Sonja und Manuel sitzen mit finsteren Mienen im Wartezimmer. Beide wirken ziemlich wütend, Sonja zusätzlich ein bisschen verletzt und beschämt. Sonja beginnt zu erzählen: »Unser Problem ist Eifersucht. Genaugenommen meine Eifersucht. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn Manuel andere Frauen anschaut. Erst letzte Woche war da wieder so eine Situation. Wir haben zusammen einen kleinen Betrieb, ich mache das Büro, er repariert Computer. Da kommt dann so eine aufgedonnerte Blondine rein, und Sie hätten mal sehen sollen, wie mein Manuel um die rumflaniert, ihr den Computer gleich abnimmt, sie anlächelt—« – »Ich hab dir schon tausende Male gesagt, dass das überhaupt nichts zu bedeuten hat! Wenn unser Laden laufen soll, dann muss ich freundlich zu den Kunden sein. Wenn ich jede Frau anmaule, nur um es dir recht zu machen, dann sind wir bald arbeitslos!« – »Ja, was heißt hier ›anmaulen‹! Ich weiß, dass ich manchmal übertreibe, aber da hatte ich echt den Eindruck, dass du zu der besonders freundlich warst.« – »Übertreibung ist ein gutes Stichwort. Stellen Sie sich vor, gestern haben wir spätabends noch Fernsehen geschaut. Plötzlich kommt eine Werbeunterbrechung mit diesen potthässlichen ›Ruf mich an!‹-Frauen. Ich hab die Augen noch auf dem Bildschirm, weil wir halt gerade den Film am Schauen waren. Da kommt schon von Sonja der Kommentar: ›Na, gefallen dir die nackten Weiber?‹, und sie rennt wütend raus.« – »Ja, ich weiß, da ist mir eine Sicherung durchgebrannt, aber es tut mir halt doch einfach weh. Können Sie uns helfen? Wir wissen nicht, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen.«
Eifersucht ist ein außerordentlich vielschichtiges Phänomen. Wie unser Fallbeispiel deutlich macht, leiden unter Eifersucht häufig beide – der Eifersüchtige wie auch der »Überwachte«. Sie kann in den unterschiedlichsten Stärken auftreten – in allen Abstufungen von extrem und »krankhaft erhöht«, gefolgt von mitunter furchtbaren Konsequenzen (z. B. Gewalttätigkeiten seitens des eifersüchtigen Partners), über »angemessen« als adäquate emotionale Reaktion je nach Situation bis hin zu »ungesund niedrig« als mögliches Zeichen einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Partner. Sie kann verschiedenste Formen annehmen – von dramatischen Dauereskalationen bis zu stillem zurückgezogenem Leid. Und die Wahrnehmung der Partner kann von Übereinstimmung bis zu – und das ist der Regelfall – völlig unterschiedlicher Wahrnehmung reichen (»Deine krankhafte Eifersucht ist das Problem!« – »Blödsinn! Dein Rummachen mit anderen Weibern/Kerlen ist das Problem!«). Wenn man Paaren mit Eifersuchtsproblemen helfen möchte, dann ist es erforderlich, erst etwas mehr über die Wurzeln der Eifersucht zu erfahren.
Eifersucht als evolutionäres Programm
Eifersucht [ist ] zumindest zu einem gewissen Grad »angeboren« und hat allein dadurch schon eine gewisse Existenzberechtigung. Natürlich hängt das in einer konkreten Situation gezeigte Verhalten von vielen Faktoren ab, unter welchen auch viele sind, die nichts mit der Evolutionstheorie zu tun haben – im Sinne einer bewussten Entscheidung vor dem Hintergrund der eigenen Persönlichkeit, übernommener oder selbst entwickelter Werte etc. Aber eine Disposition bleibt eine Disposition. Insofern hieße die evolutionären Wurzeln unseres eifersüchtigen Programms zu negieren, eine Realität zu verleugnen, die für das tatsächliche Verhalten in der jeweiligen Situation von Bedeutung ist. Menschen sind »auch frei«, aber eben nicht völlig – wer sich das klar macht, der kann daraus in einem ersten Schritt schon einmal etwas mehr Akzeptanz in Bezug auf die eifersüchtige Reaktion (die eigene wie die des Partners) ableiten.
Deshalb sollte dies einem Paar, das sich wegen Eifersuchtsproblemen in die Praxis begibt, validierend zurückgemeldet werden. Über eine solche Normalisierung und Entpathologisierung der eifersüchtigen Reaktion kann in der Regel zumindest eine erste kleine Entlastung erreicht werden. Es geht um die Erringung einer differenzierten Position, die auf der einen Seite die Realität anerkennt (»Eifersucht ist eine biologische Disposition, die zum Bereich Partnerschaft untrennbar dazu gehört. Deshalb kann es auch nicht darum gehen, sie ›wegzukriegen‹.«) und auf der anderen Seite das Machbare anstrebt (»Im Umgang mit der Eifersucht liegt der Schlüssel zum partnerschaftlichen Erfolg. Man kann mit Eifersucht produktiv oder destruktiv umgehen. Wir wollen in der Therapie versuchen, produktive Versionen zu finden.«).
Eifersucht psychologisch gesehen
Bevor wir dazu schreiten können, auf Fragen zur Eifersucht hilfreiche Antworten zu finden, sind vorab noch einige Feststellungen hinsichtlich ihrer psychologischen Bedeutung nützlich.
Eifersucht: Besitzanspruch oder Zugehörigkeit? Nicht selten wird eifersüchtigen Personen vorgeworfen, sie würden den Partner wie ihr Privateigentum behandeln (»Du gehörst mir und nur mir«). Partnerschaftliche Zugehörigkeit steht auf einem gänzlich anderen Blatt. Wir wünschen uns völlig nachvollziehbar, dass unser Partner bei uns bleiben möge. Ein »Recht« ist daraus aber nicht ableitbar. Der Wunsch richtet sich auf Exklusivität mit dem Partner, Eifersucht auf eine befürchtete oder beobachtete Verletzung dieser Exklusivität. Eine »gesunde Eifersucht« – ohne hier »gesund« von »auffällig« wirksam und präzise trennen zu können – ist also eine normale Reaktion. Solange diese nicht überhandnimmt, kann die Eifersucht als Signal dafür verstanden werden, dass der eine dem anderen auch tatsächlich wichtig ist.
»Übertriebene« Eifersucht mit biografischen Wurzeln. Sehr häufig lohnt sich bei »auffälligem« Verhalten ein Blick in die Kindheitsgeschichte einer Person. Wenn man dies mit Personen anstrebt, die sich sehr stark und real unbegründet eifersüchtig verhalten, dann findet man in deren Biografien nicht selten Erlebnisse, die das aktuelle Verhalten verständlicher machen. Sie berichten Episoden von Alleingelassensein, von unerfüllten Bindungs- und Verlässlichkeitswünschen, von tiefen Kränkungen durch nahestehende Personen. Sie haben also einen negativen Schatz an interpersonellen Erfahrungen der Illoyalität und frustrierter Bedürfnisbefriedigung im Bereich Bindung und Sicherheit. In solchen Fällen kann es der Partner praktisch nicht vermeiden, die zugrundeliegenden Schemata bei dem »Eifersüchtigen« zu aktivieren, da eben auch vollkommen harmlose Situationen als Trigger fungieren können. Die Eifersucht geht dann sowohl für den, der sie erlebt als auch für den Partner in der Regel weit über das hinaus, was als »gute Eifersucht« ins Leben und die Beziehung integriert werden kann. Es ist dann oft sinnvoll, zuerst einmal die zugrundeliegenden Schemata bewusst zu machen, bevor mit den eifersüchtigen Situationen in der Partnerschaft selbst gearbeitet werden kann. Nach unserer Erfahrung sind schematherapeutische Vorgehensweisen dabei sehr hilfreich.
Eifersucht in ihrem Wahrnehmungsaspekt. Es wurde in den bisherigen Ausführungen bereits angedeutet und impliziert, aber noch nicht explizit herausgestellt: Eifersucht ist die Reaktion auf eine Wahrnehmung. Und diese kann realitätsfern sein (z. B. bei einer im Sinne des vorangegangenen Abschnitts getriggerten Eifersucht/Angst, in der Bedrohungen gesehen werden, wo keine sind) oder aber auch völlig realitätsgerecht (wenn der Partner z. B. sichtbar mit einer anderen Person flirtet). Gibt der Partner mit seinem Verhalten einen Grund zu Zweifeln an seiner Treue, so ist die Eifersucht völlig berechtigt. Bei realen Bedrohungen vitaler Bedürfnisse sind Schutzreaktionen nicht nur normal, sondern sogar begrüßenswert. Auch dieser Aspekt unterstreicht, dass es bei Eifersucht nicht einfach nur um ein »Wegbekommen« geht. Deshalb sollten Therapeuten von Beginn an einen offenen Standpunkt vertreten, von dem aus die Wahrnehmungen beider Partner erst einmal unvoreingenommen angeschaut werden. Es ist ohne Weiteres möglich, dass eine unter der Überschrift »Eifersucht« aufgesuchte Therapie nach kurzer Zeit unter dem Titel »Affäre« weitergeführt werden muss.
Im Hinblick auf die Wahrnehmungs- bzw. Interpretationsperspektive spielt sich auch eine der wichtigsten Dynamiken im partnerschaftlichen Zusammenspiel rund um den Aspekt »Eifersucht« ab. In den meisten Fällen liegt bei Paaren nämlich ein wechselseitiger Vorwurf vor, der sich auf die Unangemessenheit des Verhaltens des anderen Partners bezieht. Der eine Vorwurf lautet: »Du bist krankhaft eifersüchtig! Ich mache überhaupt nichts, und trotzdem nervst du mich mit deinen Fragen und Kontrollen!« Darauf wird vom anderen entgegengehalten: »Und wie du was machst! Ständig machst du anderen schöne Augen. Und ich weiß genau, dass du was zu verstecken hast, sonst würdest du dein Handy nicht immer so unter Verschluss halten!« – oder diese Dynamik in irgendeiner anderen inhaltlichen Variante. Der eine stellt sich somit als gar nicht eifersüchtig dar, der andere als harmlos, und beide werfen einander das exakte Gegenteil vor. In einem solchen Falle ist von vornherein noch nicht klar, wie die Sachlage zu bewerten ist: Liegt eine »wechselseitige Teilblindheit « vor? Gibt es einen »Betrüger«, der verzweifelt-aggressiv am Abstreiten festhält? Gibt es einen »krankhaft Eifersüchtigen«, der auch durch Kleinigkeiten getriggert wird? Wie wir später aufzeigen werden, gilt es bei Eifersuchtsfällen ohnehin erst einmal, die konkrete partnerschaftliche Situation gründlich und offen zu explorieren.
Therapeutischer Umgang mit der Eifersucht
Wenn Paare sich wegen Eifersucht in der paartherapeutischen Praxis vorstellen, dann haben die Partner in den meisten Fällen unterschiedliche Standpunkte: Der eine wirft dem anderen übertriebene Eifersucht vor, der andere dem einen untreues Verhalten in irgendeiner Variante. In diesen Fällen kommen die Paare natürlich auch mit sehr unterschiedlichen Aufträgen in die Therapie: Beide wollen, dass der jeweils andere mit seinem Verhalten aufhört. Meistens lässt sich in solch gegensätzlichen Positionen erst einmal nicht ohne Weiteres ein konkreter Auftrag für die Therapie ableiten, denn beide sitzen ja fest auf der Position, dass der andere das Problem ist und man selbst damit nichts zu tun hat. Dem Therapeuten bleibt dann wenig anderes übrig, als erst einmal die Situation weiter zu explorieren, sich Beispiele nennen zu lassen und den konkreten Alltag des Paares genauer zu durchleuchten. Er muss dabei aufpassen, dass die Behandlung nicht zu einem reinen »Aber du …«-Austausch degeneriert. Wenn der Therapeut den Eindruck hat, genügend konkrete Wahrnehmungen und Informationen zu besitzen, dann sollte er diese Dynamik des nutzlosen ständigen Im-Widerspruch-Seins beenden und den Stillstand markieren.
»Ich möchte Ihnen ein Feedback geben, wie ich momentan den Stand der Dinge erlebe. Sie, Frau Müller, sehen die Probleme mit Ihrem Partner zu 100 Prozent in seinem Flirten mit anderen Frauen und anderen untreuen Verhaltensweisen begründet, und Sie, Herr Müller, sehen umgekehrt die Probleme Ihrer Ehe zu 100 Prozent im eifersüchtigen Verhalten Ihrer Frau begründet. Stimmt das so weit?« – »Ja, vollkommen, und wenn sie endlich aufhören—« – »Was heißt hier ich aufhören, du bist doch—« – »Alle beide: Einen Moment bitte! Ich bin noch nicht fertig. Wir haben uns Ihren Alltag, Ihre Lebenssituation gründlich angeschaut, Sie haben beide nach allen Regeln der Kunst hier dargelegt, wieso Sie jeweils im Recht zu sein glauben und wieso der andere Ihrer Ansicht nach das Problem ist. Ich habe diesen Teil verstanden. Das Dilemma ist: Wir haben uns an dieser Stelle jetzt festgefressen. Es wird uns erst einmal überhaupt nicht weiterführen, wenn wir uns über Eifersucht auf der einen Seite und Untreue auf der anderen austauschen. Ihre diesbezüglichen Positionen sind sehr klar, und sie weichen maximal voneinander ab. Wenn wir einen Fortschritt erzielen möchten, dann brauchen wir ein anderes Vorgehen als weiter über diese beiden Themen zu sprechen.« – »Ja, aber genau darum geht es uns aber doch!« – »Das ist mir klar. Deshalb sagte ich auch ›Dilemma‹. Natürlich ist genau das inhaltlich Ihr Problem, doch der Weg, den Sie bislang beschritten haben, den anderen von seinem jeweiligen Verhalten abzubringen, bzw. dem anderen die Richtigkeit der eigenen Sichtweise darzulegen, hat der funktioniert?« – »Nein …« – »Es ist ein bisschen wie bei Tauziehen. Wenn auf beiden Seiten des Seils beide Parteien genau gleich stark ziehen, dann steht das gesamte System still. Es ist dann unter einer riesigen Spannung, aber letztlich steht alles still. So ist es bei Ihnen beiden gerade meiner Wahrnehmung nach.« – »Ja, das stimmt wohl. Aber was machen wir denn jetzt?«
Im hier geschilderten Falle wäre mit dem Paar somit die Tatsache eingekreist, dass es sich in einer argumentativen Endlosschleife gefangen hat, die mit dem Tauzieh-Bild illustriert werden kann. Diese Stillstand-Dynamik muss zuerst überwunden werden. Erst wenn wieder ein echter Handlungsspielraum erzeugt wurde, kann an der eigentlichen Eifersuchtsthematik weitergearbeitet werden. Es kann auch sein, dass die Positionen nicht so verhärtet gegensätzlich sind, sondern es zumindest Schnittstellen der gemeinsamen Wahrnehmung gibt (so wie in unserem einleitenden Fallbeispiel, als Sonja zumindest Teile ihres Verhaltens als übertrieben bezeichnet hat). In jedem Fall wird deutlich, dass wie üblich in der Paartherapie eine gründliche und offene Betrachtung der Situation mitsamt einer gründlichen Auftragsklärung notwendig ist. Die Therapie sollte stets so offen angelegt sein, dass auch eine Aufrechterhaltung des bisherigen eifersüchtigen Verhaltens als gültige Option im Rahmen der Auftragsklärung bestehen bleibt. Vor diesem Hintergrund ist es im Rahmen der Auftrags- und Zielklärung unserer Ansicht nach besser möglich, in völliger Ergebnisoffenheit mit dem Paar Fragen zu untersuchen wie: »Welche Konsequenzen erwarten Sie, wenn Sie so weitermachen wie bisher? Was kann im schlimmsten Fall passieren, wenn Sie Ihr eifersüchtiges Verhalten so wie bislang weiter zeigen? Was kann im schlimmsten Fall passieren, wenn Sie dieses Verhalten verändern oder gar aufgeben?« Auch die Eifersucht zeigt sich damit als einer der vielen Bereiche, in denen keine fertigen Lösungen existieren, die dem Paar vorschnell als Richtungsvorgabe präsentiert werden sollten. Gerade bei einer Eifersucht im Nachklang einer Affäre kann die hier dargestellte Betrachtung besonders wichtig sein, da sich der »betrogene Partner« vielleicht sehr stark mit der Frage beschäftigt, wie er sich zwischen »übertriebener Eifersucht« und »blinder Naivität« aufstellen soll. Sollte die Auftragsklärung nun aber dazu führen, dass eine Veränderung des eifersüchtigen Verhaltens das Ziel ist, so geht es zuerst um eine Erhellung der konkreten Bedingungen, unter denen sich das eifersüchtige Verhalten abspielt. Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich machen, kann Eifersucht aus einer Vielzahl an Bedingungskonstellationen heraus entstehen
Schematherapeutisch interventieren: Fallbeispiel Sonja und Manuel
In den Sitzungen mit Sonja und Manuel wurde zunächst auf Basis des Moduszirkels auf theoretischer Ebene erarbeitet, wie genau die Dynamik zwischen Sonja und Manuel aussieht. Hierbei wurde deutlich, dass hinter Sonjas ausgeprägter Wut eine sehr große Angst stand, Manuel zu verlieren. Außerdem spürte sie häufig eine tiefe Traurigkeit, da ihr immer wieder der Gedanke kam, Manuel würde sie sowieso nicht wirklich lieben und sie verlassen. Da Manuel sich immer mehr in sich zurückzog und nur noch genervt auf sie reagierte, fühlte sie sich umso ängstlicher und in ihren Befürchtungen bestätigt. Manuel demgegenüber fühlte sich auf der einen Seite genervt von Sonjas »Wutausbrüchen und Eifersuchtsattacken«, bei genauer Betrachtung wurde jedoch deutlich, dass er zudem auch sehr traurig und hilflos war, da er fühlte, dass er und Sonja sich immer weiter zu verlieren drohten, und er sich eigentlich nach wie vor ein Leben mit ihr wünschte. Um Sonjas Angst noch tiefer zu verstehen, wurde in Manuels Beisein eine Imaginationsübung durchgeführt, in der die Therapeutin Sonja anleitete, mit geschlossenen Augen das Gefühl der Angst und Hilflosigkeit zunächst deutlich zu spüren und sich dann, verbunden mit diesem Gefühl, in die Vergangenheit zurücktreiben zu lassen (Floatback) zu einer Szene, in der sie das gleiche Gefühl wie eben in diesem Moment hatte. Manuel wurde gebeten, ebenfalls die Augen zu schließen und innerlich mit in die Szene einzusteigen. Sonja erinnert sich daran, sehr oft alleine gewesen zu sein. Ihre Eltern seien geschieden gewesen und ihre Mutter habe sie oft alleine gelassen. In der Szene, die Sonja beschrieb, ist sie 8 Jahre alt und ihre Mutter macht sich gerade fertig, um auszugehen. Sonja soll alleine zu Hause bleiben und hat Angst. Als sie weint und ihre Mutter bittet, nicht zu gehen, weil sie alleine zu Hause Angst habe, sagt ihre Mutter genervt: »So wie du dich immer anstellst, ist es kein Wunder, dass ich lieber ausgehe«.
Die Therapeutin führt eine imaginative Überschreibung (Rescripting) der Szene durch, indem sie als Therapeutin gemeinsam mit Sonja als heutige erwachsene Frau in das Bild eintritt und aus diesem Blickwinkel das Verhalten der Mutter neu bewertet und kritisiert: »Was du machst, ist nicht in Ordnung. Du bist ganz bei dir und siehst die Bedürfnisse der kleinen Sonja nicht. Das schadet ihr.« Im Anschluss daran erfolgt die Versorgung der »kleinen Sonja«, indem sie in ihren Bedürfnissen erkannt und versorgt wird. Manuel wird dabei aktiv in die Versorgung einbezogen, indem er zunächst gebeten wird, seine Gefühle beim Beobachten der Szene zu beschreiben. Manuel fühlt deutlichen Ärger über die Mutter und empfindet starkes Mitgefühl mit der »kleinen Sonja«. Er kann mit Unterstützung der Therapeutin das Bedürfnis der »kleinen Sonja« nach sicherer Bindung erkennen und sie gemeinsam mit der Therapeutin in der aktivierten Szene versorgen, in dem er ihr sagt: »Sonja, ich kann sehen, wie wichtig es für dich ist, dass du spürst, dass ich da bin. Ich verstehe jetzt, dass du das als Kind nicht bekommen hast, und mir ist wichtig, dass du weißt, dass ich bei dir bin und mit dir zusammen sein will.«
Manuel konnte auf diese Weise ein Gefühl der Solidarität mit Sonjas verletztem Kindmodus entwickeln und verstehen, dass dieser Anteil auch gegenwärtig noch häufig aktiviert ist. Auch Sonja selbst konnte auf diese Weise einen besseren Zugang zu ihrem verletzten Kindmodus finden und lernte zu erkennen, wann dieser aktiviert wird und was sie in diesen Situationen eigentlich braucht. So konnten im weiteren Verlauf zum Beispiel Selbstberuhigungsstrategien erarbeitet werden, durch die Sonja in die Lage versetzt wurde, zu spüren, dass sie heute als erwachsene Frau in einer anderen Situation ist als damals als kleines, hilfloses Kind. Sie lernte, selbst zu akzeptieren, dass sie diese alten Gefühle immer noch spürt. Durch das Verständnis der Gefühle als »alte« Gefühle gelang es ihr leichter, Manuel direkt anzusprechen und sich zu öffnen, anstatt in den Kampfmodus zu gehen. Sie schaffte es zunehmend, ihm beispielsweise mitzuteilen, dass gerade wieder alte Gefühle aktiviert sind und sie eine Umarmung oder ein Signal von ihm braucht, dass sie ein Paar sind. Manuel lernte, in diesen Situationen auf Sonja einzugehen und sie in ihrem Bedürfnis ernst zu nehmen und darauf zu reagieren. In einer weiteren Sitzung wurde mit Manuel auf ähnliche Weise ein tieferes Verständnis für seine Schwierigkeiten, mit Sonjas Wut umzugehen, entwickelt. Manuel hatte einen sehr impulsiven Vater, dessen Wutausbrüche Manuel sehr verängstigten und dazu führten, dass er sich in sich zurückzog und versuchte, möglichst unsichtbar zu werden. Manuel fühlte sich in Situationen mit Sonja ähnlich hilflos und »klein« wie sie selbst. Beide aktivierten also durch ihre unterschiedlichen »Bewältigungsstrategien« (Sonja ! Kampfmodus, in dem sie in wütende Angriffe ging; Manuel ! Vermeidung, indem er sich zurückzog) den vulnerablen Kindmodus des anderen, auf den sie beide dann wiederum verstärkt mit dem problematischen Bewältigungsverhalten reagierten. Dadurch schaukelte sich der Teufelskreis immer weiter auf. Mit einem dank der emotionsaktivierenden Übungen tieferen Verständnis für diese »alten« Emotionen konnten beide sich selbst und den anderen besser verstehen und das Verhalten besser einordnen. Es konnten im Verlauf der Therapie noch weitere Strategien entwickelt werden, um diesen Teufelskreis (Moduszirkel) zu durchbrechen. So lernte auch Manuel, seine Gefühle besser zu spüren und einzuordnen. Sonja entwickelte ein Verständnis für Manuels alte Bewältigungsreaktion des Rückzugs, wodurch sie dieses Verhalten weniger als gegen sich gerichtet interpretierte. Dadurch war Manuel immer mehr in der Lage, trotz des nach wie vor bestehenden Rückzugsimpulses im Kontakt mit ihr zu bleiben und auszusprechen, was er brauchte: »Ich möchte gerne mit dir sprechen. Bitte lass uns im Ruhigen über die Situation sprechen, denn mir ist wichtig, das mit dir zu klären.« Um auch zukünftig ein Bewusstsein dafür zu bewahren, dass oftmals die aufgrund der biografischen Erfahrungen aktivierten alten Gefühle aktiviert sind, hängten Manuel und Sonja zwei Kinderfotos von sich auf.
Wenn es mithilfe solcher Interventionen gelungen ist, die individuelle Problematik des eifersüchtigen Partners aufzuarbeiten, dann kann in der Folge im partnerschaftlichen Alltag am Umgang mit konkreten Situationen gearbeitet werden. Vorher erscheint uns dies nicht sinnvoll, da diese Situationen beim Eifersüchtigen eine »Triggerfunktion« ausüben, auf die er nicht kontrolliert und angemessen reagieren kann.
Den meisten von uns fällt es schwer, in einer emotional aktivierenden und verunsichernden Situation spontan mit »souveränem Verhalten« zu reagieren. Dies kann erleichtert werden, wenn die Situation geplant und das Verhalten in der Situation in der Therapie vorbereitet und ggf. sogar geprobt wird. In dem einleitenden Fall wurde in diesem Sinne nach einer längeren Vorphase und Vorbereitung beispielsweise mit der eifersüchtigen Reaktion gearbeitet, die Sonja in der »Fernsehsituation« beschrieben hat. Nach entsprechenden Vorbereitungen war es ihr möglich, in dieser Situation eine Chance zum humorvoll-souveränen Umgang zu sehen, die sie dann später in absichtsvoll mit ihrem Partner gemeinsam angeschauten spätnächtlichen Werbesendungen für Telefonsex erprobte. Die Situation hat sich dadurch für beide deutlich entspannt. Natürlich geht es nicht immer so leicht. Häufig setzt es einen längeren Prozess voraus, um sich mit der Eifersucht anzufreunden. Bei diesem sollte das Paar begleitet werden, immer wieder unter Bezug auf zugrundeliegende Bedürfnisse und in der Entwicklung angemessener Ausdrucksformen dafür. Dann kann die Eifersucht nach und nach zu einem Begleiter werden, der zwar wahrscheinlich nie in den »engsten Freundeskreis« gehören wird, aber irgendwann die Partnerschaft nicht mehr wesentlich stört.
Dos
- Gründliche Auftragsklärung (»Lassen Sie uns gründlich checken, worauf Sie beide hier hin arbeiten möchten. Meistens ist es dazu hilfreich, sich alle potenziellen Konsequenzen genau anzuschauen. In diesem Sinne: Was käme dabei heraus, wenn Sie weniger eifersüchtig wären? Was käme dabei heraus, wenn Sie genauso weitermachen wie bisher? Was gibt es in beiden Fällen zu gewinnen und zu verlieren?«)
- Entpathologisieren und Normalisieren (»Ich merke, dass Sie sehr beschämt sind, Frau Müller. Ich verstehe das, möchte aber gleichzeitig deutlich machen, dass dazu kein Grund besteht. Eifersucht ist ein vollkommen normales, ja sogar wichtiges Gefühl. Der bekannte Paartherapeut Ulrich Clement geht sogar so weit zu sagen, dass Eifersucht ein ehrenhaftes Gefühl ist. Es gibt deshalb nichts, dessen Sie sich schämen müssten, auch wenn ich verstanden habe, dass Sie beide unter der Situation leiden.«)
- Bei wahnhafter Eifersucht einen Psychiater hinzuziehen (»Wir haben Ihre Situation jetzt aus meiner Sicht ziemlich gründlich durchgesprochen, und ich bin zu der Überzeugung erlangt, dass es hier nicht in erster Linie um ein partnerschaftliches Problem geht. Herr Müller, ich bin der Ansicht, dass wir zuerst einmal fachärztlichen Rat in Anspruch nehmen sollten.«).
Don’ts
- Eifersuchtsabbau als Ziel vorschreiben (»Es ist sehr gut, dass Sie da sind. Eifersucht ist ein unreifer Modus, mit dem Partnerschaften wirksam zerstört werden. Gut, dass Sie das beenden wollen.«)
- Die Eifersucht aus dem partnerschaftlichen Kontext lösen (»Alles klar, das Problem hier ist also Ihre Eifersucht, Herr Müller. Dann gehen wir mal ran. Frau Müller, da es ja rein um das Problemverhalten Ihres Mannes geht, werden Sie hier nicht mehr gebraucht. Danke, dass Sie da waren!«; »Danke für die Beschreibung Ihrer Situation, Frau und Herr Müller. Dies hat mir deutlich gemacht, dass das Problem Ihr provokatives Verhalten ist, Herr Müller – wenn Sie mit fremden Frauen flirten, ist es kein Wunder, dass Ihre Frau eifersüchtig reagiert. Daran müssen wir arbeiten. Frau Müller, Sie können dann erst mal nach Hause gehen, den Rest bespreche ich mit Ihrem Mann, sein Verhalten ist hier das Problem.«)
- Moralisieren (»Sie sind also eifersüchtig, weil Ihr Mann in seiner Freizeit mit seiner Arbeitskollegin Tennis spielen geht? Das ist eine sehr veraltete Vorstellung, die mit modernen Partnerschaftsidealen rund um Freiheit, Selbstbestimmung und Vertrauen ohne Besitzanspruch wenig zu tun hat. Und Sie spielen ja noch nicht mal selbst Tennis! Was soll er denn machen? Sie müssen an Ihrem Bild von Partnerschaft arbeiten, das ist so in dieser Form wirklich nicht mehr zeitgemäß.«)
Leseprobe aus: Frank-Noyon, Noyon (2016) Schwierige Situationen in der Arbeit mit Paaren. Weinheim: Beltz.