Im Rahmen der Psychotherapie unterliegen wir Psychotherapeut:innen der Schweigepflicht. Bei minderjährigen, einwilligungsfähigen Kindern gilt dies auch gegenüber den Eltern. Bei Kindern, die nicht einwilligungsfähig sind, gilt dies nicht. Trotzdem ist die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses wichtig, welches unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern entstehen muss. Den Eltern wird in beiden Konstellationen einiges abverlangt, da die Eltern weder Sie als Person noch die therapeutischen Verfahren kennen – aber vertrauen sollen. Ich möchte im folgenden Beitrag Wege beschreiben, wie Sie mit dieser Situation umgehen können.
Früh über das psychotherapeutische Verfahren aufklären
In der psychotherapeutischen Praxis mit Kindern und Jugendlichen begegnen wir normalerweise nicht nur dem einzelnen Kind oder einzelnen Jugendlichen. Unsere Patient:innen leben in der Regeln mit einem oder beiden Elternteilen in einem Haushalt, woraus sich ergibt, dass der erste Kontakt zu uns Psychotherapeut:innen nicht selten durch die Eltern hergestellt wird. Bei Eltern, Kindern und Jugendlichen gibt es meist eher vage Vorstellungen, was Psychotherapie ist und wie Psychotherapie funktioniert. Die Idee, dass Psychotherapie mit »über etwas reden« zu tun hat ist dabei jedoch weit verbreitet. Ich empfehle, Patient:innen und Eltern bereits früh über das therapeutische Verfahren aufzuklären. Unsicherheiten können so rasch abgebaut werden und das Verfahren wird plastisch vorstellbar. Verhaltenstherapie kann beispielsweise auf eine verständliche Weise damit erklärt werden, dass davon ausgegangen wird, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt sinnvoll gewesen sein kann, bestimmte Denk- und Verhaltensweisen zu erlernen und anzuwenden. Was kurzfristig nützlich ist, kann langfristig zu Schwierigkeiten führen. Ein Verständnis der Lerngeschichte zu entwickeln, um dann gemeinsam nach vorne zu blicken, um neue Denk- und Verhaltensweisen auszuprobieren und zu erlernen, kann eine einfach nachvollziehbare Erklärung für Patient:innen sein. Es ist dabei empfehlenswert, die Erklärung an die Symptomatik der Patient:innen anzupassen und schon bekannte Fakten einzuweben. Nehmen Sie sich auch ausreichend Zeit, den Behandlungsplan und die zeitliche Perspektive zu erklären, um Missverständnissen und Enttäuschungen vorzubeugen.
Machen Sie sich bewusst, dass das Vertrauen zu Ihnen und der Therapie auch für Eltern wachsen muss. Die Familien sind nicht selten durch die Situation belastet und das Entgegenbringen von Geduld und Zutrauen ist für Eltern erschwert. Ich erkläre immer, welchen Zweck und welches Ziel der geschützte Rahmen der Psychotherapie hat.
Informationsfluss ist keine Einbahnstraße
Nehmen Sie sich in den probatorischen Sitzungen Zeit, Eltern grundsätzlich über die Art und auch den Umfang des Informationsflusses zu informieren. Erklären Sie dabei häufig erlebte Situationen, bevor die Eltern sie selbst erleben. Dies wird dann für die betreffenden Eltern nachvollziehbarer und erleichtert ihnen eine Einordnung.
Beispielsweise können Sie Ihre Situation und die Situation des Kindes in der Therapie wie folgt erklären:
- »Ich bin für Sie eine fremde Person und mache nun einen Kopfsprung in Ihr Leben und Ihre Familie. Dies kann Ihnen komisch vorkommen und unangenehm sein. Für mich ist es jedoch wichtig, mir ein umfassendes Bild der Familiensituation und der Situation Ihres Kindes zu machen um bestmöglich und passend helfen zu können.«
- »Es kann sein, dass Ihr Kind bestimmte Informationen nur mit mir teilen möchte. Ich würde diese Informationen in der Regel erst nach Rücksprache mit Ihnen teilen. Das kann sich für Sie unangenehm anfühlen, da Sie sich »außen vor« fühlen. Ich bitte Sie, ihr Kind nicht zu drängen, sich Ihnen zu offenbaren. Das würde eher dazu führen, dass sich Ihr Kind verschließt.«
- »Ihr Kind wird nun älter und eigenständiger. Das bedeutet auch, dass es möglich ist, dass Sie als Eltern weniger in die Überlegungen und Gedanken ihres Kindes miteinbezogen werden. Es kann sein, dass diese natürliche Entwicklung durch die Therapie beschleunigt wird und bisher mit Ihnen besprochene Themen nun in der Therapie besprochen werden. Das kann sich für Sie merkwürdig anfühlen. Es könnte auch der Gedanke auftauchen, dass wir Konkurrenten sind. Bitte sprechen Sie mich an, wenn es Ihnen so gehen sollte.«
Einmischungen der Eltern schnell begegnen
Nicht selten haben Eltern konkrete und auch sich mit der Sicht der Patient:innen deckende Vorstellungen, welche Schwierigkeiten (beispielsweise »Selbstverletzendes Verhalten«) in der Psychotherapie gelöst werden sollen und wie, z.B. bei selbstverletzendem Verhalten: »Sie soll einfach aufhören und muss sich dafür einfach mehr anstrengen«. Sie als Therapeut:in sollen nun helfen, die Vorstellungen der Eltern umzusetzen. Sollte Ihnen Letztgenanntes begegnen, grenzen Sie sich davon unmittelbar ab – aber bleiben Sie trotzdem zugewandt. Denn Sie werben ja auch um Vertrauen. Sie könnten z.B. den Eltern erklären, dass Sie als Therapeut:in nicht eine Art verlängerter Arm der Eltern sein können, da dies das Kind sofort merken würde. Außerdem waren die Lösungsversuche der Eltern bisher nicht erfolgreich und die gleichen Versuche von einer anderen Person damit nicht erfolgsversprechender. Das Kind kann jedoch mit therapeutischer Hilfe einen neuen, eigenen und passenderen Weg finden. Bei dem Beispiel des Selbstverletzenden Verhalten wäre Folgendes ein möglicher Umgang: »Ihre Tochter wird das selbstverletzende Verhalten reduzieren können, wenn Sie einen anderen Weg gefunden hat mit ihrer Anspannung umzugehen und diesen auch einschlagen möchte. Dabei werde ich Sie unterstützen. Ich bitte Sie, darauf zu vertrauen und uns dafür Zeit zu geben. Unterlassen Sie die Vorwürfe, dass sich Ihr Kind beispielsweise nicht anstrenge. Dies ist unproduktiv und belastet die familiäre Atmosphäre zusätzlich.«
Eltern regelmäßig informieren
Auch während der laufenden Therapie ist es wichtig, sich gelegentlich Zeit zu nehmen und Eltern über den Verlauf und über erste Ergebnisse der Therapie zu informieren. Auch ein Abgleich der Eindrücke ist so möglich. Dabei muss neben dem Informationsbedürfnis der Eltern natürlich auch das Autonomiebedürfnis der Patient:innen respektiert werden und gut abgesprochen sein, ob und welche Informationen in welchen Abständen mit den Eltern geteilt werden.
Wie die passende Balance in der jeweiligen Eltern-Kind und Therapeutenkonstellation aussieht, ist in der Regel das Ergebnis eines Prozesses, da sich an sich völlig fremde Menschen auf nur teilweise bekanntem Terrain bewegen. Der nicht einfache Spagat zwischen dem Informationsbedürfnis und der Schweigepflicht gelingt erfahrungsgemäß insgesamt am besten, wenn Sie transparent Ihre Rolle, Aufgabe aber auch den rechtlichen Rahmen (in dem Sie sich bewegen) beschreiben und dann ihre Haltung im Sinne der Patient:innen mutig vertreten. Werben Sie dabei um Verständnis, Vertrauen und darum, dass sich die Beteiligten einlassen. So kann und werden Sie in dem Spannungsfeld gut bestehen können.
Exklusiver Live-Workshop
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Der Autor
Joachim Radtke (Dipl.-Soz.Arb./Dipl.-Soz.Päd.) ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut der Fachrichtung Verhaltenstherapie. Die beruflichen Stationen führten ihn von der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zur Arbeit im stationären Jugendhilfesetting. Ein Schwerpunkt stellte unter anderem der Aufbau stationärer Angebote für unbegleitete minderjährige Geflüchtete dar. Derzeit ist er als Institutsleiter und Leiter des Ausbildungsbereichs für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten des IVBs (Institut für Verhaltenstherapie Berlin) tätig. Außerdem behandelt er in eigener Praxis, arbeitet freiberuflich als Dozent und unterrichtet unter anderem zu den Schwerpunkten Gesprächsführung und Beziehungsgestaltung mit Kindern und Jugendlichen.