem ausgehend Interventionen unter Zuhilfenahme des »gesunden« Partners geplant werden

Psychische Störung bei einem Partner und verschärfte Partnerschaftsproblematik

Die im vorangegangenen Abschnitt geschilderte Situation ohne relevante Partnerschaftsproblematik dürfte eher selten vorkommen. Häufiger ist, dass sich ungünstige Prozesse schon eine Zeitlang in den eingangs geschilderten Teufelskreisprozessen gegenseitig aufgeschaukelt haben. In diesem Fall muss die Partnerschaftsproblematik parallel zur individuell bestehenden Störung behandelt werden. Prinzipiell sind dann einzeltherapeutische, co-therapeutische und paartherapeutische Maßnahmen so zu integrieren, dass für das Paar ein möglichst umfassendes und allen einzelnen Problemen gerecht werdendes Behandlungspaket resultiert. Der Therapeut muss dann jeweils mit dem Paar prüfen, welche »Baustelle« aktuell Vorrang hat. Die Grundannahme dabei ist die, dass akute Krisen stets zuerst angegangen werden müssen, ob diese sich nun auf der individuellen Ebene abspielen oder auf der partnerschaftlichen – wie in jeder anderen Form der Therapie auch. Wenn solche Krisen bewältigt bzw. besänftigt wurden, dann wird es in den meisten Fällen zuerst darum gehen, die partnerschaftliche Basis günstig zu beeinflussen. Wie dies konkret geschieht, hängt von der jeweils bestehenden konkreten Partnerschaftsproblematik ab Von dieser dann verbesserten Partnerschaftsbasis aus werden analog zur oben beschriebenen Vorgehensweise die jeweils konkreten Anliegen im Rahmen der Behandlung der individuellen Störung angegangen. Der Prozess wird dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrfach rekursiv verlaufen: Immer wieder wird es notwendig sein, sich wieder der Partnerschaft zuzuwenden, wenn neue Informationen auftauchen, dann wird wieder eine »individuelle Einheit« möglich sein, durch die sich Veränderungen ergeben, die wieder die Partnerschaft betreffen, und so weiter. Auch in dem hier beschriebenen Fall sollte geprüft werden, ob das Angebot »alles aus einer Hand« wirklich am besten für das Paar ist. Es kann sein, dass sich auch eine Trennung in eine Einzeltherapie und eine Paartherapie als bessere Option anbietet. Dies ist dann anzuraten, wenn die Verstrickung des Paares so weitreichend ist, dass eine Bearbeitung der individuellen Problematik kaum noch möglich erscheint, weil sich sofort Partnerschaftsprobleme anschließen oder gar in den Vordergrund spielen. Das lässt sich in der Regel nicht von vornherein feststellen, sondern kann erst im Verlauf der Beobachtung der Partnerschaftsdynamik eruiert werden. Wenn Therapeuten feststellen, dass sie sich im Partnerschaftssetting festfahren und die Problembereiche nicht mehr voneinander getrennt werden können, dann sollte dem Paar die Settingveränderung nahegelegt werden.

Beide Partner leiden unter einer psychischen Störung

Wenn beide Partner unter einer psychischen Störung leiden, dann wird die gesamte Sachlage natürlich prinzipiell komplexer, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass es auch schwieriger wird. So kann es bei zwei Betroffenen beispielsweise nicht so leicht geschehen, dass sich ein größeres Gefälle in der Beziehung entwickelt. Da beide ihre jeweiligen individuellen Probleme haben, kann daraus ein größeres Verständnis für psychische Probleme und deren Konsequenzen an sich resultieren, was weiterhin dabei helfen kann, ein Ungleichgewicht beim Paar zu verhindern. Das ist aber keine zwangsläufige Konsequenz. Wenn die Störungen der Partner sehr verschieden voneinander sind oder sie einen sehr unterschiedlichen Schweregrad aufweisen, dann kann doch auch wieder großes Unverständnis herrschen oder sich eine Imbalance entwickeln. Insofern gilt es in der Therapie in der ersten Phase besonders gründlich zu prüfen, wie das Zusammenspiel der Partner ist und welche Erfordernisse sich aus den jeweils bestehenden Störungen ergeben. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann die Behandlung im Wesentlichen entlang der Richtlinien verlaufen, die in den ersten Abschnitten dieses Kapitels dargestellt wurden.

Sonderfall »Persönlichkeitsstörungen«

Besonderes Augenmerk sollte aber darauf gerichtet werden, ob aus den beiden gegebenen psychischen Störungen Interaktionseffekte resultieren. So kann es gerade beim Vorliegen von sogenannten »Persönlichkeitsstörungen« sein, dass die Interaktionstendenzen des einen Partners sich genau komplementär zu jenen des anderen verhalten. Willi (2012) betont genau diese Konstellation ausführlich in seinem Kollusionskonzept. In einem solchen Fall wirkt sich eine Veränderung beim einen Partner in die »erwünschte« Richtung (z. B. bei einer Person mit abhängiger Persönlichkeitsakzentuierung) für den anderen im Erleben möglicherweise genau gegenteilig aus (falls der Partner im vorangegangenen Beispiel aufgrund einer narzisstischen Akzentuierung beispielsweise einen abhängigen Partner »braucht«). Sollte eine solche Dynamik aufgrund der jeweils gegebenen Persönlichkeitsakzentuierungen der Partner gegeben sein, so können daraus für den Therapeuten besondere Anforderungen erwachsen. Wir empfehlen, auf die Verwendung des Persönlichkeitsstörungsbegriffs im Umgang mit Paaren (und Klienten im Allgemeinen) so weit wie nur irgend möglich zu verzichten, denn es resultiert daraus kein sichtbarer Gewinn für die Klienten selbst oder die Behandlungsplanung. Es genügt aus unserer Sicht im Regelfall, von Persönlichkeitsstilen oder -merkmalen oder -akzentuierungen zu sprechen, ohne den pathologisierenden Begriff der »Störung« an dieser Stelle zu verwenden.

Landucchi und Foley (2014) bieten für die Behandlung von Partnern mit »Persönlichkeitsstörungen« eine Orientierung an, die bei der Therapieplanung helfen kann. Der erste Schritt besteht dabei – wie immer in Paartherapien – in der Gründung einer stabilen therapeutischen Allianz. Genau dies kann mit den hier zu besprechenden Paaren sehr schwierig sein, da viele »Persönlichkeitsstörungen« ich-synton sind, die betreffende Person also kein oder nur ein eingeschränktes Bewusstsein davon hat, dass sie mit ihrem Verhalten zu Problemen beiträgt. Das kann zu der Perspektive führen: »Ich habe kein Problem. Mein Partner ist das Problem. Um sein Verhalten geht es hier, nicht um meines.« Es ist die herausfordernde therapeutische Aufgabe, beide Partner nach und nach mit ihren jeweiligen Verhaltensanteilen und den Beziehungsmustern, von denen sie sich leiten lassen, in Kontakt zu bringen, beispielsweise auch über direktes Feedback aus der Interaktion zum Therapeuten heraus. Im Weiteren besteht das grundsätzliche Ziel bei der Behandlung zweier Partner mit »Persönlichkeitsstörungen« darin, die sich bei beiden abspielende Dynamik transparent und damit für Veränderung zugänglich zu machen. Die auch von Willi (2012) dargelegte Ausgangsbasis ist dabei die, dass die Merkmale, die das Paar zu Beginn seiner Beziehung zueinander geführt haben (z. B. Komplementarität im obigen Beispiel: der eine »braucht« Bewunderung, der andere »braucht« eine Person, die ihn durchs Leben führt), im Verlauf der Zeit mehr und mehr Probleme verursachen. Die Kommunikation der Partner miteinander muss in der Therapie nach und nach so verändert werden, dass beide eine bessere Einsicht in die »Welt- und Beziehungssicht« des jeweils anderen entwickeln und dadurch auch eine Basis für ein wirkliches gegenseitiges empathisches Verständnis begründet wird. Erst auf dieser Basis kann es dann gelingen, mit dem Paar konkrete Ziele zu entwickeln, die es dann gemeinsam zu erreichen versuchen kann, statt sich – den jeweiligen früh gelernten Mustern folgend – eher in einem Kampf gegeneinander wiederzufinden. Wenn es gelingt, die Therapie in dieser Art sehr ressourcenorientiert, validierend und aber auch korrigierend zu orientieren, dann kann das Paar in einem längeren Prozess langsam andere Arten und Weisen des Umganges miteinander entwickeln, die sich im Regelfall natürlich auch auf die Beziehungen zu anderen Menschen auswirken werden (wie immer bei der Behandlung von Personen mit »Persönlichkeitsstörungen«).

Fazit

Wie insbesondere die Ausführungen im letzten Abschnitt deutlich gemacht haben, verlangt die Behandlung von Partnern mit psychischen Störungen dem Paartherapeuten mit der profunden Kenntnis der jeweiligen Störungen und der zugehörigen Interventionsideen eine zusätzliche Dimension ab. Beispielsweise Paarberater, die kein klinisches Wissen über Persönlichkeitsstörungen besitzen, werden so gut wie außerstande sein, die Ausführungen dazu im letzten Abschnitt des vorangegangenen Abschnitts zu verstehen, geschweige denn eine entsprechende Behandlung durchzuführen. Daraus ergibt sich, dass Paartherapeuten eine Behandlung in diesem Kontext hier nur dann anbieten sollten, wenn sie aufgrund ihrer Ausbildung auch hinreichende Kenntnisse der entsprechenden psychischen Störungen besitzen. Ist das nicht der Fall, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die sich aus den Störungen ergebende Dynamik des Paares im Umgang miteinander oder auch individuelle Faktoren den Therapeuten überfordern und somit die Behandlung gefährden.

Dos

  • Paar zueinander »auf Augenhöhe« halten (»Es gibt einen Punkt, den wir im Auge behalten sollten. Sie, Herr Müller, werden Ihrer Frau ja in den nächsten Wochen, wie wir vereinbart haben, dabei helfen, ihr Vermeidungsverhalten aufzugeben. Wir haben das genau geplant. Sie kommen dabei etwas in die Rolle eines ›Wachhundes‹, was sich auf Sie als Paar ungünstig auswirken kann. Denn eine Partnerschaft klappt dann am besten, wenn die Partner sich zueinander auf Augenhöhe erleben. Lassen Sie uns das immer wieder abchecken, damit es keine Schieflage gibt, okay?«)
  • Kontakt zu Co-Behandlern herstellen bzw. ggf. externe Therapie einleiten (»Herr Müller, Sie haben berichtet, dass Sie wegen Ihrer Depression noch in psychiatrischer Behandlung sind. Ich würde gerne mit Ihrem behandelnden Psychiater sprechen, damit unsere Behandlungsansätze möglichst gut aufeinander abgestimmt sind. Ist das okay für Sie? Würden Sie ihm und mir eine Schweigepflichtentbindung ausstellen?«)

Don’ts

  • Den Partner mit der psychischen Störung herabsetzen und pathologisieren (»Herr Müller, ich habe nun diagnostiziert, dass Sie eine Zwangsstörung haben. Glücklicherweise ist Ihre Frau demgegenüber gesund. Mit ihrer Mithilfe sollte es uns gelingen, Ihre Störung zu korrigieren, woraufhin Sie dann auch als Paar keine Probleme mehr haben werden.«)
  • Partnerschaftsdimension vernachlässigen (»Okay, das Problem hier ist Ihre psychische Störung, Herr Meier / sind Ihrer beider psychische Störungen, Frau und Herr Meier. Sie brauchen eine / zwei Einzeltherapie(n), die Paarebene ist hier irrelevant.«)


Literatur:

Baucom, D. H., Stanton, S. & Epstein, N. B. (2003). Anxiety Disorders. In D. K. Snyder & M. A. Whisman (Eds.), Treating Difficult Couples. Helping Clients with Coexisting Mental and Relationship Disorders (pp. 57–87). New York: Guilford.
Baucom, D., Whisman, M. & Paprocki, C. (2012). Couple-based interventions for psychopathology. Journal of Family Therapy, 34 (3), 250–270.
Butterworth, P. & Rodgers, B. (2008). Mental health problems and marital disruption: Is it the combination of husbands and wives’ mental health problems that predicts later divorce? Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 43 (9), 758–763.
Jacobi, F. & Barnikol, U. B. (2015). Abschätzung von Prävalenz und Behandlungsbedarf psychischer Störungen. Das Problem diagnostischer Schwellen. Nervenarzt, 86 (1), 42–50.
Landucci, J. & Foley, G. N. (2014). Couples Therapy: Treating Selected Personality-disordered Couples Within a Dynamic Therapy Framework. Innovations in Clinical Neuroscience, 11(3–4), 29–36.
Whisman, M. (2007). Marital distress and dsm-iv psychiatric disorders in a populationbased national survey. Journal of Abnormal Psychology, 116 (3), 638–643.

Leseprobe aus: Frank-Noyon Ÿ Noyon (2016) Schwierige Situationen in der Arbeit mit Paaren. Weinheim: Beltz.

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