Zwischen Therapieschulen – Therapeutische Vorprägungen von Klient:innen professionell thematisieren

In der Psychotherapie tun sich nicht selten Herausforderungen auf, wenn Klient:innen bereits Erfahrungen mit anderen Therapieverfahren haben. Die Patient:innen benutzen vielleicht eine anderes Vokabular, haben andere Erwartungen an die Vorgehensweise, äußern Zweifel oder vergleichen Sie ganz offen mit ihren früheren Therapeut:innen. Wie Sie solche Konflikte professionell thematisieren und die Therapie trotzdem erfolgreich fortsetzen können, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.

Fallbeispiel

Manuel F., 47 Jahre, ist sichtlich unzufrieden mit Ihnen: »Also, mein früherer Therapeut hat sich nicht so wie Sie für meine Kindheit interessiert. Ich habe bei ihm gelernt, dass meine Probleme im Hier und Jetzt verankert sind, in ihren aufrechterhaltenden Bedingungen, und dass es deshalb am besten ist, auch im Hier und Jetzt zu arbeiten. Ich dachte, dass wir jetzt für meine momentanen Schwierigkeiten erst mal ein Störungsmodell erarbeiten, aber stattdessen fragen Sie mich die ganze Zeit nach meiner Kindheit, meiner Biographie und so weiter. Wo soll das denn hinführen?«

Zum Hintergrund

Wer als Sozialarbeiter, Psychologin, Arzt, Seelsorgerin oder Pädagoge nach dem Studium professionell beratend oder therapeutisch tätig werden möchte, der muss eine Auswahl treffen: Nach wie vor ist das therapeutische »Schulendenken« nicht überwunden. (...) Die Vielfalt der Möglichkeiten birgt dabei Vor- und Nachteile und einer der Nachteile besteht darin, dass die Kommunikation mit Angehörigen einer anderen »Schule« schwieriger wird. (…) Das kann sich auch in der Klientenbehandlung zeigen, nämlich dann, wenn Sie es mit jemandem zu tun bekommen, der bereits eine Behandlung bei einem anderen Berater hinter sich hat, und dieser Berater wiederum das Verfahren vertreten hat, das zu dem Ihren am stärksten im Gegensatz steht. Natürlich fordern wir ausdrücklich zu größtmöglicher Toleranz und Integration auf: Wenn Sie mit den Begriffen, die Ihre Klienten verwenden, gut arbeiten können und sich in Ihrer Tätigkeit nicht gestört fühlen, dann ist das wunderbar so und die Vortherapie stellt keinerlei Problem für Sie dar. Die folgenden Ausführungen gelten lediglich für Konstellationen, in denen die therapeutischen Vorerfahrungen sich so auswirken, dass es zu ständigen Konflikten in der aktuellen Behandlung kommt und ein Miteinbeziehen nicht mehr ohne Weiteres möglich ist. Wir möchten Ihnen gleichzeitig nachdrücklich empfehlen, sich so viel Information wie möglich über frühere oder parallele Behandlungen zu verschaffen. In der Regel ist dies am besten dadurch möglich, dass Sie sich von Ihren Klienten eine Entbindung von der Schweigepflicht unterschreiben lassen und Kontakt mit dem entsprechenden Kollegen oder der Kollegin aufnehmen. (...) Vordiagnosen beispielsweise spiegeln neben den Problembereichen des Patienten in der Regel ebenso die diagnostischen Gepflogenheiten des Vorbehandlers wider. Vorinformationen können deshalb nie oder nur sehr eingeschränkt als »Abkürzung« der Informationsgewinnung eingesetzt werden. (…)

Mögliche Interventionen

Von besonderer Bedeutung ist, dass Sie die Aufwertungen des Vortherapeuten bzw. Abwertungen Ihrer selbst nicht persönlich nehmen, sondern sich deren professionellen Kontext klar machen. Keinesfalls sollten Sie sich auf eine Diskussion mit dem Klienten einlassen bzw. den Versuch unternehmen, diesem zu beweisen, dass – falls der Vortherapeut einer anderen »Schule« angehörte als Sie – Ihre Vorgehensweise jener des früheren Behandlers überlegen ist (»Ich kann Ihnen sofort zehn Studien zeigen, die nachweisen, dass meine therapeutische Vorgehensweise viel effektiver ist als Therapieverfahren Y!«). Mitunter mag Ihnen so manches auf der Zunge liegen, vor allem dann, wenn der Klient »gerade mal wieder unheimlichen Blödsinn erzählt hat, den er von dieser Lusche von Vortherapeut eingeimpft bekam« (eine wichtige Fertigkeit in diesem, wie in den meisten beraterischen und therapeutischen Kontexten ist es, eigene automatische Gedanken zu identifizieren). Doch solche Gedanken sollten auf keinen Fall verbalisiert werden, da Ihr Klient sonst aller Wahrscheinlichkeit nach nur umso heftiger die Überlegenheit des früheren Behandlers betonen dürfte. Bleiben Sie stattdessen gelassen, würdigend und explorativ. Einige konkrete und nützliche Interventionen lauten wie folgt:

  • »Es ist schön, wie stark Sie offensichtlich von der früheren Therapie profitieren konnten. Psychotherapie ist damit sicher gut geeignet, Ihnen zu helfen.«
  • »Die Vorteile, die Sie sich in der früheren Behandlung erarbeiten konnten, sind für Sie sehr wertvoll. Wie können wir auf diesem bereits Erreichten so effektiv wie möglich aufbauen, also daran anknüpfen? Haben Sie da bestimmte Ideen?«
  • »Sie haben in der Vortherapie viel darüber gelernt, welche Faktoren in Bezug auf Ihre Probleme von Bedeutung sind. Wie genau kann uns das bei unserer Arbeit jetzt helfen?«
  • »Wie ich höre, haben Sie sehr genaue Vorstellungen davon, wie ich in der Therapie mit Ihnen umgehen soll. Mir sind diese Wünsche aber noch nicht völlig klar. Können Sie das noch genauer darstellen?«


Manche Klienten werden sich durch eine solchermaßen wertschätzende Art des Umganges mit ihren Vorerfahrungen dazu ermutigen lassen, sich stärker in den Kontakt mit Ihnen als mit dem Vortherapeuten zu begeben und in einen konstruktiven Dialog eintreten. Doch das wird natürlich nicht bei allen der Fall sein. Wird das Vergleichen beibehalten, so sollten Sie etwas konfrontativer werden, wobei auch hier Wohlwollen und Souveränität die Basis Ihrer Interventionen bilden sollten:

  • »Mir fällt auf, dass Sie sehr häufig in sehr positiver Weise von Ihrem Vortherapeuten sprechen, während Sie umgekehrt mit unserer Arbeit nicht sehr zufrieden zu sein scheinen. Können Sie das bestätigen?«
  • »Mir wird immer deutlicher, wie gut die Behandlung bei Ihrem Vortherapeuten für Sie war. Ich frage mich gerade, warum Sie mit Ihrem jetzigen Problem nicht wieder zu ihm gegangen sind? Wahrscheinlich könnte er Ihnen auch jetzt sehr gut helfen.«
  • »Recht häufig haben wir in unserer Behandlung das Muster, dass Sie mein therapeutisches Vorgehen kritisieren und es jenem Ihres früheren Therapeuten gegenüberstellen. Vielleicht ist die Behandlung bei mir überhaupt nicht das Richtige für Sie, könnte das sein? Vielleicht können wir das auch näher eingrenzen. Was ist es hier, das Sie besonders stört: Liegt es eher an meiner Person, oder liegt es an meiner therapeutischen Vorgehensweise?«
  • »Sie haben mir gesagt, dass Sie sich bei Ihrem früheren Therapeuten zwar sehr wohl gefühlt haben, er Ihnen mit seiner Vorgehensweise aber nicht helfen konnte. Deshalb sind Sie nun zu mir gekommen, weil Sie wissen, dass ich eine andere Vorgehensweise vertrete. Ich habe allerdings den Eindruck, dass es Ihnen schwerfällt, sich auf diese andere Vorgehensweise richtig einzulassen. Da stecken wir in einem Dilemma. Wie können wir das lösen?«

Dos und Don’ts

Dos

  • Die früheren therapeutischen Erfolge würdigen
  • »Fremde« Terminologie so gut wie möglich integrieren, bei zu großer Unklarheit aber problematisieren und eine gemeinsame Sprache mit dem Klienten finden
  • Das eigene Modell nicht als Konkurrenz, sondern als Alternative anbieten (»Ich sage nicht, dass meine therapeutische Herangehensweise besser ist als die Ihres vorigen Therapeuten. Sie ist lediglich anders, und vielleicht ist dieses ›anders‹ bei Ihrem momentanen Problem einen Versuch wert.«
  • Verfügbare Vorinformationen einholen (Schweigepflichtentbindung unterschreiben lassen, Entlassungsberichte etc. anfordern, mit Vorbehandlern reden)

Don’ts

  • Beleidigt reagieren
  • Vergleiche mit dem Vortherapeuten persönlich nehmen
  • Die Überlegenheit des eigenen Verfahrens beweisen wollen
  • Informationen unkritisch übernehmen (insbesondere Diagnosen)


Leseprobe aus: Noyon ∙ Heidenreich: Schwierige Situationen in Therapie und Beratung - 34 Probleme und Lösungsvorschläge. Beltz, 2020.

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